Neue Gentechnik

Chancen und Gefahren des DNA-Editierens

Eine junge Technik revolutioniert die Genforschung. Sie wird auch die Suche nach neuen Medikamenten beflügeln. Doch es keimen Ängste auf, dass Forscher den Verlockungen, auch die Keimbahn zu verändern, erliegen.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:

Neue Werkzeuge erlauben den Ein- oder Ausbau genetischer Sequenzen.Gernot Krautberger / fotolia.com

UME. Schneller geht es fast nicht. 2012 wurde erstmals ein in Streptococcus pyogenes entdecktes System von Wissenschaftlern um Professor Emmanuelle Charpentier von der Universität von Umeå gentechnisch genutzt.

Innerhalb kürzester Zeit ist es zum begehrtesten Werkzeug all jener Genforscher und Molekulargenetiker geworden, die die DNA irgendwie verändern wollen (Science 2012; 337: 816).

Den Bakterien dient es als eine Art Immunsystem zur Abwehr von Viren, indem mithilfe einer sehr kurzen RNA-Kette eine Nuklease an eine Stelle im Erbgut gelenkt wird, wo das Enzym den Doppelstrang durchtrennt. Ein wirksamer Schutz der Einzeller vor gefährlicher fremder DNA.

Bei dem System handelt es sich um CRISPR-Cas9, das vereinfacht wie "crisper" gesprochen wird. Das Akronym steht für "clustered regularly interspaced short palindromic repeats".

Mit dem Werkzeug gelingt es, eine kurze RNA-Kette wie auf einem Leitstrahl exakt an eine ausgesuchte Region des Erbguts zu lenken und dort die beiden DNA-Stränge mithilfe des Enzyms Cas9 zu durchtrennen, um so je nach Wunsch Gene auszuschneiden, einzubauen oder Mutationen einzufügen.

Die Euphorie unter Wissenschaftlern wie Charpentier, die jetzt am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig forscht, ist groß.

Das Ziel: das Werkzeug eines Tages auch therapeutisch nutzen zu können, indem etwa krankmachende Gene oder Mutationen wie bei Mukoviszidose oder Sichelzellanämie aus Zellen entfernt werden.

Es ist sehr einfach zu handhaben, kostengünstiger als bisherige Werkzeuge und weitaus präziser.

Das mag erklären, warum es inzwischen so intensiv genutzt wird und warum es bereits mehrere Unternehmen gibt, die den Forschern dieses Werkzeug fast passgenau auf den Labortisch liefern. Es dient nicht nur der Grundlagenforschung, sondern wird bereits intensiv für die Entwicklung moderner Arzneimittel genutzt.

Mehrere Gene gleichzeitig verändern

Schon längst sind die Gentechniker mit ihren Versuchen von Bakterien und Mäusen auch auf Affen übergegangen und haben belegt, dass sich mit "crisper" mehrere Gene gleichzeitig verändern lassen - und dies sogar durch Manipulation der Keimbahn (Cell 2014; 156: 836).

Die bei Embryonen im Ein-Zell-Stadium vorgenommenen genetischen Veränderungen ließen sich nach der Geburt in der DNA aus dem Nabelschnurblut, der Plazenta und dem Hautgewebe wiederfinden.

Solche Versuche, aber auch Berichte über mögliche Keimbahnveränderungen bei Menschen in China und die Vision mancher Forscher, damit Menschen mit editiertem Erbgut möglich zu machen, schrecken auf. Zu Recht.

Nach einer Konferenz in Napa in Kalifornien Anfang des Jahres, auf der es um bioethische Fragen der Anwendung dieser vielversprechenden Technik ging, melden sich nun einige Wissenschaftler zu Wort, die einen offenen Diskurs über deren umsichtige Nutzung fordern.

Darunter sind auch die beiden Nobelpreisträger Professor David Baltimore und Professor Paul Berg, die bereits 1975 an der Konferenz in Asilomar teilgenommen hatten, als es um die Chancen und Risiken der damals noch jungen rekombinanten Gentechnik ging (Science 2015; online 19. März).

Die Teilnehmer einigten sich schließlich darauf, die gentechnischen Versuche unter strikten Auflagen fortzuführen.

Innehalten ist angebracht

Nun geistert, vor allem in den USA, die Idee eines quasi zweiten Asilomar-Moratoriums durch die Diskussionen um den Nutzen und die Risiken von "crisper" und ähnlichen, leicht handhabbaren Werkzeugen. Keine schlechte Idee.

Denn was leicht von der Hand geht, reizt möglicherweise dazu, es auch unüberlegt anzuwenden. Deshalb ist ein Innehalten angebracht, was mit gleichzeitiger Aufklärung der Bevölkerung über diese neuen Methoden das Vertrauen in die Technik stärken könnte.

 So wie beim Mitochondrienersatz zur Auslöschung von Mitochondriopathien nachfolgende Generationen von dem Eingriff durch den Austausch der Mitochondrien belastet werden könnten, so wird auch jeder, dessen Genom bereits im Embryonalstadium verändert worden ist, diese Veränderung an seine Nachkommen weitergeben.

Dass sich auch das menschliche Erbgut mit "crisper" verändern lässt, konnte bereits Anfang 2013 durch die Arbeitsgruppe um Professor George Church von der Harvard Medical School in Boston gezeigt werden, einer der Autoren neben Baltimore und Berg (Science 2013; 339: 823).

Derzeit ist nicht zu gewährleisten, dass eine gewollte genetische Manipulation nicht auch Veränderungen auslöst, die ursprünglich nicht beabsichtigt waren.

Dessen sind sich die Forscher durchaus bewusst. Da ein Ausschließen ungewollter Effekte voraussichtlich nie möglich sein wird, weil die DNA und ihr Umfeld noch immer für Überraschungen gut sind, muss es bei einem Verbot von Eingriffen in die Keimbahn bleiben - so wie es in vielen westeuropäischen Ländern per Gesetz schon längst der Fall ist.

Auch wenn einer Veränderung der Keimbahn mithilfe von CRISPR-Cas9 in Deutschland das Embryonenschutz-Gesetz von 1990 entgegensteht, wäre es ein positives Zeichen, wenn es auch hierzulande offizielle Stellungnahmen zur Anwendung des neuen Genwerkzeugs von denen gäbe, die es bereits intensiv für die Forschung nutzen.

Zu begrüßen ist, dass etwa Forscher um Professor Klaus Rajewsky am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch im Zusammenhang mit ihrer Forschung zur Nutzung der CRISPR-Cas9-Technik nach der Stellungnahme von Baltimore und seinen Kollegen betonten, sie lehnten die genetische Manipulation der menschlichen Keimbahn ab. Nachahmer dringend erwünscht.

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