Katastrophe Ebola

Notstand in Westafrika - über 720 Tote

Der Ebola-Ausbruch in Westafrika ist alles andere als unter Kontrolle: die Zahl der Todesopfer steigt unaufhörlich. Sierra Leone und Liberia erklären den Notstand. Die Armee riegelt betroffene Regionen ab - notfalls mit Gewalt. International findet ein Umdenken statt.

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Gefährliche Fäden: Ebola-Viren unter dem Elektronenmikroskop.

Gefährliche Fäden: Ebola-Viren unter dem Elektronenmikroskop.

© Hans Gelderblom / RKI / Koloriert von Andrea Schnartendorff / dpa

NEU-ISENBURG. Der Ausbruch der Ebola-Viruskrankheit breitet sich immer weiter aus. Zwei betroffene Staaten haben den Ausnahmezustand verhängt, die Armeen sind im Einsatz. Nach jüngsten Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind 1323 Menschen an der Ebola-Viruskrankheit erkrankt und 729 davon gestorben (inklusive Verdachtsfälle). Die Zahlen stammen vom 27. Juli, sie könnten also bereits deutlich höher liegen.

Vor Ort gelangen Hilfskräfte zunehmend an das Ende ihrer Kapazitäten. "Es ist kein Ende in Sicht", sagte der Sprecher der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen", Stefan Dold, der "Ärzte Zeitung". "Wir sind am Rotieren".

In einer konzertierten Aktion hat die WHO am Donnerstagabend einen 100-Millionen-Dollar-Notfallplan angekündigt. Die US-Seuchenkontrollbehörde CDC will weitere Experten entsenden. In den USA wird jetzt zudem vor Reisen in die Region gewarnt. Auch das Auswärtige Amt rät neuerdings von Reisen in die drei betroffenen Länder ab.

Zuvor hatte Sierra Leone am Donnerstag den Ausnahmezustand verhängt. Das Land ist mit 533 Erkrankten (inklusive 233 Todesfälle) am schlimmsten betroffen. Sicherheitskräfte sollen die betroffenen "Epizentren" unter Quarantäne stellen, erklärte Staatspräsident Ernest Bai Koroma.

Der Notstand gelte für die nächsten 60 bis 90 Tage. Polizei und Militär würden die Zugänge zu und aus den betroffenen Regionen sperren - notfalls auch mit Gewalt. Die Sicherheitskräfte sollten Ärzte und Helfer vor Angriffen beschützen, wie es zuletzt immer wieder vorgekommen war. Außerdem werde eine Haus-zu-Haus-Umgebungsuntersuchung eingeleitet, um weitere Infizierte ausfindig zu machen. Angehörige seien verpflichtet, erkrankte Personen zu melden.

Auch das Nachbarland Liberia hatte am Mittwochabend den Notstand erklärt. Landesweit wurden die Schulen geschlossen, um eine Ausbreitung der Viruskrankheit zu verhindern. Betroffene Regionen werden nun unter Quarantäne gestellt. Sicherheitskräfte wurden entsandt.

Alle "nicht essenziellen" Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes wurden in einen 30-tägigen Zwangsurlaub geschickt. "Wir brauchen die Hilfe der internationalen Gemeinschaft jetzt nötiger als je zuvor", sagte Liberias Informationsminister Lewis Brown.

Die Behandlungszentren vor Ort kommen zunehmend an ihre Belastungsgrenzen. Am Mittwoch musste ein Isolationszentrum in der liberianischen Hauptstadt knapp 20 neue Ebola-Patienten wegen Überlastung wieder nach Hause schicken. Sie sollen jetzt dort von Helfern versorgt werden. In der Bevölkerung gab es zudem Proteste gegen die Errichtung weiterer Isolationszentren.

Auch die "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) schlagen Alarm. "Diese Epidemie ist beispiellos, sie ist ganz und gar nicht unter Kontrolle", warnte der MSF-Einsatzleiter und Arzt Dr. Bart Janssens bereits am Mittwoch. Die Situation verschlechtere sich immer weiter. Experten beklagen einen zunehmenden Mangel an medizinischen Fachkräften vor Ort.

Derzeit sind nach Angaben des deutschen MSF-Sprechers Dold 80 internationale Mitarbeiter und über 200 nationale Helfer vor Ort. Inzwischen sei man personell am Limit, zumal die bekannt gewordenen Erkrankungen und Todesfälle unter dem medizinischen Personal "die Sache nicht einfacher machen", sagte Dold. Mehr Experten würden gebraucht, besonders auch für die Aufklärungsarbeit.

Nachdem die EU am Mittwoch zusätzlich zwei Millionen Euro Hilfsgelder zugesagt hatte, gab die WHO am Donnerstagabend ein Nothilfepaket von 100 Millionen US-Dollar bekannt. "Die Größe des Ausbruchs verlangt eine Reaktion auf einer neuen Ebene", sagte WHO-Chefin Dr. Margaret Chan am Donnerstagabend.

Die WHO will "einige Hundert" mehr Mitarbeiter entsenden, die die überlasteten Behandlungszentren unterstützen sollen. Mit dem Hilfspaket soll außerdem dringend benötigtes Equipment in die Länder gebracht werden, sowie die Aufklärung des Ebola-Ausbruchs verstärkt werden.

Auch der Schutz der Hilfskräfte soll ausgebaut werden. Händeringend sucht die WHO laut Chan Ärzte, Krankenpfleger, Epidemiologen und Logistikexperten zur Unterstützung vor Ort. Die WHO-Direktorin will sich am Freitag mit den Staatschefs der betroffenen Länder in Guinea beraten.

Auch die US-amerikanische Seuchenkontrollbehörde CDC hat am Donnerstagabend weitere Hilfen bekanntgegeben - und zeitgleiche eine Reisewarnung der Stufe 3 herausgegeben, wonach von "unnötigen Reisen" abgesehen werden sollte.

"Zu viele Leben sind schon verloren", sagte CDC-Direktor Dr. Thomas Frieden. "Es wird viele Monate dauern und nicht einfach werden, aber Ebola kann gestoppt werden." Die CDC will 50 weitere Seuchenexperten in den nächsten 30 Tagen nach Westafrika entsenden. Sie sollen bei der Ausbruchsaufklärung und dem Screening helfen.

Und das ist bitter nötig. Denn nach Angaben der WHO sind die Fallzahlen zuletzt wieder deutlich angestiegen. Allein zwischen Donnerstag und Sonntag vergangener Woche (24. bis 27. Juli) sind 122 neue Erkrankungsfälle, darunter 57 Tote, hinzugekommen. 80 Fälle darunter wurden allein aus Liberia gemeldet.

Auch Guinea, das ursprüngliche Epizentrum des Ende Dezember 2013 begonnenen Ausbruchs, meldete nun wieder 33 Neuerkrankungen, darunter 22 Tote. Dort schien der Ausbruch zunächst gestoppt. Das erneute Aufflammen der Epidemie - wie Fachleute den Ausbruch nur ungern bezeichnen - deutet darauf hin, dass die lokalen Behörden, die WHO und die zahlreichen Hilfsorganisationen die Infektionsketten längst nicht aufgeklärt haben. Die WHO bezeichnet den "epidemischen Trend" denn auch als "brenzlig".

Angesicht der eskalierenden Situation ziehen sich nun auch erste Hilfsorganisationen aus der Region zurück. Zuletzt hatten sich auch Helfer unter anderem aus den USA infiziert und waren an den Folgen der Ebola-Viruskrankheit (EVD) gestorben.

Am Mittwochabend teilte das US-Friedenscorps mit, rund 100 Freiwillige vorübergehend abzuziehen. Zuvor hatten sich zwei Mitglieder mutmaßlich mit dem Ebola-Virus infiziert. Sie stehen derzeit unter Beobachtung. Man wolle nun die Situation von Washington aus beobachten, hieß es in einer Mitteilung.

Die unabhängige Behörde "Peace Corps" wurde 1960 von dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy gegründet und betreut in zahlreichen Ländern Hilfsprojekte. In den betroffenen Ländern Westafrikas hatten die Helfer zuletzt Unterstützung im Kampf gegen Ebola geleistet.

Auch die beiden christlichen Missionen "Samaritan‘s Purse" und "SIM" aus den USA, die vor Ort medizinische Hilfsprojekte betreiben, haben am Mittwoch alle "nicht unbedingt benötigten" Mitarbeiter aus Liberia abgezogen, wie es in einer Mitteilung hieß. (nös/bd)

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