In Deutschland

HIV-Infektion wird oft zu spät diagnostiziert

In Deutschland kommen HIV-Infizierte oft erst dann zum Arzt, wenn das Immunsystem bereits sehr schwach ist, wie jetzt eine aktuelle Befragung zeigt. Warum ist das so?

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
HIV-Test: Viele Patienten verschweigen ihrem Arzt risikoreiches Sexualverhalten oder Drogengebrauch.

HIV-Test: Viele Patienten verschweigen ihrem Arzt risikoreiches Sexualverhalten oder Drogengebrauch.

© jarun011 / fotolia.com

MAINZ. Weltweit wird bei etwa jedem zweiten HIV-Infizierten die Infektion erst spät diagnostiziert, wenn die CD4-Zellzahl unter 350/µl liegt oder schon Aids-definierende Erkrankungen wie Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie, Toxoplasmose-Enzephalitis, Candida-Infektionen der Lunge oder ein Kaposi-Sarkom vorliegen.

Bereits vor drei Jahren hatte eine deutschlandweite Studie unter anderem des Robert Koch-Institutes ergeben, dass der Anteil der "Late Presenters" bei Erstdiagnose bei 49,5 Prozent liegt (HIV Med 2012; 13: 172). Für die Studie wurden die zwischen 1999 und 2010 erhobenen Daten von insgesamt fast 23.000 Patienten verwendet.

Klinisch tätige Ärzte unter anderem von der Universitätsmedizin Mainz sowie Niedergelassene haben jetzt die Ergebnisse einer Befragung zwischen März 2011 und Juni 2012 vorgelegt, an der 161 Patienten aus dem Saarland, aus Rheinland-Pfalz und Hessen teilgenommen hatten (Infection 2015; 43: 299).

Die meisten stammten aus Saarbrücken, Koblenz, Mainz, Wiesbaden und Gießen/Marburg. In der Untersuchung ging es außer um den Anteil der "Late Presenters" unter anderem auch um die Informiertheit der Patienten, über die Infektionswege und um das eigene Risikoverhalten.

Jeder Dritte mit hohem Risiko

Knapp 60 Prozent der Studienteilnehmer hatten sich auf homosexuellem und 26,8 Prozent auf heterosexuellem Wege mit dem Aids-Erreger infiziert. 90 Patienten (55,9 Prozent) gaben an, dass sie mindestens einmal zuvor ein negatives Testergebnis gehabt hätten.

80 von ihnen wussten zudem noch den Zeitpunkt des Tests: Er lag 5,6 ± 6,6 Jahre zurück.

48 der 161 Patienten (29,8 Prozent) gaben an, sie hätten ein hohes oder gar ein sehr hohes Risiko, sich mit HIV anzustecken. Aber nur zehn von ihnen hatten sich innerhalb des letzten Jahres vor der Diagnose auf HIV testen lassen. 20 Patienten (41,7 Prozent) von denen, die sagten, sie hätten ein hohes Infektionsrisiko, hatten nie zuvor einen HIV-Test machen lassen.

Nur 60 Studienteilnehmer baten von sich aus um einen solchen Test, bei 89 Teilnehmern (55,6 Prozent) ging die Initiative vom behandelnden Arzt aus. Bei elf Patienten fiel die HIV-Infektion im Rahmen von Routineuntersuchungen auf.

Viele Patienten im CDC-Stadium C

Der Anteil der "Late Presenters" lag mit 63,5 Prozent deutlich höher als in der deutschlandweiten Untersuchung und in anderen europäischen Studien und betraf vor allem die älteren Teilnehmer.

Jeder Zweite war zum Zeitpunkt der Erstdiagnose im CDC-Stadium A der Infektionserkrankung, war also asymptomatisch oder hatte eine akute (primäre) HIV-Infektion mit grippeähnlichen Symptomen.

17,4 Prozent der Patienten hatten bereits Symptome wie Fieber, Herpes zoster oder eine orale Haarzellleukoplakie, aber noch keine für das Stadium C charakteristischen opportunistischen Infektionen oder Tumoren. Mehr als 31 Prozent befanden sich schließlich bereits im CDC-Stadium C.

Die Studienautoren vermuten als Grund für den hohen Anteil der "Late Presenters", dass unter anderem wegen der insgesamt niedrigen HIV-Prävalenz in den beteiligten Regionen das Bewusstsein für die Infektionskrankheit in der Bevölkerung niedriger als etwa in den Großstädten ist.

Die meisten Studienteilnehmer schätzten sich selbst allerdings als gut informiert im Zusammenhang mit den Übertragungswegen des Virus und den Testmöglichkeiten ein und gingen davon aus, dass sie nur ein geringes Infektionsrisiko hätten.

Die Studienärzte schließen aus, dass viele HIV-Infizierte sich deshalb nicht testen ließen, weil sie auf das Potenzial der modernen antiretroviralen Therapie bauten. Tatsächlich war nämlich den meisten Patienten diese Tatsache nicht bekannt.

Warum ließen sich so viele Teilnehmer so lang Zeit, bis sie sich testen ließen? Nur ein Fünftel der Teilnehmer gab als Grund an, sie würden das Infektionsrisiko aktiv verdrängen.

Die Studienautoren nehmen jedoch an, dass es mehr sind und viele diesen psychologischen Hintergrund nicht verstehen.

Schließlich hatten nur die wenigsten Patienten ihre behandelnden Ärzte über ihr risikoreiches Sexualverhalten oder über ihren intravenösen Drogengebrauch informiert, nämlich nur 29 der 119 Patienten, die überhaupt Angaben dazu machten.

71 Patienten ließen ihren Arzt im Unklaren, 19 konnten keine Angaben darüber machen, ob sie ihren Arzt informiert hatten.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Verpasste Chancen bei HIV

Mehr zum Thema

Interview

Wie toxische Männlichkeit der Gesundheit von Männern schadet

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert