Nach dem Urologenbesuch kommt die Werbung

HAMBURG. "Von Mann zu Mann" schreibt der Arzt den Patienten an. Eine "natürliche Alternative" zur Schulmedizin, die den Patienten möglicherweise vor einem "Leben in Windeln mit Impotenz" bewahren könne, bietet er - "völlig ohne Nebenwirkungen." Solche und ähnlich fragwürdige Formulierungen finden Patienten niedergelassener Urologen in ihrer Post.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:

Viele Patienten von Urologen wundern sich. Denn häufig sind die Angeschriebenen tatsächlich gerade in urologischer Behandlung. Woher die Vertreiber von Vitaminpräparaten die Adresse des Patienten haben, ist für diese naheliegend: vom Arzt, der ihn gerade behandelt hat.

"Ich kann meinen Patienten nur mein Wort geben, daß das nicht der Fall ist", sagt Urologe Dr. Matthias Baumgärtel. Der Arzt aus Hildesheim hat täglich mindestens einen Patienten, der ihn auf die beworbenen Vitaminpräparate anspricht. Schlimmer als der daraus resultierende Informations- und Beratungsaufwand ist für Baumgärtel aber, daß er keine für die Patienten befriedigende Erklärung für den häufig auftretenden zeitlichen Zusammenhang zwischen Praxisbesuch und Werbepost geben kann.

In Briefen wird gezielt für Vitaminpräparate geworben

Zwei Patienten haben ihm gegenüber ihr Mißtrauen klipp und klar zum Ausdruck gebracht - mit ihnen konnte Baumgärtel wenigstens noch reden. Was er nicht weiß, ist, ob vielleicht Patienten wegen eines vermuteten Verstoßes gegen die ärztliche Schweigepflicht gar nicht mehr bei ihm erschienen sind.

Der Kieler Urologe Dr. Wolfgang Keil kämpft mit dem gleichen Problem. "Diese Post gibt es seit mehreren Jahren. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit", wettert Keil. Er diskutiert täglich mit zwei bis drei Patienten in seiner Praxis über die Werbebriefe. Ein Patient hat die Therapie bei ihm abgebrochen, weil er einen Zusammenhang zwischen dem Praxisbesuch und der Post vermutete.

Die Probleme in Keils und Baumgärtels Praxen sind keine Einzelfälle. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) und der Berufsverband der Deutschen Urologen werden von mehreren Seiten darauf aufmerksam gemacht. Seit die beiden Organisationen im vergangenen Jahr erstmals damit an die breite Öffentlichkeit gingen, häufen sich die Hinweise: Patienten beschweren sich, fühlen sich verraten, mißtrauen ihren Ärzten. Die Urologen wiederum haben Mühe, ihre Patienten zu beruhigen - bei manchen aber bleibt das Mißtrauen.

Denn woher die Absender an die Adressen kommen, ist nach wie vor ein Rätsel. Nach Angaben der Berufsverbände haben Staatsanwaltschaften in mehreren Regionen ihre Ermittlungen wieder eingestellt, weil nach ihrer Erkenntnis noch keine Straftat zu erkennen war.

Tatsächlich ist gar nicht klar, ob nicht einfach grundsätzlich alle Männer ab einem bestimmten Alter angeschrieben werden - die Trefferquote ist dabei relativ hoch. Dafür spricht, daß bei den Angeschriebenen weder nach Region, Kasse oder etwa nach PKV oder GKV differenziert wird.

Sollte doch ein Verstoß vorliegen, ist die Verfolgung erschwert, weil die Firmen meist über ausländische Adressen operieren. Unternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten aber sind von Deutschland aus kaum wegen möglicher Vergehen gegen den Datenschutz zu belangen. "Bei grenzüberschreitenden Verstößen ist das ganz schwierig", bestätigt Dr. Thilo Weichert vom Unabhängigen Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein.

Die Berufsverbände haben inzwischen auch das Bundesgesundheitsministerium eingeschaltet. Sie hoffen nun, daß Patienten über öffentliche Bekanntmachungen vor den selbstanpreisenden "Wunderheilern" gewarnt werden und zugleich klargestellt wird, daß weder aus Arztpraxen noch aus Krankenhäusern Patientendaten weitergegeben wurden.

Verbandssprecherin empfiehlt das persönliche Gespräch

Um den drohenden Vertrauensverlust zu vermeiden empfiehlt DGU-Pressesprecherin Dr. Margit Fisch ihren Kollegen, das persönliche Gespräch mit den Patienten zu suchen und sie darauf hinzuweisen, daß die Probleme flächendeckend auftreten. "Wir müssen deutlich machen, daß nicht nur der einzelne Patient, sondern alle Männer ab einem bestimmten Alter wahllos angeschrieben werden", sagte Fisch der "Ärzte Zeitung". Wichtig aus ihrer Sicht: Das persönliche Gespräch - "den Patienten nur einen Zettel in die Hand drücken reicht nicht aus."

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