Gentechnik

Keimbahntherapie soll außen vor bleiben

Neue, effizientere Werkzeuge der Gentechnik, mit denen sich auch das Humangenom verändern lässt, erfordern eine Neubewertung der Chancen und Risiken dieser Methoden. Auf die Keimbahntherapie wollen Forscher noch verzichten.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Neue Gentechniken wie CRISPR-Cas9 erlauben eine präzise Veränderung des Erbguts.

Neue Gentechniken wie CRISPR-Cas9 erlauben eine präzise Veränderung des Erbguts.

© freshidea / fotolia.com

WASHINGTON. In den USA wurde Anfang des Jahres durch die Nationale Akademie der Wissenschaften und die Nationale Medizinische Akademie eine Initiative ins Leben gerufen, die die Öffentlichkeit mit Informationen über die neuen Methoden der Genmanipulation versorgen will.

Sicher mit ein Anlass ist das fast schon euphorische Interesse der Wissenschaftler an einer Methode, die als "CRISPR-Cas9" bezeichnet und salopp wie "crisper" gesprochen wird und die im Labor offenbar sehr einfach anzuwenden ist.

Ein wichtiger Teil dieser Initiative war die drei Tage währende, von US-amerikanischen, britischen und chinesischen wissenschaftlichen Akademien ausgerichteten Tagung in Washington, auf der kürzlich die Chancen und Risiken der neuen Gentechniken, auch im Zusammenhang mit möglichen - in Deutschland explizit verbotenen - Keimbahnveränderungen diskutiert wurden.

Manche bezeichnen diese Veranstaltung wegen ihrer Bedeutung für die künftige Forschung und die gesellschaftlichen Konsequenzen bereits als Asilomar 2.0 - zu Recht. Zur Erinnerung: Während der Konferenz in Asilomar, einem Ort südlich von San Francisco, im Jahr 1975 ging es erstmals um die Chancen und Risiken der damals noch jungen rekombinanten Gentechnik (Science 2015; 348/6230: 36-38).

Die Forscher einigten sich darauf, zur Sicherheit die gentechnischen Versuche unter strikten Auflagen fortzuführen. Wie damals nahm auch 40 Jahre später Nobelpreisträger Professor David Baltimore an der internationalen Konferenz teil, als Organisator und Leiter der Tagung.

Wie groß das Interesse an dem Thema auch in Deutschland ist, spiegelt sich etwa darin wider, dass Wissenschaftler unter anderem des Max-Delbrück-Centrums und der Leopoldina - Nationale Akademie der Wissenschaften mehrere Diskussionsbeiträge beisteuerten - und Professor em. Ernst-Ludwig Winnacker vom Genzentrum München Mitglied des Organisationskomitees war.

Veränderung von Keimzellen in Deutschland verboten

Die Tagungsteilnehmer sind sich einig, dass Grundlagen- und präklinische Forschung mit diesen neuen Gentechnikwerkzeugen vorangetrieben werden sollten, auch um die Biologie menschlicher Embryonen und Keimzellen besser zu verstehen.

In ihrem Statement zum Abschluss der Tagung, dem in den nächsten Monaten ein umfangreicher Bericht folgen soll, betonen die Komiteemitglieder auch, dass eine genetische Veränderung von menschlichen Keimzellen zur klinischen Anwendung derzeit unverantwortlich wäre, da Sicherheitsaspekte noch längst nicht restlos geklärt seien.

Genetisch veränderte Embryonen oder Keimzellen dürften nicht dazu verwendet werden, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Dabei verweisen die Wissenschaftler auf Nationen, in denen die Veränderung von Keimzellen wie in Deutschland bereits verboten ist.

Aber die Forscher wollen eine Keimbahntherapie bei Menschen offenbar nicht für immer ausschließen. Denn die Entscheidung gegen einen solchen folgenschweren Eingriff solle, während neue wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen würden und sich die Einstellung der Gesellschaft zu dieser Therapieform ändere, regelmäßig überprüft werden.

Folgenschwer, weil nicht nur das Individuum betroffen wäre, sondern auch nachfolgende Generationen.Bei der modernsten Technik zur genetischen Veränderung wird das bakterielle System CRISPR-Cas9 genutzt.

Das Akronym steht für "clustered regularly interspaced short palindromic repeats". Mit dem Werkzeug können - vereinfacht gesagt - kurze RNA-Ketten wie auf einem Leitstrahl exakt an ausgesuchte Regionen des Erbguts gesteuert und dort die beiden DNA-Stränge mithilfe des Enzyms Cas9 durchtrennt werden, um so je nach Wunsch Gene gezielt auszuschneiden, in der Folge einzubauen oder Mutationen einzufügen.

Das ist jüngst mit Anopheles-Mücken, Überträgern des Malaria-Erregers, gelungen, wodurch nach Veränderung der Keimzellen Mücken geschaffen wurden, die die malariaerregerresistenten Eigenschaften - im Labor - fast in der gesamten Insektenpopulation ausbreiteten (PNAS 2015; online 26. Oktober).

Vor Feldversuchen ist es aber unerlässlich, die Sicherheit dieser Strategie zu garantieren. Die Wirkungen auf das Ökosystem lassen sich bisher nicht vorhersagen. Feldversuche sind deshalb noch viele Jahre entfernt, wie es in einem "Science"-online-Beitrag heißt.

Church: Keimbahnveränderung nicht verteufeln!

Bereits im Vorfeld der Tagung hatte einer der Teilnehmer, der Genetiker Professor George Church von der Harvard Medical School in Boston, dafür plädiert, die Keimbahnveränderung bei Menschen nicht zu verteufeln, womit er unter den Wissenschaftlern offensichtlich nicht allein dasteht.

Im Gegenteil, so Church: Sie sei erforderlich, weil alternative Ansätze zur Prävention der Weitergabe genetischer Erkrankungen an die nächste Generation problematisch seien (Nature 2015; 528; S7).

Ein generelles Verbot der genetischen Veränderung der menschlichen Keimbahn gebe der derzeit besten medizinischen Forschung einen Dämpfer und treibe sie quasi in den nicht kontrollierbaren "Schwarzmarkt".

Das Risiko etwa der Krebsentstehung sei nach Veränderung einer Keimzelle sehr gering und wesentlich niedriger als nach genetischer Veränderung von Körperzellen. Tatsächlich ist die CRISPR-Methode bereits von chinesischen Wissenschaftlern an menschlichen - allerdings nicht lebensfähigen - Embryonen zur Korrektur des Betaglobin-Gens im Zusammenhang mit der Beta-Thalassämie getestet worden.

Auch wenn derzeit noch Zurückhaltung unter den Wissenschaftlern herrscht: Es ist zu befürchten, dass eine genetische Veränderung der menschlichen Keimbahn zur Therapie in nicht allzu ferner Zukunft realisiert wird. In Deutschland steht dem glücklicherweise das Embryonenschutzgesetz entgegen.

Meister in der Kunst der Genmanipulation

Bleibt zu hoffen, dass sich die Forscher daran erinnern, was Professor Klaus Rajewsky vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin auf der Tagung hervorhob: Dass wir nämlich Meister in der Kunst der Genmanipulation geworden seien, doch die Funktion der Gene und ihre Interaktionen nur begrenzt verstünden.

Vielleicht nehmen sich die Wissenschaftler aber auch das Statement aus dem Weißen Haus vom Frühjahr 2015 zu Herzen, an das Obamas Wissenschaftsberater Dr. John P. Holdren in Washington erinnerte: Dass die US-Regierung der Ansicht ist, eine Keimbahnmanipulation zur klinischen Anwendung entspräche einer Grenze, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht überschritten werden solle.

Und auch Professor Eric Lander vom Massachusetts Institute of Technology brachte es während der Tagung auf den Punkt, als er sagte, dass wir noch sehr wenig über die genetischen Grundlagen von Krankheiten wüssten und es eine gute Idee wäre, größte Vorsicht bei der Forschung walten zu lassen, bevor permanente Veränderungen am Genpool des Menschen gemacht würden. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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