INTERVIEW

Stammzellen halten Gewebe-Umbau nach Herzinfarkt auf

NEU-ISENBURG. Wird die Stammzell-Therapie nach Herzinfarkt künftig zum Standardverfahren werden? Der Frankfurter Kardiologe Professor Andreas M. Zeiher äußert sich im Gespräch mit Thomas Meißner von der "Ärzte Zeitung" optimistisch. Bisherige Studienergebnisse bei einem frischen Herzinfarkt seien vielversprechend. In großen Studien will Zeiher mit seinen Kollegen nun nachweisen, dass die ereignisfreie Überlebenszeit signifikant verlängert werden kann.

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Ärzte Zeitung: Herr Professor Zeiher, totes Herzmuskelgewebe kann man nicht wieder lebendig machen. Versuchen es Stammzell-Therapeuten trotzdem?

Prof. Zeiher: Nein. Man muss unterscheiden zwischen dem frischen Herzinfarkt und dem chronisch geschädigten Herzen nach abgelaufenem alten Infarkt, bei dem sich bereits eine Narbe gebildet hat. Nicht nur in der akuten Situation gehen Herzmuskelzellen zugrunde, sondern auch danach - ein Prozess, der in einer chronischen Herzinsuffizienz münden kann. Die Verabreichung adulter, körpereigener Stammzellen aus dem Knochenmark nach einem frischen Herzinfarkt führt dazu, dass weniger Herzmuskelzellen zusätzlich sterben als ohne die Therapie. Der Umbauprozess nach frischem Herzinfarkt, das Remodeling, kann aufgehalten werden.

Ärzte Zeitung: Was bewirken denn die Stammzellen im Herzen?

Zeiher: Hauptsächlich wird die Durchblutung am Herzinfarkt-Areal verbessert, und zwar durch eine Gefäßneubildung. Aus der gesteigerten Durchblutung resultiert später eine verbesserte Pumpleistung. Nach der Stammzelltherapie werden Schutzfaktoren freigesetzt, die verhindern, dass noch lebende Herzmuskelzellen im Infarktareal sterben. Bei diesen Faktoren handelt es sich zum Beispiel um IGF (Insulin-like Growth Factor), HGF (Hepatocyte Growth Factor) und weitere angiogenetische Faktoren. Darüber hinaus gibt es körpereigene Reparaturmechanismen, die unterstützt werden. So existieren im Herzen Stammzellen, die für Reparaturen zuständig, aber mit einem schweren Herzinfarkt eben überfordert sind. Ich möchte betonen, dass Vorstellungen falsch sind, wonach die Wirkung der Stammzellen darauf beruht, dass sie selbst zu Herzmuskelzellen werden. Das können adulte Stammzellen nur in sehr begrenztem Umfang! Selbst wenn das der Fall wäre, würde es angesichts der relativ geringen Zahl von etwa 200 Millionen transplantierter Zellen im Verhältnis zu den Milliarden Herzmuskelzellen klinisch kaum etwas bewirken.

Ärzte Zeitung: Wie läuft die Therapie im Einzelnen ab?

Zeiher: Die Stammzellen werden ab dem ersten Tag nach der Reperfusionstherapie aus dem Knochenmark entnommen. Das Isolieren der Zellen dauert etwa anderthalb Stunden, eine Kultivierung erfolgt nicht. Der beste Effekt ist zu erzielen, wenn man die Zellen zwei bis drei Tage nach dem Infarkt per Herzkatheter reinfundiert. Das hängt vermutlich mit der Ödembildung und mit lokalen Stoffwechselveränderungen im Infarktgebiet unmittelbar nach der Reperfusion zusammen.

Ärzte Zeitung: Die Daten klinischer Studien zur Stammzellbehandlung sind widersprüchlich - mal waren positive klinische Effekte messbar, mal nicht. Woran liegt das?

Zeiher: Es ist von größter Bedeutung, dass die isolierten Stammzellen ihre Funktion nicht verlieren. Dass die Zellen in der Kulturschale überleben, heißt noch lange nicht, dass sie auch funktionsfähig bleiben und die genannten Faktoren bilden können. Das war offensichtlich auch das Problem einer norwegischen Arbeitsgruppe, deren im "New England Journal of Medicine" veröffentlichte klinische Studie keine Effekte der Stammzelltherapie beobachtet hatte - im Unterschied zu uns.

Ärzte Zeitung: Mit den Zellen lässt sich die linksventrikuläre Auswurffraktion um weniger als zehn Prozent erhöhen. Ist das nicht zu wenig?

Zeiher: Realistisch betrachtet ist das sehr viel. Die Thrombolyse führte bei der Einführung vor ungefähr 20 Jahren zu einer Verbesserung der Pumpfunktion um 2,5 bis 3 Prozentpunkte. Ähnliches erreicht man mit der perkutanen Angioplastie und Stent-Implantation, wobei aber weniger Reinfarkte als unter Thrombolyse auftreten. Behandelt man zusätzlich zur Reperfusion mit adulten Stammzellen, wird die Pumpfunktion noch einmal um zwei bis drei Prozentpunkte besser.

Ärzte Zeitung: Aber waren nicht in einer Studie 1,5 Jahre nach Herzinfarkt kaum klinische Unterschiede im Vergleich zur Kontrollgruppe nachweisbar?

Zeiher: Sie zitieren die Studie von Professor Helmut Drexler aus Hannover. Sie ist mit jeweils 30 Patienten in der Verum- und Kontrollgruppe zu klein, um diese Aussage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit beweisen zu können. Wenn Sie diese Studie fünfmal machen, geht sie - statistisch gesehen - viermal negativ und einmal positiv aus. Nach 18 Monaten hatte sich die Kontrollgruppe erwartungsgemäß soweit verbessert, dass kein signifikanter Unterschied zur Verumgruppe mehr messbar war. Die Verbesserung der Pumpfunktion in der Stammzelltherapie-Gruppe um sechs Prozentpunkte hatte man jedoch bereits nach sechs Monaten gesehen, und dies blieb stabil bis zum Studienende.

Ärzte Zeitung: Und welche Ergebnisse haben Sie erzielt?

Zeiher: Unsere Einjahresergebnisse bei 200 Patienten sehen so aus: In der Placebo-Gruppe sind nach einem Jahr sechs Patienten gestorben, in der Stammzelltherapie-Gruppe zwei. Es gab sechs Reinfarkte in der Placebo-Gruppe und keinen einzigen unter Stammzell-Therapie! Selbstverständlich muss man auch dieses Ergebnis noch einmal mit einer Studie bei etwa 1000 Patienten bestätigen.

Ärzte Zeitung: Wie viele der Stammzellen bleiben am Injektionsort?

Zeiher: Ungefähr 8 bis 10 Prozent der implantierten Zellen werden akut rekrutiert, das bedeutet, sie bleiben im Infarktareal. Die Zellen heften sich an das Gefäßendothel. Das Endothel ist beim Herzinfarkt maximal aktiviert, hat sozusagen alle Rezeptoren aufgestellt, um Zellen anzulocken. Um das Anhaften zu begünstigen, blockieren wir mit einem Ballon für zwei bis drei Minuten die Durchblutung. Die Zellen wandern dann durch die Gefäßwand in das umliegende Gewebe. Wir wissen aber nicht, ob die Zellen nach zwei Monaten immer noch dort sind.

Ärzte Zeitung: Wie sicher ist die Behandlung?

Zeiher: Das Verfahren entspricht dem, was wir täglich im Herzkatheter-Labor machen. Die Knochenmarksaspiration hat bei unseren mehr als 500 Patienten zu keiner einzigen Blutungs- oder anderen Komplikation geführt. Da es sich um körpereigene Zellen handelt, sind mittelfristig - also bis zu zehn Jahren! - ebenfalls keine unerwünschten Wirkungen zu erwarten. Einschränkend muss man sagen: Wir haben erst sechs Jahre Erfahrung damit.

Ärzte Zeitung: Für welche Herzinfarkt-Patienten käme denn künftig die Stammzelltherapie infrage?

Zeiher: Sinnvoll ist sie nur für Patienten mit großem Herzinfarkt. Das bedeutet: bei Schädigung von 10 bis 15 Prozent des Herzmuskels oder bei einer linksventrikulären Auswurffraktion von weniger als 45 Prozent. Bei kleinen Infarkten mit geringer Einschränkung der Pumpfunktion ist kein wesentlicher Effekt zu erwarten.

Ärzte Zeitung: Welche Voraussetzungen muss die Stammzelltherapie erfüllen, wenn sie sich als klinische Standardtherapie durchsetzen soll?

Zeiher: Die bisherigen Studienergebnisse sind vielversprechend. Jetzt müssen wir in großen Studien noch nachweisen, dass die ereignisfreie Überlebenszeit signifikant verlängert werden kann.

Ärzte Zeitung: Welche Möglichkeiten bietet die Zelltherapie nach Jahre zurückliegenden Herzinfarkten?

Zeiher: Wir sehen auch Effekte bei Patienten, die Jahre nach einem Infarkt eine Herzinsuffizienz zweiten bis dritten Grades entwickelt haben. Diese Wirkungen sind aber etwas geringer ausgeprägt als bei der Akutbehandlung. Wahrscheinlich findet ein geringerer Anteil der infundierten Stammzellen den Weg zur alten Herzinfarkt-Narbe. Wo die Narbenbildung abgeschlossen ist, kann auch weniger regenerieren als in der akuten Situation. Wir wollen künftig die Stammzellen deshalb vorbehandeln, um sie "klebriger" zu machen, sodass mehr von ihnen im Herzen bleiben und besser durch das Gefäßendothel hindurch wandern als bisher.

Ärzte Zeitung: Und wie viel kostet die Therapie mit Stammzellen?

Zeiher: Die Knochenmarksaufbereitung kostet 1500 bis 1800 Euro, was vergleichsweise günstig ist, die Katheteruntersuchung etwa 2000 Euro.

Professor Andreas Zeiher und seine Kollegin Professor Stefanie Dimmeler werden für ihre Arbeiten zur Stammzellforschung bei Herzinfarkt im Mai einen der höchstdotierten europäischen Forschungspreise entgegennehmen, den Ernst-Jung-Preis für Medizin 2007. Sie teilen sich das Preisgeld von 250 000 Euro mit dem Wiener Molekularbiologen Professor Josef M. Penninger.



Zur Person

Prof. Andreas M. Zeiher ist Kardiologe am Uni-Klinikum in Frankfurt am Main. Unter seiner Leitung wird dort an Progenitorzellen geforscht, die ischämisches Myokardgewebe regenerieren sollen. Zeiher ist Mitglied der Jury des von der "Ärzte Zeitung" ausgelobten und alle zwei Jahre vergebenen Galenus-von-Pergamon-Preises für pharmakologische Forschung.

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