Neue Therapie bei Vorhofflimmern?

Botulinumtoxin verblüfft Kardiologen

Auch Kardiologen haben jetzt für den als Faltenglätter Botulinumtoxin bekannten Wirkstoff eine mögliche therapeutische Verwendung entdeckt: zur Unterdrückung von Vorhofflimmern nach Bypass-Operationen. Doch noch gibt es viele Fragezeichen.

Peter OverbeckVon Peter Overbeck Veröffentlicht:
Botulinustoxin kann offenbar viel mehr als nur Falten glätten.

Botulinustoxin kann offenbar viel mehr als nur Falten glätten.

© michaeljung / iStock / Thinkstock.com

NOVOSIBIRSK. Großes Erstaunen riefen bei den anwesenden Kardiologen die im Mai 2015 beim Kongress der Heart Rhythm Society (HRS) in Boston erstmals vorgestellten Forschungsergebnisse einer Gruppe russischer Kollegen hervor.

Diese hatten in einer kleinen randomisierten kontrollierten Pilotstudie einen ungewöhnlichen Therapieansatz - die intraoperative Infiltration von Botulinumtoxin in das epikardiale Fettgewebe - in seiner Wirkung auf das Auftreten von Vorhofflimmern nach chirurgischer Myokardrevaskularisation geprüft - mit verblüffendem Erfolg.

Die Gruppe um den Kardiologen Dr. Evgeny Pokushalov aus Novosibirsk hat ihre Studienergebnisse jetzt im Fachblatt "Circulation: Arrhythmias and Electrophysiology" veröffentlicht (Circ Arrhythm Electrophysiol 2015, online 20. Oktober).

Test bei 60 Patienten

Für die Studie sind an zwei Zentren in Russland 60 Patienten mit Indikation zur aortokoronaren Bypass-Operation rekrutiert worden. Bei allen Teilnehmern war bereits in der Vorgeschichte paroxysmales Vorhofflimmern aufgetreten, was auf ein erhöhtes Risiko für eine postoperative Entwicklung von Vorhofflimmern als Folge des herzchirurgischen Eingriffs schließen ließ.

Nach randomisierter Aufteilung in zwei Behandlungsgruppen wurde den Patienten im Anschluss an die erfolgte Bypass-Operation entweder Botulinustoxin oder normale Kochsalzlösung (Placebo) in epikardiale Fettpolster injiziert. Botulinustoxin blockiert bekanntlich vorübergehend die Freisetzung von Acetylcholin aus synaptischen Vesikeln und hemmt so die cholinerge Erregungsübertragung von Nervenzellen.

Komplikationen infolge der Injektionen traten nicht auf. Alle Studienteilnehmer erhielten zwecks kontinuierlicher Herzrhythmus-Überwachung einen implantierbaren Eventrekorder, dessen Aufzeichnungen jeweils nach 7, 14, 21 und 30 Tagen sowie nach 3,6, 9 und 12 Monaten ausgewertet wurden.

Langfristige Arrhythmiefreiheit

Die Ergebnisse zum kurzfristigen Effekt der intraoperativen Injektionen innerhalb der ersten 30 Tage waren bereits im August 2014 im Fachblatt JACC publiziert worden. Sie entsprechen weitgehend den Erwartungen.

Danach wurde ein postoperatives Auftreten von Vorhofflimmern bei zwei (7 Prozent) von 30 Patienten in der Botulinumtoxin-Gruppe und bei neun (30 Prozent) von 30 Patienten der Kontrollgruppe registriert - ein signifikanter Unterschied zugunsten der Toxin-Injektion (p=0,024).

Eine echte Überraschung sind jedoch die in der Folgezeit bis zum Studienende beobachteten Auswirkungen. In dieser Phase hätte die arrhythmiesupprimierende Wirkung von Botulinustoxin den Erwartungen der Studienautoren entsprechend eigentlich abklingen müssen.

 Das tat sie aber erstaunlicherweise nicht: Im Zeitraum zwischen dem 30. Tag und dem Studienende nach zwölf Monaten entwickelte in der Botulinustoxin-Gruppe nicht ein einziger Patient Vorhofflimmern, im Vergleich zu sieben (27 Prozent) von 30 Patienten in der Kontrollgruppe (p = 0,002).

Weitere Studien gefordert

Als eine in die Leitlinien aufzunehmende Therapieoption zum Schutz vor atrialen Arrhythmien bei Herzoperationen hat sich die intraoperative Botulinustoxin-Injektion mit diesen Daten noch nicht qualifiziert. Dafür bedarf es einer Bestätigung der positiven Ergebnisse in größeren Studien, heißt es in einer Stellungnahme der American Heart Association (AHA) zur Publikation der Studie.

Das sehen auch die Studienautoren so. Sollte sich der klinische Nutzen in weiteren Studien bestätigen, könnte sich die noch als experimentell einzustufende Methode auch als mögliche Option bei Herzklappen-Operationen erweisen, die ebenfalls häufig Vorhofflimmern nach sich ziehen.

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