Schlaganfall

Zu frühe Blutdrucksenkung kann schädlich sein

Ärzte können bei Schlaganfallpatienten mit der Blutdrucksenkung warten, bis diese wieder stabil sind. Eine Drucksenkung in der Akutphase verbessert die Prognose nämlich kaum, erhöht aber die Gefahr von Komplikationen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Eine zu frühe Blutdrucksenkung nach einem Schlaganfall verbessert die Prognose des Patienten nicht. Es können sogar gefährliche Komplikationen auftreten.

Eine zu frühe Blutdrucksenkung nach einem Schlaganfall verbessert die Prognose des Patienten nicht. Es können sogar gefährliche Komplikationen auftreten.

© Jochen Lübke / dpa

NOTTINGHAM. Erneut legt eine große Studie nahe, dass Ärzte in der Akutphase eines Schlaganfalls sehr zurückhaltend mit Antihypertensiva umgehen sollten. Weder bei einem hämorrhagischen noch bei einem ischämischen Schlaganfall lässt sich dadurch die Funktionsfähigkeit der Patienten verbessern.

Für die Studie "ENOS" haben Schlaganfallspezialisten um Professor Philip Bath von der Universität in Nottingham mehr als 4000 Patienten in 23 Ländern behandelt. Alle hatten entweder einen ischämischen oder hämorrhagischen Insult und erhöhte Blutdruckwerte bei der Klinikaufnahme im Bereich von 140-220 mmHg.

Die Ärzte um Bath begannen bei der Hälfte der Patienten innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn mit einer Stickoxid-Therapie zur raschen Drucksenkung. Diese Patienten bekamen sieben Tage lang ein Pflaster mit Glyzerintrinitrat (5mg/d).

Etwa die Hälfte aller Patienten hatte vor dem Insult schon Antihypertensiva erhalten. In dieser Gruppe wurde die bisherige Therapie - unabhängig von der Nitroglyzerin-Behandlung - bei rund 1000 Patienten in der Akutphase fortgeführt, bei ebenso vielen nicht. Sie erhielten die gewohnte Medikation erst wieder sieben Tage nach dem Ereignis.

Rasche Drucksenkung mit Nitroglyzerin, aber kein Nutzen

Im Schnitt zeigte der Blutdruck bei der Aufnahme einen Wert von 167/90 mmHg. In der Gruppe mit dem Nitroglyzerin-Pflaster sank er nach der ersten Applikation um 7/3,5 mmHg stärker als in der Kontrollgruppe, nach drei Tagen gab es zwischen den beiden Gruppen aber keine signifikanten Unterschiede mehr.

Umgekehrt verhielt es sich in der Gruppe mit fortgesetzter Antihypertensiva-Therapie. Hier kristallisierten sich erst nach zwei Tagen Differenzen zu den Patienten mit Medikationsstopp heraus, nach sieben Tagen war der Blutdruck mit fortgeführter Therapie um 9,5/5 mmHg stärker gesunken als in der Gruppe mit Therapie-Unterbrechung, zu einer Drucksenkung kam es jedoch in beiden Gruppen.

Auf die Funktionsfähigkeit nach 90 Tagen, gemessen mit der modified Rankin Scale (mRS), hatte die Drucksenkung in der Akutphase jedoch keinen Einfluss: 12 Prozent der Patienten mit Nitroglyzerin waren gestorben, 13 Prozent ohne. Von den Patienten mit fortgesetzter Antihypertensiva-Therapie waren nach drei Monaten 16 Prozent tot, von denen mit Therapieunterbrechung sogar etwa weniger (14 Prozent), die Unterschiede waren aber nicht signifikant.

Auch der Anteil von Patienten mit geringem Behinderungsgrad (mRS 0-2) unterschied sich kaum, er lag in allen Gruppen zwischen 35 Prozent und 40 Prozent.

Häufiger Pneumonien bei Akuttherapie mit Blutdrucksenkern

Statistisch auffällig waren jedoch einige Punkte bei den Patienten, die auch in der Akutphase ihre Antihypertensiva bekamen: Sie starben häufiger im Krankenhaus oder mussten anschließend in eine Pflegeeinrichtung überwiesen werden, auch zeigten sie nach 90 Tagen eine schlechtere kognitive Leistung als solche ohne Blutdrucksenker und entwickelten öfter eine Pneumonie, vor allem, wenn sie Probleme hatten, die Pillen zu schlucken.

Möglicherweise gelangte bei diesen Patienten mehr Wirkstoff in die Lunge als in den Magen, vermuten die Studienautoren.

Ging das Team um Bath nun eine Liste von etwa 40 Subgruppen durch, so zeigten sich auch hier kaum signifikante Effekte. Auffallend war allenfalls ein gewisser Nutzen bei Patienten, die in den ersten sechs Stunden nach Symptombeginn Nitroglyzerin bekamen.

Sie hatten mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von etwa 3 Prozent nach drei Monaten einen besseren mRS-Wert als Patienten ohne die Stickoxid-Behandlung. Betrachtet man aber die Gesamtzahl der Subgruppen, reicht auch das für eine Signifikanz nicht aus, schließlich hätte bei der hohen Subgruppenzahl die Fehlerwahrscheinlichkeit dafür unter 0,1 Prozent liegen müssen (p0,001).

Das Fazit der Studienautoren: Eine Nitroglyzerin-Therapie vermag zwar den Blutdruck in der Akutphase bei einem Schlaganfall deutlich zu senken, verbessert aber die Prognose nicht. Immerhin gab es mit der Therapie keine verstärkten Nebenwirkungen. Auch eine Fortführung der Antihypertensiva-Therapie in den ersten sieben Tagen nach einem Insult bringt keinen Nutzen, eher könnte die Therapie noch schaden.

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass mit der Antihypertensiva-Behandlung erst wieder begonnen werden sollte, wenn ein Patient stabil und in der Lage ist, die Medikation sicher zu schlucken", so Bath. "Einige Ärzte meinen, sie müssten Schlaganfall-Patienten möglichst schnell wieder auf ihre gewohnten Antihypertensiva setzen, unsere Studie legt hingegen nahe, sie sollten sich damit nicht allzu sehr beeilen."

Ähnlich ernüchternd waren die zum Jahresbeginn veröffentlichten Ergebnisse der Studie "CATIS" aus China: Hier führte eine Drucksenkung innerhalb von 48 Stunden nach einem ischämischen Insult zu keiner besseren Prognose. Und in der Studie "SCAST" ergab eine frühe Senkung des Blutdrucks mit Candesartan keinen Hinweis auf einen Nutzen .

Leitlinie rät von Blutdrucksenkung ab

Nach der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) sollten Ärzte bei einem ischämischen Schlaganfall auf eine Drucksenkung verzichten, solange der Druck unter 220/120 mmHg liegt. "Da die Autoregulation des zerebralen Blutflusses in Arealen mit sich entwickelnden Infarkten aufgehoben sein kann und somit direkt vom systemischen Blutdruck abhängen kann, sollten Blutdruckabfälle in der Akutphase unbedingt vermieden werden", heißt es in der Leitlinie.

Bei Patienten mit Lysetherapie oder Antikoagulation darf aufgrund der Blutungsgefahr der systolische Druck jedoch 185 mmHg nicht überschreiten. "Eine Lysetherapie sollte sehr zurückhaltend indiziert werden, wenn der Blutdruck nicht unter diesen Wert gesenkt werden kann", schreiben die Leitlinienautoren.

Als weitere Indikationen für eine frühe Drucksenkung nennen sie ein Myokardinfarkt, eine Herzinsuffizienz, akutes Nierenversagen oder eine akute hypertensive Enzephalopathie. Bei den übrigen Patienten rät die Leitlinie zu einer medikamentösen Normalisierung des Blutdrucks nach zwei bis drei Tagen, falls keine raumfordernde Wirkung des Schlaganfalls zu erwarten ist.

Allerdings sei zu berücksichtigen, dass sich erhöhte Blutdruckwerte nach Schlaganfällen oftmals spontan in den ersten Wochen zurückbilden, entsprechend sollten Ärzte die Therapie anpassen.

Bei einem hämorrhagischen Insult sollte nach der DGN-Leitlinie eine Blutdrucksenkung erfolgen, wenn im Abstand von 15 Minuten zwei Blutdruckmessungen Werte über 180/105 mmHg (bei bekanntem Hypertonus) oder über 160/95 mmHg (bei nicht bekannter Hypertonie) ergeben haben.

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