Risikofaktor Cholesterin

Der fette Irrtum

"Gute" pflanzliche Fette statt "böser" tierischer Fette - und schon ist man gesund? So einfach ist es nicht. Eine neu ausgewertete alte Studie bringt das Ernährungsdogma kräftig ins Wanken.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:
Ist eine Kost mit viel gesättigten Fettsäuren weniger schädlich fürs Herz als bisher angenommen?

Ist eine Kost mit viel gesättigten Fettsäuren weniger schädlich fürs Herz als bisher angenommen?

© Getty Images/Stockbyte Platinum

CHAPEL HILL. Der Nutzen einer zentralen Ernährungsempfehlung wurde womöglich überschätzt. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler, nachdem sie die Ergebnisse einer randomisierten Untersuchung aus den 60er Jahren neu ausgewertet haben.

Eine Forschungsgruppe um Christopher Ramsden von der Universität North Carolina hat die Originaldaten dieser als "Minnesota Coronary Experiment" bezeichneten Untersuchung 16 Jahre nach deren ursprünglicher Veröffentlichung im Jahr 1989 aus der Versenkung hervorgeholt und im Kontext der heutigen Studienlage neu ausgewertet (BMJ 2016; 353: i1246).

Autopsiebefunde gar nicht erst publiziert

Damals hatte der Studienleiter Ivan Frantz kritische Dokumente wie Autopsiebefunde erst gar nicht publiziert; vermutlich, weil diese nicht zu der allgemein akzeptierten Hypothese gepasst haben.

Das Besondere an dieser Studie ist ihr randomisiertes, doppelblindes Design. Denn heutzutage ist es schwierig, in Ernährungsstudien einen solchen Aufbau mit den ethischen Vorgaben zu vereinbaren.

Dieses Dilemma führte in den letzten Jahren zu einer Flut epidemiologischer Studien; deren Aussagekraft ist jedoch limitiert, und eine Kausalität lässt sich daraus nicht ableiten.

So konnte bisher auch keine randomisierte Studie den Beweis erbringen, dass eine Intervention hinsichtlich eines Ersatzes von gesättigten Fettsäuren durch mehrfach ungesättigte eine niedrigere Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen zur Folge hat. Gesichert ist lediglich, dass mit einer solchen Diät der Cholesterinspiegel gesenkt wird.

Austausch gesättigter Fettsäuren

Im Jahr 1968 waren die ethischen Vorgaben offenbar noch nicht all zu streng. Frantz und Kollegen haben in ihrem Experiment 9432 Bewohner aus sechs psychiatrischen Kliniken und einem Pflegeheim in Minnesota zwei Gruppen zugeteilt.

Die eine Gruppe erhielt eine Diät, in der gesättigte Fettsäuren durch mehrfach ungesättigte ersetzt wurden; erreicht wurde dies vor allem durch den Zusatz von Linolsäure in Form von Maiskeimöl oder speziellen Margarinen.

Die Vorgabe war, 18 bis 20 Prozent der Energie durch mehrfach ungesättigte Fettsäuren (Verhältnis 2:1) und nicht mehr als 150 mg Cholesterin pro Tag zuzuführen. Die Kontrollgruppe erhielt eine Krankenhauskost reich an gesättigten Fettsäuren.

Insgesamt 2355 Teilnehmer schafften es, die Diät über mindestens ein Jahr einzuhalten. Am Ende der im Mittel dreijährigen Studiendauer verringerte sich deren Cholesterinspiegel signifikant um 13,8 Prozent im Vergleich zu 1,0 Prozent in der Kontrollgruppe.

Doch wider Erwarten wirkte sich dies nicht auf das Überleben der Teilnehmer aus. Paradoxerweise gingen die niedrigeren Cholesterinspiegel sogar eher mit einem Mortalitätsanstieg einher, gerade bei den über 65-Jährigen. So errechnete die Forschergruppe um Ramsden ein um 22 Prozent höheres Sterberisiko für jede 30 mg/ dl Reduktion an Serumcholesterin.

Anhand der Autopsiebefunde ließ sich auch kein Unterschied in der Häufigkeit von Myokardinfarkten oder atherosklerotischen Veränderungen in den Koronararterien ausmachen: 41 Prozent der Diät-Patienten und 22 Prozent der Kontrollpatienten hatten in der Zeit einen Infarkt erlitten.

Zur Einordnung dieser Ergebnisse haben die Wissenschaftler zusätzlich fünf aktuelle randomisierte Studien, in denen spezifisch die Wirksamkeit eines Ersatzes von gesättigten durch ungesättigte Fettsäuren untersucht worden war, in Form einer Metaanalyse ausgewertet.

 Diese Analyse erbrachte ebenfalls keinen Hinweis, dass eine solche Intervention die kardiovaskuläre Sterblichkeit verringert.

Ernährungshypothese widerlegt?

Die bisherige Evidenz habe somit die zentrale Ernährungshypothese, eine durch den Austausch von gesättigten Fettsäuren durch Linolsäure hervorgerufene Cholesterinsenkung habe ein geringeres KHK-Risiko zur Folge, nicht bestätigt, resümieren die Studienautoren.

Womöglich habe man den Nutzen dieser Empfehlung bisher überschätzt und die potenziellen Risiken, die damit einhergehen, unterschätzt.

So könnte eine hohe Zufuhr an Linolsäure zu einer vermehrten Oxidation von Linolsäure-Derivaten und anderen Lipidmediatoren bei hierfür anfälligen Menschen wie Rauchern oder älteren Personen und dadurch zu einem erhöhten KHK-Risiko beigetragen haben, vermuten die Wissenschaftler.

In diesem Kontext weisen sie auch auf die möglicherweise entscheidende Rolle der Aufnahmequelle von Linolsäure hin. In industriell hergestellten Lebensmitteln wie dem in dieser Studie verwendeten Maiskeimöl wird Linolsäure in hohen Konzentrationen zugesetzt.

 Zudem wird die ungesättigte Fettsäure in solchen Produkten im Gegensatz zu natürlichen Quellen wie Gemüse oder Samen getrennt von Ballaststoffen, Proteinen und Spurenelementen aufgenommen.

Mehr Vorsicht bei Empfehlungen!

Ihrer Ansicht nach sollte man deshalb mit Ernährungsempfehlungen, die über eine natürliche Nahrungsaufnahme hinausgehen, sehr vorsichtig sein.

Eine solche nachträgliche Auswertung ist natürlich gewissen Limitationen unterworfen, auf die die Wissenschaftler auch hinweisen; nicht alle Daten konnten ausgewertet werden, und die Ergebnisse an einer psychiatrischen Klinik lassen sich nicht unbedingt auf die gesunde Allgemeinbevölkerung übertragen.

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