Chikungunya bis West-Nil-Fieber: Forschung zur Ausbreitung von Zoonosen steht erst am Anfang

SARS und aviäre Influenza waren primär Krankheiten von Tieren, bevor sie für den Menschen gefährlich wurden. Solche Zoonosen nehmen weltweit zu und damit der Bedarf an ihrer Erforschung.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

"Wenn die Zahl der Menschen steigt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit von Kontakten zu Tieren. Das Vordringen in entlegene Gebiete begünstigt Zoonosen genauso wie immer mehr Tiertransporte", sagt Professor Stefan Ludwig vom Institut für Molekulare Virologie der Uni Münster. "Mobilität führt zu rascher Ausbreitung: Wer sich gestern in Peking einen gefährlichen Erreger eingefangen hat, kann heute Abend in Berlin im Restaurant sitzen", sagte er bei einer Veranstaltung in Berlin. Daher wurde Ende 2007 unter dem Dach der Telematikplattform Medizinischer Forschungsnetze (TMF) die AG "Zoonosen und Infektionsforschung" eingerichtet. An ihr sind neun vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsverbünde beteiligt.

Wichtig sind Kenntnisse der Veterinärmedizin

"Eine der Fördervoraussetzungen war, dass sowohl Humanmediziner als auch Veterinärmediziner daran beteiligt sind", betonte Dr. Peter Lange vom BMBF. Denn klar ist: Wer das Auftreten von Zoonosen beim Menschen früh erkennen will, wer effektive Therapien entwickeln und mögliche Epidemien verhindern möchte, muss sich nicht nur mit Infektionen beim Menschen auskennen. Er muss auch wissen, wo die Erreger herkommen und wie genau sie sich in den Tierpopulationen ausbreiten.

In Zeiten des Klimawandels wird das doppelt wichtig. Denn die Erwärmung der Erde führt dazu, dass sich die Überträger von Zoonose-Erregern in schwer vorhersehbarer Weise auf Wanderschaft begeben. Vor allem auf vektorübertragene Erkrankungen trifft das zu. Und entsprechend befasst sich einer der neun BMBF-Forschungsverbünde mit Arbovirusinfektionen, viralen Erkrankungen also, die von Insekten übertragen werden.

Hier gab es in den vergangenen zehn Jahren sowohl in Europa als auch in Nordamerika einige beunruhigende Entwicklungen. So hat sich in den USA binnen weniger Jahre das vorher dort nicht heimische West-Nil-Virus ausgebreitet. "Es hat innerhalb von acht Jahren etwa tausend Menschen und 5000 Pferde getötet", sagte Professor Martin Groschup vom Forschungsverbund Arboviren am Friedrich-Löffler-Institut.

In Italien gibt es mittlerweile das Chikungunya-Fieber, eine Erkrankung, die eigentlich in Südostasien und Teilen von Afrika beheimatet ist. "In Norditalien hat es im Sommer 2007 eine Epidemie gegeben", sagte Professor Frank Hufert von der Uni Göttingen. Betroffen war damals die von Touristen viel besuchte Provinz Ravenna mit 197 Erkrankungen. "Wir gehen davon aus, dass der Überträger der Chikungunya-Viren, die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), schon in den 1990-er Jahren nach Italien kam. Danach kam dann irgendwann das Virus", so Hufert. Mittlerweile habe die Tigermücke auch im Schweizer Kanton Aargau eine neue Heimat gefunden, so Hufert. "Sie steht also vor unseren Toren."

Drittes, auch für Deutschland relevantes Beispiel ist schließlich die von Zecken übertragene Frühsommermeningoenzephalitis (FSME). Die Häufigkeit von FSME-Infektionen in Deutschland hat sich von etwa 200 bis zum Jahr 2004 auf knapp 550 im Jahr 2006 erhöht. "Eine der Hypothesen für die Ursache des Anstiegs ist die Erderwärmung", sagte Hufert. Sind die Winter wärmer, bleiben die Zecken länger aktiv. "In Berlin haben wir beispielsweise Zecken im Dezember nachgewiesen. Das gab es sonst nicht." Es gibt freilich auch andere Erklärungen, etwa die Zunahme von Outdoor-Aktivitäten. Und: Im Jahr 2007 ging die Zahl der gemeldeten FSME-Erkrankungen wieder auf 238 zurück.

Das ist überhaupt eines der großen Probleme der Zoonoseforschung: Viele Dinge sind noch ziemlich unklar, etwa in Sachen Pathogenese: "Wir verstehen beispielsweise nicht wirklich, warum das West-Nil-Virus sich nicht auch in Europa ausbreitet", gab Groschup ein Beispiel. Und sein Kollege Hufert ergänzte, dass bei vielen Zoonosen selbst diagnostische Werkzeuge weitgehend fehlten.

So müssen Veterinärmediziner und Humanmediziner in den Zoonoseverbünden in den nächsten Jahren einiges an Grundlagenforschung leisten. Doch auch um angewandte Forschung geht es: Ein Surveillance-System ist in der Diskussion, das nicht nur das Auftreten von Zoonosen, sondern auch die Verbreitung ihrer Überträger im Blick haben soll. Gerade bei den Insekten ist das freilich leichter gesagt als getan: Ob sich die FSME-übertragenden Zecken wirklich nach Norden ausbreiten, oder ob bisher nur keiner so genau geguckt hat, das ist zum Beispiel umstritten.

Forscher mit Gummistiefeln für die Feldarbeit gefragt

Hier fehlt es auch noch an einer ganz anderen Art von Grundlagenforschung, die nichts mit Molekülen oder genetischen Tests zu tun hat. Hufert nennt sie die Gummistiefel-Virologie: Wer wissen will, wo Zoonose-Überträger wohnen, muss raus in die Natur gehen und sie suchen. Das mag zwar gesund sein. Wissenschaftliche Meriten allerdings lassen sich damit in der modernen Welt nicht ernten. Die Folge: Es will kaum einer tun, und es fehlt auch einiges an Know-how dafür. Unter anderem deswegen arbeiten nicht nur renommierte Forschungszentren in den Zoonoseverbünden mit, sondern auch die Bundeswehr. Denn dort existiert es noch, die Ausrüstung für die Feldforschung. Und es gibt wissenschaftlich engagierte Mediziner, die nicht zwangsläufig auf die nächste Publikation in einer renommierten Fachzeitschrift schielen.

"Zecken im Dezember in Berlin - das gab es früher nicht."

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