Neuer RKI-Präsident

"Die meisten Erreger kommen vom Tier"

Mit Professor Lothar H. Wieler wird erstmals ein Veterinärmediziner und Mikrobiologe das Robert Koch-Institut leiten. Tier- und Humanmedizin liegen aus seiner Sicht dichter beieinander als man meint, erläutert er im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

Dr. Robert BublakVon Dr. Robert Bublak Veröffentlicht:

Prof. Lothar H. Wieler

'Die meisten Erreger kommen vom Tier'

© privat

Position: Der Mikrobiologe und Veterinärmediziner (Jahrgang 1961) soll am 1. März kommenden Jahres als Nachfolger von Professor Reinhard Burger neuer Präsident des Robert Koch-Instituts werden.

Werdegang: Noch ist Wieler Geschäftsführender Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Tierseuchen im Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin.

Ärzte Zeitung: Herr Professor Wieler, Sie sind Mikrobiologe und Veterinärmediziner. Welche besonderen Aspekte kann die Veterinärmedizin zu den Aufgaben des Robert Koch-Institut (RKI) beitragen?

Professor Lothar Wieler: Es gibt zwei Aspekte, wo die beiden Welten der Tier- und der Humanmedizin zusammenkommen. Das klassische Gebiet ist das der Zoonosen.

Wir wissen heute, dass ungefähr zwei Drittel aller Infektionskrankheiten des Menschen vom Tier auf den Menschen beziehungsweise umgekehrt übertragen werden. Die Zoonosen spielen also eine überragende Rolle für die Gesundheit des Menschen.

Der zweite Aspekt ist der Austausch von Antibiotika-resistenten Bakterien, der ebenfalls in beide Richtungen verläuft. Und gerade hier ist es wichtig, dass man beide Welten kennt.

Denn eine Lösung dieses großen Problems ist nur zu erwarten, wenn diese beiden Welten sehr gut miteinander kommunizieren.

Als Präsident des RKI möchte ich den "One-Health-Gedanken" weiter stärken. Das ist die Idee, die Wissenschaftler wie Virchow schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten, wonach Tier und Mensch nicht nur in derselben Umgebung leben, sondern auch die eine oder andere Krankheit tauschen.

Auch das Ebolafieber springt von Tieren auf den Menschen. Welche Rolle spielen solche Emerging Viruses künftig in der Arbeit des RKI?

Wieler: Eine wichtige Rolle. Die Globalisierung führt dazu, dass sich Krankheitserreger viel rascher verbreiten. Ebola ist kein typisches Beispiel. Es gibt andere Viren, von denen wir denken, dass sie auch in Europa auftreten können, etwa das Krim-Kongo-FieberVirus. Nicht zu vergessen sind hoch pathogene Influenzaviren.

Hier bedarf es intensiver Forschung, nicht nur im Sinne des primären Ziels des RKI, also des Bevölkerungsschutzes. Das RKI als Institution muss auch immer mehr globale Funktionen übernehmen.

Worin sehen Sie die dringendste Aufgabe des RKI?

Wieler: Insgesamt wachsen die Herausforderungen dadurch, dass es neue Erreger gibt. Und so ist der Infektionsschutz weiterhin ein wichtiges Standbein des RKI. Hier muss man technisch auf der Höhe bleiben, um über Surveillance-Analysen Ausbrüche schnell erkennen zu können.

Aber auch die nicht übertragbaren Krankheiten nehmen zu, allein schon aus Gründen der demografischen Entwicklung. Es gibt also viele Bereiche, wo sich das RKI noch stärker engagieren und noch mehr Technik und Kompetenzen vorhalten muss.

Todesfälle durch nosokomiale Infektionen mit Antibiotika-resistenten Keimen wie MRSA, VRE und ESBL-Bakterien erregen gerade große Aufmerksamkeit. Von 7500 bis 40.000 Toten pro Jahr ist die Rede. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Wieler: Besonders für die hohen Zahlen sind mir keine Studien bekannt, die sie verlässlich belegen würden. Eine der Aufgaben des RKI ist es, verlässliche Zahlen zu bekommen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir uns in einem Land mit Hochleistungsmedizin befinden.

Das erhöht das Potenzial, dass sich solche Erreger entwickeln, weil wir immer mehr Risikopatienten behandeln. Das Problem ist also nicht nur auf irgendwelche Managementfehler oder den zu häufigen Einsatz von Antibiotika zurückzuführen.

Aber unabhängig von den Zahlen handelt es sich bei den Infektionen mit multiresistenten Erregern um eine erhebliche Herausforderung. Klar ist deshalb, dass man die Ursachen für deren Zunahme aufklären muss.

Antibiotika-Resistenzen werden durch Massentierhaltung begünstigt. Liegt Ihnen dieses Thema besonders am Herzen?

Wieler: Natürlich liegt mir das am Herzen. Aber wir müssen auch dem Tierschutz gerecht werden. Wir müssen auch Tiere heilen dürfen. Der Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin darf deshalb nicht grundsätzlich infrage gestellt werden. Natürlich müssen wir dabei für einen sorgfältigen Umgang sorgen.

Hier besteht ein großer Teil der Schwierigkeiten in einem unzureichenden Management in manchen Betrieben. Das betrifft nicht immer die professionellen, sondern auch Nebenerwerbsbetriebe.

Insgesamt muss der Einsatz verringert werden. Den Anteil der multiresistenten Erreger in der Humanmedizin, die originär aus der Tiermedizin kommen, können wir nicht eindeutig beziffern. Sicher ist, dass der weitaus größte Teil nicht aus der Tiermedizin stammt, sondern humanmedizinischer Genese ist.

Denken Sie beispielsweise an Erreger wie Mycobacterium tuberculosis, das überhaupt kein zoonotisches Reservoir hat. Hier haben wir teilweise hoch resistente Erreger, die einfach durch fehlerhafte Antibiotikatherapie entstanden sind.

Aber das entpflichtet die Tiermediziner nicht davon, vernünftig mit Antibiotika umzugehen, genauso, wie das in der Humanmedizin der Fall sein muss.

Bisher in Europa unbekannte H5N8-Viren haben kürzlich zu Vogelgrippe-Ausbrüchen geführt. Droht uns ein Szenario wie mit H5N1?

Wieler: Bezogen auf die Humanmedizin gibt es dafür keinen Hinweis. Hier wird aber deutlich, wie wichtig Analysen des Gesamtgenoms sind. So können wir schnell klären, womit der Erreger verwandt ist und Rückschlüsse auf seine biologische Bedeutung ziehen.

Nach allem, was wir wissen, spielt dieses Virus für die Humangesundheit keine Rolle. Aber für die Landwirtschaft könnte es sehr große Folgen haben.

Eine persönliche Frage: Sie haben vor fast 20 Jahren in einer Tierarztpraxis im Allgäu mitgearbeitet. Danach haben Sie eine Karriere als Forscher gemacht. Haben Sie jemals bereut, nicht Landtierarzt geworden zu sein?

Wieler: Nein, das habe ich nie bereut. Ich komme zwar aus einer Tierarztfamilie, mein Vater hatte eine Landpraxis. Mein wissenschaftliches Interesse und meine Neugier kann ich aber im Labor besser ausleben.

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