Infektrisiko Ebola

"Oft mangelt es an basaler Hygiene"

Dutzende Ärzte und Hilfskräfte sind im Kampf gegen Ebola in Westafrika gestorben. Doch warum infizieren sich selbst Fachkräfte? Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" spricht der MSF-Arzt Dr. Thomas Kratz über "eklatante Fehler" und Chlor.

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Ein Wartebereich der Elwa-Klinik in Monrovia, Liberien, wird desinfiziert. In den Seuchengebieten mangelt es oft an Desinfektionsmöglichkeiten. In Sierra Leone werden "Wash-points" an öffentlichen Plätzen eingerichtet.

Ein Wartebereich der Elwa-Klinik in Monrovia, Liberien, wird desinfiziert. In den Seuchengebieten mangelt es oft an Desinfektionsmöglichkeiten. In Sierra Leone werden "Wash-points" an öffentlichen Plätzen eingerichtet.

© Ahmed Jallanzo / EPA / dpa

NEU-ISENBURG. Oberste Priorität bei der Betreuung von Menschen, die an einer Ebola-Viruskrankheit erkrankt sind, sei, sich selbst vor Ansteckung zu schützen, wenn die Patienten unterstützend behandelt werden, berichtet Dr. Thomas Kratz. Der Allgemeinmediziner aus Berlin war bis vor Kurzem für die "Ärzte ohne Grenzen" (MSF) auf einer Ebola-Krankenstation in Sierra Leone tätig. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" spricht er über die nötige Hygiene vor ORt.

Wer in Westafrika Ebola-Patienten behandelt, trägt eine komplette Schutzkleidung: Über der Kleidung wie bei einer Op werden Overalls aus Plastik getragen. Dazu kommen Gummistiefel, Schutzmasken und Schutzbrille, darüber eine Gummischürze und zwei paar Handschuhe.

Bei den extrem hohen Temperaturen vor Ort hält man es in dieser Kleidung maximal eine Dreiviertelstunde aus, sagt Kratz, dann muss das Personal ausgetauscht werden. Deshalb brauche man für den Einsatz einen hohen Personalschlüssel.

Mehrere Ärzte und Pflegepersonal betreuen einen Patienten. Die Patienten erhalten mangels spezifischer Ebola-Therapie eine supportive Behandlung: Infusionen für die Stabilisierung des Flüssigkeitshaushaltes, Antibiotika und Antimalariamittel, um mögliche begleitende Infektionen zu behandeln, Glukoselösung, da viele Patienten unterzuckert sind, Schmerzmittel bis hin zu Opioiden und fiebersenkende Mittel.

Die Erfahrung aus dem jetzigen Ausbruch zeigt, dass man die Letalität allein mit diesen Maßnahmen von 90 Prozent auf im Mittel 60 Prozent senken kann. Dank guter Logistik bei der Medikamentenversorgung gibt es laut Kratz keine Medikamentenengpässe. Schwerstkranken sei mit diesen Maßnahmen allerdings nicht mehr zu helfen.

Strengste Hygienerichtlinien

Befürchtungen, dass sich das medizinische Personal bei der Behandlung der Patienten in den Isolierstationen anstecken könnte, trat der Mediziner entgegen. Wenn alle Hygienevorschriften eingehalten würden, könne nichts passieren. MSF-Mitarbeiter hätten strengste Hygienerichtlinien zu beachten und bislang sei auch noch kein Mitarbeiter der Organisation vor Ort infiziert worden.

Ansteckungen des Gesundheitspersonals passierten nur durch eklatante Fehler, wenn man etwa einen Patienten ungeschützt umarme oder durch Nadelstichverletzungen. Das sei bei Ebola nicht anders wie bei anderen ansteckenden Viruserkrankungen, so Kratz.

In den Medien werde heiß darüber diskutiert, ob ein Riss in der Schutzkleidung eine Ansteckungsgefahr bedeuten könne. "Die tatsächlichen Risiken werden aber verkannt", so Kratz, denn woran es in den Seuchengebieten oft mangle seien basale Hygienemaßnahmen wie etwa Desinfektionsmöglichkeiten mit einer schlichten Chlorlösung.

Dies müsse flächendeckend umgesetzt werden, fordert der MSF-Mitarbeiter. In Sierra Leone sei man an den Brennpunkten gerade dabei, "Wash-points" an öffentlichen Plätzen einzurichten.

Die Ansteckungsgefahr sei auf den Isolierstationen letztlich geringer als für die Mitarbeiter, die in den Dörfern Aufklärungsarbeit leisten, so Kratz. Dort trete man den Einwohnern ungeschützt entgegen. Schutzkleidung mache ihnen Angst und sei deshalb nicht möglich.

Doch auch hier gebe es klare Anweisungen, die Schutz vor Ansteckung bieten. Das Gesundheitspersonal sollte immer eine Chlorlösung mit sich führen, auch in den Fahrzeugen sollte sie vorhanden sein.

Es sollte mit den Einwohnern - ob infiziert oder nicht - kein körperlicher Kontakt stattfinden, die Häuser sollten nicht betreten und ein Abstand von zwei Metern zu den Personen eingehalten werden. Da eine Ansteckungsgefahr nur von Menschen ausgeht, die bereits Symptome haben und nur dann passieren könne, wenn Körperflüssigkeit eines Infizierten in Schleimhäute und Wunden gelangen, sei das Risikopotenzial gut abzuschätzen.

Allerdings sei die Situation in Dörfern mit hoher Kontaminationsrate "schon problematisch", so Kratz. Er selbst habe ein Dorf in Sierra Leone mit nachweislich 40 infizierten Menschen besucht. Händewaschen und entsprechende Vorsicht vor Körperkontakten sei hier obsterstes Gebot.

Krasser Mangel an Fachkräften

Kratz beklagte einen eklatanten Mangel an Helfern für die Aufklärungsarbeit und an Ärzten. "Ärztliche Kollegen, die im infektiologischen Bereich tätig sind, sollten sich für die Versorgung der Kranken in den Seuchengebieten bewerben", so Kratz.

Für die Aufklärungsarbeit würden vornehmlich einheimische Helfer eingesetzt und gebraucht, idealerweise Psychologen und Anthropologen. Zunehmend werden Laienhelfer für die Aufklärungsarbeit ausgebildet.

Wie hoch der Bedarf an Personal ist, rechnet Kratz an einem Beispiel vor: In Sierra Leone versorgen MSF-Mitarbeiter über 400 Menschen mit laborbestätigter Ebola-Infektion. Pro Infiziertem müssten zehn bis 15 Personen, die mit diesen in Kontakt gestanden hatten, täglich zu Hause besucht werden, um sie auf Symptome zu untersuchen. Und dies über drei Wochen. Alleine dafür bräuchte man mehrere tausend Helfer.

Die Situation stellt sich für ihn weiterhin dramatisch dar. Zwar sei in Guinea eine "gewisse Stabilisierung" eingetreten, in Sierra Leone sei die Zahl der Neuinfektionen aber weiterhin hoch. Hier arbeiten die MSF-Mitarbeiter inzwischen schwerpunktmäßig.

Dramatisch schlecht schätzt er die Versorgungssituation in Liberia ein. Hier mangle es an allem: an Fachkräften, an entsprechenden Versorgungszentren und an Helfern vor Ort.

Wichtigste Aufgabe der Helfer vor Ort ist neben der Krankenversorgung, die Aufklärung über Infektionswege und Symptome. Und das ist eine Herkulesaufgabe. Zum einen mangelt es an ausgebildeten Gesundheitshelfern, zum anderen sind viele Menschen in den betroffenen Gebieten Analphabeten.

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