Geistiger Abbau

Früher Hoher Blutdruck geht später aufs Hirn

Ein hoher Blutdruck im mittleren Lebensalter beschleunigt offenbar den geistigen Abbau geringfügig. Blutdrucksenker können diesen Abbau etwas bremsen, geht aus Daten einer 20-Jahres-Studie hervor.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Hypertonie ist ein vermeidbarer Risikofaktor für Demenz.

Hypertonie ist ein vermeidbarer Risikofaktor für Demenz.

© Kneschke/fotolia.com

BALTIMORE. Ein hoher Blutdruck zählt zu den wichtigsten beeinflussbaren Risikofaktoren für eine Demenz - darauf deutet mittlerweile eine ganze Reihe von Beobachtungsstudien, in denen Hypertoniker zwei- bis vierfach häufiger eine Demenz entwickelt hatten als Teilnehmer mit normalem Blutdruck.

Besonders gefährdet erscheinen dabei Menschen im mittleren Lebensalter - bei Personen über 70 Jahren schwächt sich der Zusammenhang zwischen Hypertonie und Demenz bereits deutlich ab, und bei über 80-Jährigen wird vermutet, dass ein etwas erhöhter Blutdruck möglicherweise sogar gut für die Hirnleistung ist - allerdings nur dann, wenn sich die Hypertonie erst im hohen Alter entwickelt hat.

Möglicherweise verbessert eine spät auftretende Hypertonie einen mangelhaften zerebrovaskulären Blutfluss, wohingegen eine frühe Hypertonie das zerebrale Gefäßsystem eher schädigt. Letzteres scheinen nun neue Langzeitdaten zu bestätigen.

Danach haben Patienten mit einer Hypertonie im Alter von 50 Jahren eher schlechte Aussichten, was ihre geistige Leistungsfähigkeit im Alter betrifft.

Zu diesem Schluss kamen Neurologen um Dr. Rebecca Gottesman von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore anhand von Analysen der ARIC*-Studie (JAMA Neurol, online 4 August 2014). Die Untersuchung begann Ende der 1980er-Jahre.

Knapp 16.000 Personen im Alter von 45 bis 64 Jahren wurden damals und später alle paar Jahre gründlich untersucht. Außer einer Blutdruckmessung unterzogen sich die meisten Teilnehmer auch einer Reihe kognitiver Tests: Beim "Delayed Word Recall Test" (DWRT) werden zehn unterschiedliche Hauptwörter genannt, die fünf Minuten später korrekt wiedergegeben werden sollen.

Die Exekutivfunktion wurde mit dem "Digit Symbol Substitution Test" (DSST) geprüft. Dabei werden anhand eines vorgegebenen Schlüssels Symbole und Zahlen verknüpft. Die Teilnehmer haben 90 Sekunden Zeit, möglichst viele Verknüpfungen zu erstellen. Beim "Word Fluency Test" (WFT) werden die Testpersonen aufgefordert, innerhalb einer Minute möglichst viele Wörter zu nennen, die mit einem vorgegebenen Buchstaben beginnen.

Wie sich herausstellte, waren die Teilnehmer mit einer Hypertonie im Vergleich zu solchen mit normalem Blutdruck zu Beginn der Studie im Schnitt etwas älter, zeigten schlechtere Werte bei den Kognitionstests, einen niedrigeren Bildungsstand und öfter zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes oder einen Schlaganfall in der Vergangenheit.

Risiko: unbehandelte Hypertonie

Kein Wunder, dass 20 Jahre später von ihnen deutlich weniger am Leben waren als von den Normotonikern. Praktisch jeder zweite Hypertoniker war nach 20 Jahren tot, die Sterberate war damit etwa doppelt so hoch wie bei den ursprünglich normotonen Probanden, berichten die Neurologen um Gottesman.

Wurden nun die genannten Risikofaktoren für ein verfrühtes Ableben sowie kardiovaskuläre Probleme berücksichtigt, so zeigte sich dennoch ein beschleunigter kognitiver Abbau bei den Hypertonikern, der sich mit den übrigen ungünstigen Faktoren zu Studienbeginn allein nicht erklären ließ.

So berechneten die Forscher aus den Kognitionstests einen Summenscore und daraus einen Standardwert (Z-Score), der die Veränderungen als Anteile von Standardabweichungen wiedergibt. Ein Z-Wert von 1 entspricht dabei einer Standardabweichung, bei einer Normalverteilung sind das etwa 34 Prozent.

Bei den Normotonikern (systolischer Druck unter 120 mmHg) war nun die kognitive Leistung nach 20 Jahren basierend auf den drei genannten Tests um 0,84 Standardabweichungen zurückgegangen, bei den Hypertonikern (systolisch über 140 mmHg) um 0,9 und bei denjenigen mit leicht erhöhten Blutdruckwerten (systolisch 120-139 mmHg) um 0,88 Standardwerte.

Insgesamt waren also die kognitiven Fähigkeiten bei Personen mit leicht erhöhtem Blutdruck um 4,8 Prozent und bei denen mit ausgeprägter Hypertonie um 6,5 Prozent stärker zurückgegangen als bei den Normotonikern. Signifikant war der Unterschied aber nur zwischen Hypertonikern und Normotonikern.

Nun schauten sich die Forscher diejenigen Hypertoniker an, die Antihypertensiva nahmen. Bei ihnen verlief der kognitive Abbau um knapp 6 Prozent schneller als bei den Normotonikern, bei Hypertonikern ohne Medikation war der geistige Abbau hingegen um 9,4 Prozent größer.

Im Gegensatz zu anderen Studien ergab sich hier kein Vorteil einer Hypertonie im höheren Alter, aber auch kein Nachteil - der Einfluss des Blutdrucks auf die kognitive Funktion scheint mit steigendem Alter abzunehmen. Dies kann natürlich auch daran liegen, dass Personen mit einer ausgeprägten Hypertonie im mittleren Lebensalter viel seltener ein hohes Alter erreichen.

Insgesamt war der Effekt des Blutdrucks auf die Kognition 20 Jahre später aber eher gering. Die Studienautoren begründen dies mit der hochmorbiden Ausgangslage der Hypertoniker - der Bluthochdruck war für viele der Betroffenen wohl eher das kleinere Problem. Bei weniger morbiden Hochdruckpatienten sei vermutlich mit einem größeren relativen Effekt auf die Kognition zu rechnen.

*ARIC: Atherosclerosis Risk in Communities

Mehr zum Thema

I-STAND-Intervention

Weniger Sitzen senkt Blutdruck bei Älteren

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System