In Europa sind bei neun von zehn Neuinfektionen Menschen Überträger, die von ihrer Infektion nichts wissen
KÖLN (aza). Immer noch wird die HIV-Infektion spät erkannt - und oft sogar zu spät: Die Zahl der AIDS-Todesfälle in Europa, die auf eine zu späte Diagnose zurückzuführen ist, liegt im Jahr 2009 nach aktuellen Schätzungen bei 100 000.
"Diese Zahl wird weiter zunehmen, wenn nichts geschieht", betonte Professor Jens Lundgren aus Kopenhagen in einer Pressekonferenz bei der 12. Europäischen AIDS-Konferenz. Am Anteil der "Late Presenter" - derjenigen Patienten, die sich bei der Erstdiagnose ihrer HIV-Infektion bereits in einem fortgeschrittenen Stadium des Immundefekts befinden - habe sich in den letzten zehn Jahren trotz enormer Fortschritte in der möglichen Therapie nichts geändert. In Deutschland zum Beispiel hat etwa jeder zweite Betroffene bei der HIV-Erstdiagnose eine CD4-Zellzahl unter 350 Zellen pro Mikroliter oder eine AIDS-definierende Erkrankung.
Von den geschätzten 2,5 Millionen HIV-Infizierten der WHO-Region Europa, zu der außer den europäischen Staaten auch die Staaten der ehemaligen Sowjetunion gezählt werden, wissen etwa eine Million nichts von ihrer Diagnose. "Dies spiegelt das absolute Versagen der Gesundheitssysteme auf diesem Gebiet wider", so Lundgren weiter. Die Folgen der Unkenntnis über die eigene HIV-Infektion hätten nicht nur die Betroffenen selbst zu tragen, so Lundgren: Wer von seiner eigenen Infektion nichts weiß, steckt wiederum andere an. Bei neun von zehn Neuinfektionen in Europa sind nach Angaben von Lundgren Menschen die Überträger, die von ihrer eigenen Infektion nichts wissen. In Deutschland ist es, wie Professor Jürgen Rockstroh aus Bonn ergänzte, etwa jede zweite Neuinfektion.
Um eine Änderung dieser Situation bemüht sich die europaweite, interdisziplinäre Initiative "HIV in Europe". Diese im Jahr 2007 gegründete unabhängige Expertengruppe arbeitet an Konzepten für eine optimale Testung und frühzeitige Behandlung der HIV-Positiven. Zu den konkreten Projekten gehört unter anderem die Erarbeitung einer Liste mit Indikator-Erkrankungen, die alle Ärzte grundsätzlich an die Möglichkeit einer zugrunde liegenden HIV-Infektion denken lassen sollten. Aber auch Aufklärung über die Bedeutung von Stigmatisierung und Kriminalisierung von HIV-Infizierten für die hohe Dunkelziffer und die damit verbundenen Risiken gehören zu den Projekten von "HIV in Europe", erläuterte Lundgren, der auch einer der beiden Vorsitzenden der Initiative ist.
Weitere Informationen zur Initiative gibt es unter www.hiveurope.eu
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