GASTBEITRAG

"Der IQWiG-Bericht ist ein Signal in die falsche Richtung und ein Rückschritt in die Zweiklassen-Medizin"

Von Professor Thomas Unger Veröffentlicht:

Das IQWiG, das von der Bundesregierung kürzlich eingerichtete Institut für "Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen" hat einen vorläufigen Bericht zur Erstverschreibung von Antihypertensiva ins Internet gestellt. Es steht zu befürchten, dass dieser Bericht ohne wesentliche Änderungen an den Gemeinsamen Bundesausschuss weitergereicht und als Grundlage für die Erstattungsfähigkeit von Antihypertensiva im Bereich der GKV dienen wird. In diesem Gutachten werden Diuretika als Arzneimittel der ersten Wahl zur Behandlung bei Hypertonie empfohlen.

Einseitige Empfehlung war zu erwarten

In ihrer einseitigen Festlegung auf eine Medikamentenklasse steht die Empfehlung des IQWiG in klarem Gegensatz zu den gegenwärtigen europäischen und deutschen Therapieempfehlungen der betreffenden wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Die Empfehlung war aber zu erwarten angesichts der bereits seit einiger Zeit im Internet veröffentlichten methodischen Kriterien, nach denen das IQWiG seine gutachterliche Arbeit betreiben wollte.

Im Ergebnis lehnt sich das IQWiG eng an die jüngsten US-amerikanischen Therapieempfehlungen JNC7 (Joint National Committee) an, welche sich unter anderen die Ansicht der Autoren einer US-amerikanischen Hypertoniestudie namens ALLHAT zu eigen gemacht hatten, dass Diuretika "aufgrund ihrer Überlegenheit bezüglich der Verhütung kardiovaskulärer Ereignisse und aufgrund ihrer geringeren Kosten" als Antihypertensiva der ersten Wahl betrachtet werden sollten.

Es gibt keine grossangelegte Hypertoniestudie der vergangenen zehn Jahre, die aufgrund methodischer und exekutorischer Mängel international mit Recht so sehr kritisiert worden ist wie ALLHAT. In der Tat hat diese Studie, wenn irgend etwas, lediglich bestärkt, was wir schon seit langem wussten. Dass nämlich Diuretika, wenn in der Bluthochdrucktherapie über längere Zeiträume in hohen Dosen eingesetzt, das Risiko für Diabetes mellitus gegenüber modernen Antihypertensiva signifikant erhöhen - ganz zu schweigen von anderen Problemen wie Hypokaliämie, Gichtanfälligkeit und Impotenz.

Jedoch: schon in den amerikanischen Bemühungen gesundheitspolitisch einflussreicher Gruppen, die Diuretika in den Sattel der Ersttherapie der Hypertonie zu hieven, wurde klar, dass wissenschaftliche Erkenntnis an dieser Stelle nur zweitrangig war. In erster Linie sollte es um eine vordergründige, vermeintliche Kostenersparnis gehen.

Doch nehmen wir einmal das IQWiG beim Namen. Zeigt sich in diesem Gutachten denn erstens Qualität und zweitens Wirtschaftlichkeit ?

Zur Qualität: Die qualitativen Mängel der Begutachtung von Antihypertensiva im Bericht des Kölner Institutes sind mit Händen zu greifen. Um nur drei Beispiele zu nennen: Evidenzkriterien sind willkürlich so ausgewählt, dass Studien, welche Diuretika nicht begünstigen würden, keine Chance haben, aufgenommen zu werden; die Blutdrucksenkung ist als Bewertungskriterium gar nicht aufgenommen worden; und internationale, für Diuretika ungünstig ausgehende Studien wurden deshalb nicht berücksichtigt, weil diese Substanzen ja in Deutschland nicht auf dem Markt seien.

Nicht zu Unrecht, und beileibe nicht nur aufgrund des Berichtsplans zum Thema Antihypertensiva, ist das IQWiG kürzlich seitens des Gesetzgebers, nach massiver Kritik von allen Seiten, definitiv aufgefordert worden, seine methodischen Kriterien zu überarbeiten und auf einen international üblichen Standard anzuheben.

Der jetzt vorliegende Bericht, der mit den eklatanten Mängeln der bisherigen Vorgehensweise dieses Instituts behaftet ist, kann wissenschaftlich nicht ernst genommen werden.

Zur Wirtschaftlichkeit: Deutschland ist, was die Kontrolle der Volkskrankheit Hypertonie angeht, leider immer noch Entwicklungsland - unter anderem deshalb, weil in Deutschland nicht rechtzeitig für den betreffenden Hypertonie-Patienten individuell geeignete, effiziente und nebenwirkungsarme Kombinationen von Medikamenten verschrieben werden.

Im Gegensatz zu dieser allen Beteiligten geläufigen Erkenntnis sollen jetzt die Ärzte gezwungen werden, einen gerade als Hypertoniker identifizierten Patienten auf eine Diuretika-Monotherapie mit geplanter Steigerung der Dosis zu setzen? Und dies im Bewusstsein der Tatsache, dass sein Patient auf Dauer metabolische Probleme (Diabetes, Dyslipidämie, Hyperurikämie) mit all ihren individuellen und ökonomischen Folgen haben würde und er darüber hinaus die Therapie wegen unausweichlicher, auch durchaus subjektiv erfahrbarer Nebenwirkungen (denken wir einfach einmal an einen diuresegeplagten Taxifahrer) auf Dauer gar nicht mitmachen würde? Wenn es uns gelänge, auch nur die Hälfte der Hypertoniker in Deutschland einigermaßen zu kontrollieren, dass heißt auf Blutdruckwerte unter 140/90 mmHg einzustellen, könnten wir allein im Bereich der Folgekosten des Schlaganfalls Milliarden von Euro pro Jahr einsparen.

Gut verträgliche Kombis verhindern Schlaganfälle

Mit Diuretika wird uns das schon aus Gründen der Compliance mit Sicherheit nicht gelingen, wohl aber mit einer nebenwirkungsarmen Kombinationstherapie, in der niedrig dosierte Diuretika (aber eben nicht hochdosierte Diuretika in Monotherapie) durchaus ihren Platz haben können.

Würden wir die gewonnenen finanziellen Mittel nicht lieber zum Teil in neuere Medikamente investieren, die uns nachgewiesenermaßen Schlaganfall und Diabetes bis zur Dialysepflichtigkeit ersparen? Wenn aber dem IQWiG eine langfristige Monotherapie mit Diuretika gar nicht vorschwebt, warum dann die Vorschrift einer nicht mehr zeitgemäßen, nebenwirkungsträchtigen Erstbehandlung von Hypertonikern?

Ich halte deshalb den Bericht des IQWiG mit seinen abzusehenden Konsequenzen für ein Signal in die falsche Richtung und, darüber hinaus, für einen weiteren Rückschritt in die in unserem Land bereits existierende Zweiklassen-Medizin. Gerade diese sollte die neueste Gesundheitsreform doch verhindern helfen.



ZUR PERSON

Der Pharmakologe und Antihypertensiva-Spezialist Professor Thomas Unger ist Direktor des Institutes für Pharmakologie und Toxikologie der Charité in Berlin.

Lesen Sie dazu auch: Vorbericht zu Antihypertensiva stark kritisiert

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