Häftlinge

Schlüssel zur globalen HIV-Eindämmung?

HIV-Infektionen treten bei Häftlingen häufiger auf als in der Gesamtbevölkerung. Die Bekämpfung der Ausbreitung in Haft kann sich laut aktueller Studien auch für die öffentliche Gesundheit auszahlen.

Von Julia Rustemeier Veröffentlicht:
Schlüssel zur globalen HIV-Eindämmung?

© jtanki / fotolia.com

BALTIMORE. Unter Inhaftierten gibt es in Westeuropa 20-mal mehr HIV-Infizierte als in der Allgemeinbevölkerung (4,2% vs. 0,2%), in Nordamerika und Ost- und Südafrika liegen die Raten dreimal höher (1,3% vs. 0,3% und 15,6% vs. 4,7%). Das sind Ergebnisse einer im "Lancet" veröffentlichten Studienreihe (Dolan Ket al sowie Kamarulzaman A et al; beide in: Lancet 2016; online 14. Juli).

Auch Hepatitis C und Tuberkulose sind unter Sträflingen häufiger, so ist in Teilen von Europa und den USA einer von sechs Häftlingen mit Hepatitis C infiziert.

Drogenkonsumenten auf engstem Raum

Geschuldet ist dies den massenhaften Inhaftierungen von Drogenkonsumenten auf engstem Raum, den zum Teil schlechten hygienischen Bedingungen sowie dem Wiederverwenden von Injektions- oder Tätowiernadeln und ungeschütztem Geschlechtsverkehr unter den Insassen. Solche Umstände führen laut einer Studie dazu, dass in den nächsten 15 Jahren fast die Hälfte der HIV-Neuinfektionen in Osteuropa durch die Übertragung zwischen Häftlingen zustande kommen wird (Altice FL et al; Lancet 2016, online 14. Juli).

"Inkubator für HI-Viren"

Etwa 30 Millionen Menschen werden pro Jahr weltweit inhaftiert oder verlassen die Justizvollzugsanstalt wieder. Nicht diagnostizierte und unbehandelte Infektionen können so auch aus den Gefängnismauern herausgetragen und verbreitet werden. "Gefängnisse können wie ein Inkubator für HIV, Hepatitis C und Tuberkulose wirken", veranschaulicht der leitende Autor der Studienreihe und Präsident der internationalen Aids-Gesellschaft Professor Chris Beyrer aus Baltimore.

Um diesen Entwicklungen vorzubeugen, sollte die Gesundheit der Häftlinge ein Hauptanliegen des Gesundheitswesens sein, erklärte Beyrer: "Die meisten Regierungen ignorieren die strategische Wichtigkeit der Gesundheit der Inhaftierten für die öffentliche Gesundheit."

15 Schlüsselinterventionen

Die United Nation of Drugs and Crime (UNODC) und die WHO haben bereits vor sieben Jahren 15 Schlüsselinterventionen zur Prävention und Behandlung infektiöser Krankheiten in Gefängnissen vorgeschlagen. Darunter auch die sechs in der Studienreihe untersuchten Maßnahmen:

Information,

Beratung und HIV-Tests,

steriler Nadel-Austausch,

Opioidsubstitutionstherapie (OST),

Kondombereitstellung und

antiretrovirale Therapien für Häftlinge.

Den Berechnungen der Studien zufolge lassen sich durch vermehrte OST in fünf Jahren mehr als ein Viertel neuer HIV-Infektionen bei drogeninjizierenden Häftlingen vermeiden (Dolan K et al; Lancet 2016, online 14. Juli).

Deutschland weit vorne

Der Ländervergleich der Studie zeigt außerdem, dass lediglich acht Länder weltweit, darunter auch Deutschland, alle sechs Maßnahmen in ihren Gefängnissen durchführen. Alle 28 EU-Staaten bieten zudem HIV- und Tuberkulose-Tests und Behandlungen an. Doch selbst in Deutschland erreichen diese Maßnahmen noch nicht alle Häftlinge.

OST noch nicht flächendeckend

Besonders die OST ist noch nicht flächendeckend ausgebaut. Auch im Rest von Europa mangelt es weiterhin an der Verteilung von Kondomen unter den Häftlingen und Programmen für einen sicheren und sterilen Nadel- und Spritzengebrauch.

Vor allem in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen seien deshalb politischer Wille, finanzielle Investments und Unterstützung von medizinischen und humanitären Organisationen weltweit gefordert, verdeutlichte Beyrer. "Eine globale Kontrolle von HIV-, Hepatitis- und Tuberkulose-Infektionen wird nicht möglich sein, ohne sich der Gesundheit der Häftlinge zu widmen", resümieren die leitenden Autoren der Studienreihe.

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