Die "Pille" für den Mann

Kommt sie oder kommt sie nicht?

Schon seitdem es die "Pille für sie" gibt, wird auch über eine "Pille für ihn" diskutiert. Noch immer gibt es aber große Hürden.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Das bislang einzige Verhütungsmittel für den Mann: Kondome.

Das bislang einzige Verhütungsmittel für den Mann: Kondome.

© picscout

NEU-ISENBURG. Das einzige Verhütungsmittel für Männer ist schon etwas alt: Seit sich die ersten Mutigen vor etwa 400 Jahren Hammeldärme über ihre erigierten Penisse zogen, ist in diesem Bereich doch ein gewisser Innovationsstau zu beobachten.

Zwar wird über die "Pille für den Mann" schon so lange geredet, wie es sie für die Frau gibt, aber bislang hat noch kein einziges pharmakologisches Kontrazeptivum zur Anwendung beim Manne den Durchbruch geschafft.

Dies liegt weniger daran, dass eine solche Kontrazeption nicht möglich wäre: Nebenwirkungen, eine umständliche Anwendung, häufige Kontrollen und die lange Zeit bis zur wirksamen Unterdrückung der Spermatogenese sind eher Gründe für das Scheitern der bisherigen Ansätze, berichten Reproduktionsmediziner um Dr. Mara Roth von der Universität in Seattle in einer Übersichtsarbeit (Andrology 2015, online 9. Oktober).

Testosteron als Basis für die Kontrazeption

Prinzipiell klappt die pharmakologische Unterdrückung der Spermatogenese recht gut. Bei einem gesunden zeugungsfähigen Mann führt bekanntlich Gonadotropin-releasing Hormon (GnRH) aus dem Hypothalamus zur Freisetzung von luteinisierendem Hormon (LH) und follikelstimulierendem Hormon (FSH) aus der Hypophyse - der männliche Körper nutzt bis hierhin also ähnliche Sexualhormone wie der weibliche.

LH führt nun zur Testosteronausschüttung in den Leydigzellen des Hodens. Testosteron zusammen mit FSH kurbelt die Spermatogenese in den Sertolizellen an, wirkt gleichzeitig aber als Bremse in Hypothalamus und Hypophyse: Hohe Testosteronspiegel blockieren die LH- und FSH-Freisetzung und damit die Spermatogenese. Testosteron, von außen zugeführt, sollte sich daher prima als Kontrazeptivum eignen.

In der Tat gab es dazu bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren zwei wegweisende Studien der WHO. 200 mg Testosteron-Enantat jede Woche intramuskulär injiziert konnten bei zwei Drittel der jungen Männer eine Azoospermie hervorrufen.

Nur solche Männer durften im zweiten Teil der Studie mit ihren Partnerinnen ungeschützten Geschlechtsverkehr haben, wobei es während knapp 1500 Personenmonaten nur zu einer einzigen Schwangerschaft kam.

 In einer weiteren Studie mit derselben Dosierung wurde auch bei Männern mit Oligozoospermie nach der kontrazeptiven Wirksamkeit geschaut. Dabei erwiesen sich Spermienkonzentrationen unter 1 Million/ml als relativ sicher, was heißt, dass die Schwangerschaftswahrscheinlichkeit bei rund einem Prozentpro Jahr liegt. Viel besser ist die Pille für die Frau häufig auch nicht.

Akne und Haarverlust drohen

Testosteron kam als Verhütungsmittel aber dennoch nicht auf den Markt: Zum einen befürchtete man langfristige Nebenwirkungen wie Akne und Haarverlust bei hohen Dosierungen - die Serumspiegel waren mit 200 mg i.m. in der Regel doppelt so hoch wie physiologisch üblich. Zum anderen dauerte es vier Monate, bis die Spermatogenese ausreichend unterdrückt werden konnte.

Auch unterschritt nicht jeder Mann den geforderten Spermiengrenzwert: Man hätte die Spermienkonzentration also regelmäßig messen müssen. Schließlich sind wöchentliche Injektionen auf Dauer für die Compliance nicht sehr förderlich, schreiben die Ärzte um Roth.

Einige dieser Probleme konnten Forscher inzwischen lösen: Verkürzen lässt sich die Zeit bis zur Oligozoospermie mithilfe von Progestinen - also Gestagen-Derivaten, wie sie auch zur Empfängnisverhütung bei Frauen verwendet werden. Gleichzeitig kann damit die Testosterondosis gesenkt werden.

In einer mehrarmigen Studie mit Testosteron und Etonogestrel als Implantat erreichten die Männer je nach Dosierung Oligozoospermie-Raten um 90 Prozent. Allerdings konnten mit diesem Studiendesign Nebenwirkungen der beiden Präparate nicht klar voneinander abgegrenzt werden.

Implantate und regelmäßige Injektionen

Der Ansatz dürfte sich aber auch aus anderen Gründen nicht durchsetzen: Nach wie vor muss dabei regelmäßig Testosteron injiziert werden. Die Injektionsfrequenz lässt sich zwar mit lang wirksamen Formulierungen wie Testosteron-Undecanoat auf einmal alle drei Monate begrenzen, dennoch dürfte eine Kombitherapie mit Implantaten und regelmäßigen Injektionen kaum Chancen auf dem Markt haben.

Besser sieht es hier vielleicht für eine Gel-Kombination aus: In einer Pilotstudie durften sich Männer mit Testosteron- und Nestoron-Gel eincremen. 89 Prozent der Männer unterschritten damit nach 20 Tagen die Spermien-Grenzkonzentration von 1 Million/ml. Ein weiterer Vorteil: Das Gestagen Nestoron hat keine androgene, östrogene und kortikoide Wirkung, schreiben die Wissenschaftler um Roth.

Auch das synthetische Androgen Dimethandrolon-Undecanoat (DMAU) mit starker Bindung an Androgen- und Progesteronrezeptoren wird derzeit klinisch geprüft. Der Vorteil: Es lässt sich als Pille schlucken. Phase-I-Daten deuten auf eine gute und reversible Unterdrückung der Spermatogenese.

Non-Responder sind ein Problem

Allerdings halten es die Reproduktionsmediziner um Roth für recht unwahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren ein pharmakologisches Kontrazeptivum für den Mann zur Marktreife entwickelt wird. Eine der größten Hürden sei noch immer, dass sich etwa 10 bis 15 Prozent der Männer als therapieresistent erweisen: Bei ihnen klappt die Unterdrückung der Spermatogenese nicht ausreichend.

Weshalb, sei noch völlig unklar, und damit fehlten bislang auch Marker, um die Responder von den Non-Respondern im Voraus zu unterscheiden. Ein anderes Problem sei die Kombination von unterschiedlich applizierten Präparaten.

Wenn etwa ein Präparat geschluckt und das andere gespritzt werden muss, sei die Gefahr hoch, dass eines von beiden gelegentlich vergessen wird. Dies könnte dann die Spermatogenese über Wochen hinweg wieder ankurbeln.

Nicht zuletzt aus solchen Gründen habe das Interesse der Industrie an der "Pille für den Mann" drastisch abgenommen. Es würden kaum noch Gelder in die Entwicklung solcher Kontrazeptiva gesteckt.

Auch die Sicherheitsrisiken scheinen vielen Unternehmen zu hoch - die Gefahr, an den hohen Hürden der Zulassungsbehörden zu scheitern, sei enorm, schreiben die Wissenschaftler um Roth.

Damit war die Einführung von Latexkondomen um das Jahr 1870 die bislang letzte Innovation bei den Verhütungsmitteln für den Mann - und sie wird es wohl noch für lange Zeit bleiben.

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