Ausdruck von Individualität und gefühlter Potenz

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Von Swanett Koops

Ein Bart sagt mehr als tausend Worte - dachte sich wohl Christina Wietig von der Universität Hamburg und machte den männlichen Haarwuchs und seine Bedeutung für die Kommunikation zum Thema einer wissenschaftlichen Arbeit.

Dabei kommt sie zu folgendem Ergebnis: Der Bart scheint das selbstgewählte Persönlichkeitsprofil zu schärfen und bei der Darstellung der eigenen Männlichkeit zu helfen.

Gleich einmal vorweg: Wer sich als Mann jeden Morgen rasiert, tut dies zur reinen Beschwichtigung. Denn dies ist eines von Wietigs Ergebnissen: Der Dreitagebart, den viele Männer als attraktivste Bartform ansehen, ist ein relativ deutliches Zeichen für Unkonventionalität, und die Rasur "stellt kommunikativ eine reine Beschwichtigungsgeste dar", so Wietig.

Dabei sind besonders die über 60jährigen Bartträger - nämlich 67 Prozent dieser Gruppe - der Meinung, mit den piksenden Stoppeln am Kinn gegen den gesellschaftlichen Strom zu schwimmen.

"Bodystyling - Wieviel Bart braucht der Mann?"

Gewonnen hat Wietig diese und andere Erkenntnisse, indem sie insgesamt 524 Männer den selbst entworfenen Fragebogen: "Bodystyling - Wieviel Bart braucht der Mann? Fragenkatalog zum Bart für Männer 2003" ausfüllen ließ. Darin sollten die Männer angeben, welche Bedeutung der Bart im Hinblick etwa auf Attraktivität, Image, Charakter, Weltanschauung und Religionszugehörigkeit hat (Akt Dermatol 31, 2005, 365).

35 Prozent der befragten Männer (Bundeswehrangehörige, Bartclubmitglieder, Altenheimbewohner, Friseure, Polizisten, Lehrer und Schüler von staatlichen Gewerbe- und Handelsschulen sowie Studenten der Universität Hamburg) waren Bartträger. 77 Prozent der Bartträger wollen damit ihre Individualität unterstreichen.

Da 47 Prozent der Bartträger bestätigten, daß der Haarwuchs am Kinn dafür sorgt, daß sie stärkeren Blickkontakten ausgesetzt sind, folgert Wietig: "Die Bart-Optik hat sowohl eine erweiterte Funktion für die Physiognomik als auch Bedeutung für die Kommunikation."

Delikat wird es beim Thema Potenz: Bis heute scheine die Magie der Kraft des Haares an nichts eingebüßt zu haben, so Wietig. Mit über 30 Prozent sind besonders die über 60jährigen Bartträger der Meinung, daß starker Bartwuchs von verstärkter Potenz zeugt.

Aber auch die Bartträger der anderen Altersgruppen sind zum Teil der Überzeugung, viele Haare am Kinn stehen für männliche Kraft im Bett. "Scheinbar beurteilen die zustimmenden Befragten den Bartwuchs nicht emotionsfrei und darum nicht objektiv", vermutet Christina Wietig.

Doch nicht nur die Potenz, auch das soziale Milieu des Trägers scheinen Männer durch die Gestaltung ihrer Kinn- und Wangenpartie signalisieren zu können. Über 25 Prozent der 16- bis 29jährigen Männer meinen, anhand der Bart-Optik das soziale Milieu ausmachen zu können. Bei den über 60jährigen Nichtbartträgern waren es gar über 30 Prozent.

42 Prozent der Befragten würden Bartwuchs unterdrücken

Was dem einen eine willkommene Betonung der Männlichkeit ist, ist dem anderen wohl eher ein lästiger Zeiträuber. So würden 42 Prozent der Nichtbartträger ein Medikament einnehmen, wenn sie damit den Bartwuchs unterdrücken könnten.

Für Wietig ein Anlaß, in die Vergangenheit zu blicken: Mitte des 19. Jahrhunderts, als der menschliche Körper als "ökonomisch verwertbarer Muskelapparat mit berechenbarem Energieverbrauch pro Zeiteinheit" betrachtet wurde, signalisierte der Bart Stärke und Gesundheit und aufgrund der dadurch gewährleisteten Produktivität Zeit- und Geldgewinn.

Heutzutage scheint es bei einem Teil der Männer eher gefragt zu sein, sich gar nicht erst mit der lästigen Rasur aufzuhalten - die soziale und kulturelle Identität des Körpers habe sich aufgrund der technischen Möglichkeiten in der modernen Leistungs- und Freizeitgesellschaft wohl verändert, schließt Wietig.

Der Bart - eine Frage des persönlichen Geschmacks

Nach all diesen Zahlen und Schlußfolgerungen mag sich so manch ein Bartträger nachdenklich am behaarten Kinn kratzen und der ein oder andere Nichtbartträger kritisch über die haarlose Wangenhaut streichen. Zu Recht, denn diese Lektüre verhilft vor allem zu der Erkenntnis: Statt als Thema für eine wissenschaftliche Arbeit zu fungieren, sollte der Bart lieber eine Frage des persönlichen Geschmacks bleiben.

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