Antibiotika-Rezepte

Ärzte knicken im Tagesverlauf ein

Hausärzte stellen gegen Nachmittag gehäuft Antibiotika-Rezepte aus. US-Forscher haben auch eine Hypothese, woran das liegt.

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Ärzte fühlen sich in die Erwartungshaltung ihrer jeweiligen Patienten ein und verschreiben dann gelegentlich wider besseres Wissen ein Antibiotikum gegen akute Atemwegsinfekte, besonders nachmittags.

Ärzte fühlen sich in die Erwartungshaltung ihrer jeweiligen Patienten ein und verschreiben dann gelegentlich wider besseres Wissen ein Antibiotikum gegen akute Atemwegsinfekte, besonders nachmittags.

© Alexander Raths / fotolia.com

BOSTON. Die Versuchung, einem Patienten mit Husten oder schwerem Schnupfen wider besseren Wissens ein Antibiotikum zu verschreiben, ist in der Hausarztpraxis groß:

Die Patienten verlangen oft vehement danach, man selbst hat das Bedürfnis, zu handeln, oder spürt auch mal den Drang, eine ausgedehnte Visite zu beenden. Und nicht zuletzt ist da die Angst, man könnte eine Komplikation übersehen.

Wie ein Team von Wissenschaftlern aus Boston jetzt zeigen konnte, knicken offenbar viele Ärzte im Lauf des Tages unter diesem Druck ein. Dieses Phänomen bezeichnen die Wissenschaftler als "Entscheidungsmüdigkeit"- ein Begriff, den Psychologen im Zusammenhang mit Gerichtsentscheidungen geprägt haben (JAMA Internal Medicine, online 6. Oktober 2014).

Resignierter Griff zum Rezeptblock?

So wie Richter, die zu fortgeschrittener Stunde zunehmend geneigt sind, härtere Strafen zu verhängen, greifen Ärzte offenbar über den Tag hinweg immer öfter resigniert zum Rezeptblock, auch wenn ihnen wohl bewusst ist, dass das verschriebene Antibiotikum beim unkomplizierten Atemwegsinfekt nichts hilft.

Um zu belegen, dass die Hypothese von der "Entscheidungs-Fatigue" auch für die Arztpraxen gilt, hat die Arbeitsgruppe um Dr. Jeffrey A. Linder vom Brigham and Women's Hospital in Boston die Daten von 21.867 Patienten aus 23 Praxen der Primärversorgung ausgewertet.

Alle untersuchten Patienten hatten wegen eines akuten Atemwegsinfekts den Arzt aufgesucht. Chronische Erkrankungen oder Erkrankungen, die zwangsläufig eine antibiotische Therapie erfordert hätten, waren dabei ausgeschlossen.

Wie Linder und seine Kollegen berichten, hatten die Ärzte in 44 Prozent der Fälle ein Antibiotikum verschrieben. Die Verschreibungsrate stieg zwischen acht Uhr morgens und vier Uhr nachmittags deutlich an.

Dies betraf nicht nur Fälle, in denen, schreiben die Forscher, "manchmal" ein Antibiotikum indiziert ist, sondern - wenn auch in geringerem Maße - auch diejenigen Fälle, bei denen eine solche Indikation den Leitlinien zufolge nicht besteht.

In Relation zur ersten Praxisstunde lag die Wahrscheinlichkeitsrate einer Antibiotika-Verschreibung in der zweiten Stunde bei 1,01, in der dritten bei 1,14 und in der vierten bei 1,26 (pTrend < 0,001).

Nur scheinbar die einfachste Lösung

Ein Mittel gegen den erlahmenden Widerstand auf Arztseite zu finden, ist nicht leicht, schreiben Linder und Kollegen. Schließlich erscheine der Griff zum Antibiotikum im Moment oft als die einfachste Lösung.

Die Autoren schlagen vor, die Sprechstunden besser zu takten, gezielt Pausen einzulegen, auch mal einen Snack zwischendurch zu sich zu nehmen. Geeignet sei alles, was der "Erosion der Selbstkontrolle" entgegenwirke. (eo)

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