Vorhofflimmern und Schlaganfall

Studie stellt Kausalität in Frage

Vorhofflimmern ist mit einem erhöhten Risiko für Schlaganfalle assoziiert, wie man weiß. Welche konkreten Zusammenhänge verbergen sich aber hinter dieser Assoziation? Eine neue Studie lässt das gängige Verständnis, wie Vorhofflimmern Schlaganfälle hervorruft, als korrekturbedürftig erscheinen.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Gerinnsel: Wie und ob sie durch Vorhofflimmern ins Gehirn gelangen, ist weiter unklar.

Gerinnsel: Wie und ob sie durch Vorhofflimmern ins Gehirn gelangen, ist weiter unklar.

© Ingram Publishing / thinkstock.com

HAMILTON. Unkoordinierte Erregung des Vorhofs, dadurch kontraktiler "Vorhofstillstand", Blutflussverlangsamung (Stase), Gerinnselbildung, schließlich Verschleppung (Embolisierung) des kardialen Thrombus ins Gehirn - so etwa stellt man sich ihn vor, den pathogenetischen Prozess der durch Vorhofflimmern ausgelösten Entstehung eines Schlaganfalls.

Zumindest bei subklinischem, also asymptomatischem Vorhofflimmern lässt sich die damit assoziierte Zunahme von Schlaganfällen mit diesem mechanistischen Verständnis allerdings nicht erklären. Das zeigen Ergebnisse einer aktuellen Analyse von Daten der ASSERT-Studie zum zeitlichen Zusammenhang zwischen Arrhythmie und embolischen Ereignissen (Circulation 2014; online 14. März).

Die ASSERT-Studie hat schon einmal, nämlich Anfang 2012, für Aufsehen gesorgt - lieferte sie doch den Beleg dafür, dass schon kurze und völlig asymptomatische Episoden von Vorhofflimmern bei Patienten, die zuvor keine klinischen Anzeichen für eine solche Arrhythmie geboten hatten, das Schlaganfallrisiko deutlich erhöhen.

Um den Zusammenhang zwischen subklinischem Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko zu klären, hatte eine internationale Arbeitsgruppe um den kanadischen Kardiologen Dr. Jeff Healey aus Hamilton 2580 Patienten, denen ein Schrittmacher (95 Prozent) oder Defibrillator (fünf Prozent) implantiert worden war, in die Studie aufgenommen. Bedingung war: kein bekanntes Vorhofflimmern in der Vorgeschichte.

Schrittmacher zum Arrhythmie-Monitoring

Moderne Herzschrittmacher- und ICD-Systeme sind - bei Ausstattung mit einer "wahrnehmenden" Elektrode und entsprechender Programmierung - auch in der Lage, subklinische Episoden einer hochfrequenten atrialen Tachyarrhythmie als Korrelat von Vorhofflimmern zu detektieren.

Mithilfe der implantierten Systeme sind in einer ersten Phase der ASSERT-Studie zunächst drei Monate lang alle atrialen Tachyarrhythmien (mehr als 190 Schläge pro Minute über mindestens sechs Minuten) aufgezeichnet worden. In dieser Zeit wurde bei rund zehn Prozent aller Teilnehmer mindestens eine entsprechende Arrhythmie-Episode entdeckt.

Es folgte eine zweite Phase von zweieinhalbjähriger Dauer, in der primär die in dieser Zeit aufgetretenen ischämischen Schlaganfälle und systemischen Embolien erfasst wurden. In dieser Phase entwickelten weitere Patienten (24,5 Prozent) subklinische atriale Tachyarrhythmien.

Ergebnis: Patienten, die in den ersten drei Monaten subklinisches Vorhofflimmern aufwiesen, hatten in der Folge ein 2,5-fach höheres Schlaganfallrisiko als Patienten ohne entsprechende Episoden (Inzidenzrate: 4,2 versus 1,7 Prozent).

Mit diesem Nachweis wollten es Healey und seine Kollegen nicht bewenden lassen. Sie sind in der Folge dem Zusammenhang zwischen subklinischem Vorhofflimmern und embolischen Ereignissen noch genauer auf den Grund gegangen, und zwar anhand der zeitlichen Beziehung zwischen detektierten Arrhythmie-Episoden und dem Auftreten von Schlaganfällen oder systemischen Embolien.

Nur ein sehr loser zeitlicher Zusammenhang

Von 51 Patienten mit Schlaganfällen oder systemischen Embolien hatten 26 (51 Prozent) subklinisches Vorhofflimmern, das bei 18 Patienten (35 Prozent) schon vor dem Ereignis, bei acht Patienten (16 Prozent) hingegen erst danach entdeckt worden war.

Aber: Nur bei vier Patienten (acht Prozent) war die Arrhythmie überhaupt in einer gewissen zeitlichen Nähe zum Schlaganfall aufgetreten - nämlich in den vorangegangenen 30 Tagen. Und nur ein einziger dieser vier Patienten hatte subklinisches Vorhofflimmern zum Zeitpunkt des Schlaganfalls.

Bei jenen Patienten, deren asymptomatisches Vorhofflimmern schon länger als 30 Tage zurücklag, betrug der kürzeste Zeitabstand zwischen entdeckter Arrhythmie-Episode und Schlaganfall 339 Tage. Auch waren die meisten Episoden kürzer als 48 Stunden - eine Dauer, die gemeinhin als zeitliche Mindestvoraussetzung für eine kardiale Thrombusbildung gilt.

Ein merkwürdiges Ergebnis: Obwohl subklinisches Vorhofflimmern mit einer deutlichen Zunahme von Schlaganfällen einherging, waren die meisten detektierten Arrhythmie-Episoden von diesen klinischen Ereignissen zeitlich so weit entfernt, dass eine unmittelbare kausale Beteiligung an der Schlaganfallentstehung schwer vorstellbar ist.

Sollte dennoch ein kausaler Zusammenhang bestehen, so müsse er weitaus komplexer sein, als es das bisherige Verständnis der Pathogenese suggeriere, so die Studienautoren. Denkbar sei etwa, dass Vorhofflimmern Veränderungen wie Endotheldysfunktion oder erhöhte Entzündungsaktivität nach sich zieht und so über indirekte Mechanismen Vorhofflimmern begünstigt.

Healey und seine Kollegen halten es aber auch für möglich, dass subklinisches Vorhofflimmern nur ein nicht ursächlich beteiligter Marker für ein erhöhtes kardioembolisches Risiko ist.

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