Feinstaubbelastung

Herzinfarktrisiko ist wohl höher als gedacht

Die EU hat ihre Feinstaub- und Stickstoffoxid-Grenzwerte möglicherweise zu niedrig angesetzt: Schon geringere Konzentrationen erhöhen das Herzinfarktrisiko offenbar deutlich. Darauf deutet eine Studie hin, die beim ESC-Kongress vorgestellt wurde.

Von Veronika Schlimpert Veröffentlicht:

LONDON. Die EU hat ihre Feinstaub- und Stickstoffdioxid (NO2)-Grenzwerte womöglich zu locker festgelegt. Darauf deutet eine Studie hin, die von Dr. Jean-Francois Argacha vom Uniklinikum Brüssel auf einer Pressekonferenz des ESC-Kongresses 2015 vorgestellt wurde. Argacha und sein Team haben die Assoziation zwischen kurzfristigen Feinstaub- und gasförmigen Schadstoffbelastungen und der STEMI-Rate in Belgien untersucht.

Demnach erhöhte ein Anstieg von 10 µg/m3 PM2,5-Konzentration, also Feinstaub-Partikel mit einem Durchmesser =2,5 µm, das Risiko für einen STEMI um 2,8 Prozent - und zwar bereits innerhalb eines Tages, an dem die erhöhte Belastung gemessen wurde. Noch deutlicher fiel die Risikoerhöhung mit 5,1 Prozent pro 10 µg/m3 im Falle von NO2 aus.

Aufhorchen in Deutschland

Dabei würde Belgien die von der EU vorgegebenen NO2- und Feinstaub-Grenzwerte einhalten, betonte Argacha. Europaweit gilt für NO2 ein Jahresgrenzwert von 40 µg/m3 im Jahresmittel; für PM2,5-Partikel entsprechend 25 µg/m3.

Dieser Befund sollte auch in Deutschland aufhorchen lassen. Erst kürzlich hat die EU-Kommission Deutschland nämlich aufgrund zu hoher NO2-Verschmutzungen in den Innenstädten ermahnt. Besonders der Ausstoß von Diesel-Autos gehe mit einer hohen NO2-Belastung einher, sagte Argacha. Und dieser ist in Deutschland besonders hoch, unter anderem deshalb, weil hier wie auch in manch anderen EU-Ländern der Dieselkraftstoff gegenüber Benzin steuerlich begünstigt wird.

Die europäische Politik agiere in Sachen Luftqualitätsschutz zu industriefreundlich, führt Argacha an. So hätte die WHO bei einigen Schadstoffen strengere Grenzwerte festgelegt wie im Falle der PM10-Partikel, bei denen sie statt 40 µg/m3, wie es die EU vorgebe, 25 µg/m3 empfehle. "Vielleicht ist es an der Zeit, dass die EU ihre Empfehlungen entsprechend anpasst", gab Argacha zu bedenken.

Die Luftverschmutzungen in Echtzeit hat Argachas Team aus Messwerten der "Belgian Interregional Environment Agency" (IRCL-CELINE) für alle belgischen Regionen errechnet. Diese Werte wurden mit 11.428 Patientenfällen, die zwischen 2009 und 2013 aufgrund von STEMI in die Klinik eingewiesen und im "Belgian Interdisciplinary Working Group on Acute Cardiology (BIWAC) STEMI"-Register dokumentiert worden waren, in Beziehung gesetzt.

Reagieren Männer empfindlicher auf Abgase?

Die in diesem Zeitraum beobachtete Assoziation zwischen NO2- und PM2,5-Erhöhungen und steigenden STEMI-Raten fand sich allerdings nur bei Männern. Dies könne an der Unterrepräsentierung der Frauen liegen, lautet eine Erklärung Argachas, sie machten nämlich weniger als 25 Prozent der Studienpopulation aus.

Andererseits gebe es die Hypothese, dass Männer auf Luftverschmutzung hinsichtlich ihres Blutdrucks, arteriellen Gefäßsteifigkeit und Herzfrequenz-Variabilität sensibler reagierten. Einschränkend zu erwähnen ist zudem, dass zwischen einer Luftverschmutzung und der STEMI-assoziierten Sterblichkeit kein Zusammenhang gefunden wurde.Gleichwohl waren sich die Diskutanten der Pressekonferenz einig, dass ein verstärktes politisches Engagement für eine bessere Luftqualität wichtig sei.

Denn der Einzelne könne schlechte Luft nur schwer meiden.Professor Oscar Franco Duran aus Rotterdam stellte in London die von der ESC zusammen mit der "European Association for Cardiovascular Prevention and Rehabilitation" (EACPR) und dem "European Heart Network" (EHN) ins Leben gerufene Kampagne "Environment & the Heart" vor.

Mit dieser Kampagne soll das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Wechselwirkung von Umwelt und Herzgesundheit gestärkt und politische Umweltschutz-Aktionen angeregt werden.

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