Aids in Afrika - zwischen Hexerei und moderner Medizin

Für eine wirksame Aids-Bekämpfung in Afrika dürfen Präventionskampagnen nicht allein auf individuellen Schutz zielen, sondern müssen auch gesellschaftliche Gegebenheiten berücksichtigen. Das forderten Sozialforscher auf einem internationalen Symposium am vergangenen Wochenende bei Berlin.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:

"Krankheit ist in Afrika nie ein individueller Prozeß, sie ist in die Gesellschaft eingebettet", sagt Professorin Ute Luig, Ethnologin an der Freien Universität Berlin. In Afrika geht man so gut wie nie allein ins Krankenhaus oder zum Heiler, sondern soweit möglich nur in Begleitung. Aids hat die Gesellschaften in Afrika darüber hinaus grundlegend verändert.

Unter allen Ländern der Erde sind die afrikanischen Länder südlich der Sahara von Aids am stärksten betroffen. Mehr als 25 Millionen HIV-Infizierte leben dort. Präventionsmaßnahmen werden seit geraumer Zeit vorgenommen, doch sie zeigen kaum Wirkung.

"Junge Menschen in Afrika haben ein sehr detailliertes Wissen über Aids, seine Entstehung und Verbreitung", so Dr. Hansjörg Dilger, ebenfalls Ethnologe an der Freien Universität Berlin. "Das Problem ist jedoch, daß die Kampagnen entweder auf den Verzicht auf Sex oder auf Sex mit Kondomen zugeschnitten sind. Sie greifen zu kurz", hält Luig dagegen.

Besteht die Frau auf Kondome, setzt sie ihre Ehe aufs Spiel

Die Sozialforscherin schildert, daß eine afrikanische Ehefrau, die weiß, daß ihr Mann wechselnde Sexualpartnerinnen hat, in einen Konflikt gerät. Verweigert sie den Sex in der Ehe oder besteht auf Kondome, setzt sie die Ehe aufs Spiel, die ihre Überlebens-Basis ist. Tut sie es nicht, riskiert sie, sich mit HIV zu infizieren und an Aids zu sterben.

Diese Konflikte müßte eine wirksame Aids-Prävention in Afrika aufgreifen, so Luig. Vorbilder gibt es. Regionale Theatergruppen aus den Städten etwa besuchen die Dörfer, leben dort einige Tage und machen aus der konkreten Situation vor Ort eine Aufführung, bei der die Zuschauer jede Menge mitzureden haben. "Hier werden Diskussionen angestoßen und Lösungen gesucht, die über die individuelle Ebene hinausgehen", faßt Luig zusammen.

Der Aids-Erkrankung haftet in Afrika ein starkes Stigma an. Geht es um Betroffene, sind die Begriffe HIV und Aids tabu. Stattdessen werden Metaphern verwendet oder andere Krankheiten, wie etwa Tuberkulose, vorgeschoben. "Besonders wenn Frauen betroffen sind, versucht die Familie das geheimzuhalten", sagt die Ethnologin. Frauen trifft das Stigma im Zweifelsfall besonders hart. Denn ohne ihre Familien können sie sich kaum ernähren.

Wenigstens zwei Erklärungsmuster kursieren in afrikanischen Gesellschaften für die Aids-Erkrankung: Die einen sehen die Ursache in der westlichen Medizin, die anderen erklären Aids als Folge der Hexerei, an die in Afrika viele Menschen glauben.

Wer als verhext gilt, ist an seiner Erkrankung unschuldig

Wenn jemand verhext wurde, ist er unschuldig an seiner Krankheit und entgeht damit der Ausgrenzung, die ihm sonst aus moralischen Gründen gedroht hätte. Dabei läßt sich ein alter Mann auch dafür verurteilen, seinen Lieblingssohn verhext zu haben, denn so entlastet er den Sohn. Ob Hexerei vorliegt oder nicht, entscheidet ein Hexerei-Finder. Der kommt durchaus auch manchmal zu dem Ergebnis, daß die Krankheit mit Hexerei nichts zu tun hat. "Hexerei-Anklagen und medizinische Diskurse laufen parallel", sagt Luig.

Im Kampf gegen Aids gibt es verschiedene Strategien. Zu den dörflichen Traditionen und der auf naturwissenschaftliches Wissen basierenden Medizin gesellt sich als dritte Bewältigungsstrategie die Kirche. Hexerei-Anklagen und Gesundbeten begleiten die Krankenhausbehandlung und ergänzen die Vitamin-Gaben in den Krankenstationen.

Viele Menschen gehen von einer Beerdigung zur nächsten

Inzwischen übt Aids auch einen großen Einfluß auf die gesellschaftlichen Riten aus. Begräbnisse, die früher oft mehrere Wochen dauerten, werden immer kürzer, schildert der Ethnologe Dilger eine Entwicklung in Tansania. Entfernte Verwandte kämen oft nur noch für einen Tag zur Bestattungsfeier und klagten darüber, daß sie von einer Beerdigung zu nächsten unterwegs seien.

Auch der traditionelle Beischlaf der Witwe mit dem Bruder des Verstorbenen, der zur Wiedereingliederung der Witwe in die Familie des Mannes dient, findet oft nicht mehr oder nur noch symbolisch statt. Indem Witwe und Schwager zwar unter einem Dach wohnen, aber nicht mehr das Bett teilen, wird der Angst vor einer Ansteckung mit dem HI-Virus zumindest stellenweise Rechnung getragen.

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