Hintergrund

Schweine haben ein Herz für Menschen

Forscher versuchen, dem Mangel an Spenderorganen durch Züchtung transgener Schweine abzuhelfen. Deren Organe bieten menschlichen Immunzellen weniger Angriffspunkte und schwächen Abstoßungsreaktionen ab. Gehört der Xenotransplantation die Zukunft?

Von Werner Stingl Veröffentlicht:
Schweine haben ein Herz für Menschen.

Schweine haben ein Herz für Menschen.

© Simone van den Berg / fotolia.com

Lässt sich mit transgenen Schweinen der Organmangel für Transplantationen mildern?

In sieben bis acht Jahren könnten erste klinische Studien mit Schweineherzen starten, prophezeite Professor Bruno Reichart auf einer Tagung des Centers for Advanced Studies in München.

Und schon in fünf bis sechs Jahren könnten Inselzellen transgener Schweine auf medikamentös nicht einstellbare Diabetiker übertragen werden, sagte Reichart, Sprecher der "Transregio Forschergruppe Xenotransplantation".

Die Idee, mit Tierorganen Engpässe zu überwinden, ist nicht neu.

1964: Transplantation eines Schimpansenherz

So verpflanzte 1964 Dr. James Hardy in den USA einem sterbenden Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz das Herz eines Schimpansen - es schlug noch knapp zwei Stunden.

Auch der Pionier der Herztransplantation Christiaan Barnard versuchte 1977 in Kapstadt, mit einem Pavianherz einen Menschen zu retten: Der lebte noch fünf Stunden. Ein Patient, dem er ein Schimpansenherz einsetzte, lebte noch fünf Tage.

In der Folgezeit wurden immer bessere Ergebnisse mit Herztransplantationen zwischen eng verwandten Tierarten erzielt.

In den 80-er Jahren funktionierten Herzen von grünen Meerkatzen unter üblicher Immunsuppression 70 und mehr Tage in der Brust von Pavianen. Klinische Studien mit Primatenherzen für Menschen scheiterten aber an ethischen Widerständen vor allem gegen die Verwendung von Menschenaffen als Spender.

Die Herzen von nichthominoiden Primaten wie Pavianen sind aber für erwachsene Menschen eigentlich zu klein.

Schweineherzen erreichen schnell die erforderliche Größe

Die Xenotransplantatforschung wandte sich deshalb den Schweinen zu, bei denen keine ethisch-tierschutzrechtlichen Bedenken bestehen, erläuterte Reichart.

Auch haben Schweineherzen dem Menschen angemessene Ausmaße, und die vermehrungsfreudigen Tiere erreichen schnell die erforderliche Größe.

Alternative zur Transplantation: Stammzellen

Eine Alternative zu Herztransplantation und Kunstherz sind Stammzellen: Durch Injektion in nekrotisches Gewebe sollen sie die Funktion des Myokards erneuern.

Erst kürzlich haben Forscher eine therapeutische Regeneration von Herzgewebe nach Myokardinfarkt erreicht (Lancet online 13. Februar 2012): Bei Patienten mit Myokardinfarkt haben sie aus deren Herzgewebe adulte kardiale Stammzellen gewonnen und wieder intrakoronar injiziert.

Nach sechs Monaten war im MRT die Größe der Infarktnarbe im Vergleich zur Kontrollgruppe absolut um 7,7 Prozent, nach zwölf Monaten um 12,3 Prozent reduziert. Die Masse des vernarbten Herzgewebes war signifikant geschrumpft, die des gesunden Myokards hatte signifikant zugenommen.

Auch regionale Kontraktilität und systolische Wanddicke waren gebessert. Allerdings spiegelten sich diese Erfolge nicht in funktionellen Parametern wider: weder bei Auswurffraktion, 6-Minuten-Gehtest, linksventrikulärem enddiastolischem noch beim endsystolischen Volumen.

Allerdings ist die evolutionäre Verwandtschaft und damit die immunologische Kompatibilität zu Menschen geringer als bei Affen, denn die Stammbäume von Mensch und Schwein haben sich bereits vor 90 Millionen Jahren getrennt. Ein Schweineherz würde im Menschen trotz Immunsuppression infolge der hoch unterschiedlichen Eiweißmuster und der hyperakuten Abstoßungsreaktion in Minuten bis Stunden vernichtet.

Inzwischen wurden jedoch molekularbiologisch transgene Schweine gezüchtet, deren Antigenprofil dem Immunsystem von Menschen weniger Angriffspunkte bietet.

Gleichzeitig werden Schweine genetisch so umgerüstet, dass ihre Organe humane oder äffische Komplementregulationsfaktoren exprimieren und so nach einer Transplantation Immunangriffe des Empfängers abschwächen.

Bald Tests beim Menschen

Eine weitere Strategie ist, im Empfänger schon Wochen bis Monate vor der Transplantation Immuntoleranzen gegen das Spenderorgan zu induzieren.

Dank dieser ständig verbesserten konzertierten "Verträglichkeitsbemühungen" überleben Schweineherzen inzwischen schon mehrere Monate in Pavianen, und es ist absehbar, dass die Methode bald bei Menschen geprüft werden kann.

Die Gefahr, mit einem Schweineorgan Schweinekrankheiten auf Menschen zu übertragen, schätzt Reichart als eher gering ein, zumal die Spenderschweine in einer weitgehend sterilen Umwelt gezüchtet und auf mögliche Erreger getestet werden.

Auch das Risiko, dass Menschen mit vitalem Schweinegewebe anfällig für Schweinekrankheiten werden könnten, für die sie bislang unangreifbar waren - man denke etwa an die Schweinepest - sieht Reichart zumindest praktisch nicht.

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