Prognose

70.000 Ebola-Tote bis Jahresende

Die Zahl der Ebola-Infizierten steigt immer noch exponentiell, auch die Sterberate fällt höher aus als die offiziellen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation. Das zeigen aktuelle Berechnungen. Doch es gibt einen Weg, die Epidemie einzudämmen.

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Nach aktuellen Berechnungen könnten noch bis Ende 2014 70.000 Menschen an Ebola gestorben sein.

Nach aktuellen Berechnungen könnten noch bis Ende 2014 70.000 Menschen an Ebola gestorben sein.

© Mohammed Elshamy/ABACAPRESS.COM/dpa

DAYTON, USA/GENF. Nach der Aufregung um einige wenige Ebola-Infektionen in Kliniken in den USA und Spanien hat sich der mediale Wirbel um Ebola wieder etwas gelegt. Ermutigend sind auch Berichte aus Liberia, dem am stärksten betroffenen Land:

Danach war Ende Oktober die Zahl der offiziell erfassten Neuinfektionen zum erstmals rückläufig. Allerdings ist noch unklar, inwieweit solche Zahlen mit der Realität übereinstimmen. Derzeit wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.

Der Weg des Ebola-Virus in Westafrika

Die Ebola-Epidemie in Westafrika sorgt für Tausende infizierte Menschen - und Tausende Tote. Der Ausbruch geht auf ein zweijähriges Mädchen zurück. Zur Chronologie des Ausbruchs.

Genaue Erkrankungszahlen wären aber wichtig, um zu sehen, ob sich die exponentielle Ausbreitung des Erregers abschwächt. Besonderes Augenmerk legen Epidemiologen auf die Reproduktionsrate R0.

Sie gibt an, wie viele ungeschützte Menschen ein Erkrankter im Schnitt ansteckt. Jeder Wert über 1 markiert exponentielles Wachstum, wenn der Wert unter 1 fällt, deutet dies auf einen Zusammenbruch der Epidemie.

Erst dann werden die Horrorszenarien hinfällig, die sich bei einem fortgesetzten exponentiellen Wachstum der Opferzahlen ergeben.

Die alles entscheidende Frage lautet also: Wo steht R0 derzeit?

Zahl der Erkrankten verdoppelt sich alle drei bis vier Wochen

Vermutlich wird dies niemand so genau sagen können, weil verlässliche Daten fehlen. Doch selbst wenn man die Zahl der offiziell erfassten Ebola-Opfer als Grundlage nimmt, dann ergab sich zumindest bis vor Kurzem noch ein sehr düsteres Bild.

Auf Basis dieser Zahlen kommt Professor Allen Hunt von der Universität in Dayton zu dem Schluss, dass bis zum Jahresbeginn 2015 etwa 100.000 Ebola-Kranke und kurze Zeit später etwa 70.000 Ebola-Tote zu befürchten sind (Complexity 2014; 20(2):8-11; doi: 10.1002/cplx.21615, online 18. Oktober).

Der Statistiker und Mathematiker räumt bei seinen Berechnungen auch mit der Vermutung auf, dass Ebola bei dieser Epidemie etwas weniger tödlich ist als bei Ausbrüchen in der Vergangenheit:

Er sieht nach wie vor eine Sterberate von über 70 Prozent - ähnliche Werte haben auch Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" in den von ihnen betreuten Ebola-Einrichtungen in Westafrika festgestellt.

Der Unterschied zur Sterberate von 50 Prozent, wie sie die WHO-Zahlen nahelegen, ergibt sich aus der zeitlichen Verzögerung: Wer an Ebola stirbt, tut dies ein bis zwei Wochen nach Beginn der Erkrankung - im Schnitt nach acht bis neun Tagen.

Wird eine Inkubationszeit von durchschnittlich weiteren zehn Tagen berücksichtigt, muss man die Zahl der Ebola-Toten auf die Zahl der Infizierten knapp drei Wochen zuvor beziehen. Tut man genau dies, dann lag die Sterberate zwischen Mitte Mai und Mitte September weitgehend konstant bei 72 Prozent, berichtet Hunt.

Mehr Variabilität bei Reproduktionsrate

Eine höhere Variabilität zeigt hingegen die Reproduktionsrate. Sie lag zu Beginn der Epidemie im Frühjahr deutlich über 1, ging dann wieder etwas zurück - es wurden einige Wochen kaum neue Fälle erfasst - und kletterte dann Ende Mai wieder auf einen Wert von 1,5.

Damit stiegen die Erkrankungszahlen erneut exponentiell an. Ende August und Anfang September legte die Epidemie noch einen Zahn zu - der R0-Wert erreichte knapp 1,7.

Damit sank die Zeit, bis sich die Zahl der Erkrankten verdoppelt, von 29 auf 20 Tage.

100.000 Ebola-Kranke bis Mitte Januar

Mit beiden Werten startete Hunt jetzt Hochrechnungen, wann der Hunderttausendste Mensch an Ebola erkrankt sein wird. Er berücksichtigte zudem, dass die offiziellen Zahlen nur die Spitze des Eisbergs widerspiegeln.

Experten gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Erkrankten zwei- bis vierfach höher ist. Nimmt man jedoch die offiziellen Zahlen von Ende August als Basis für die Berechnung, dann werden mit dem konservativen R0-Wert von 1,5 bis zum 19. Januar 2015 insgesamt 100.000 Menschen an Ebola erkrankt sein.

Entsprechen die offiziellen Zahlen nur der Hälfte der Erkrankten, dann wird das Datum auf den 21. Dezember vorgezogen; werden drei von vier Erkrankten nicht erfasst, wird die Zahl bereits am 22. November erreicht.

Noch schneller verläuft die Entwicklung mit der höheren Reproduktionsrate von 1,7. Je nach Dunkelziffer würde die Zahl von 100.000 Erkrankten zwischen dem 6. November und dem 19. Dezember erreicht.

Exponentielle Ausbreitung dauert an

Dass solche Planspiele nicht völlig an der Realität vorbeizielen, zeigen auch die Prognosen vom September. Auf Basis von 4500 offiziell erfassten Ebola-Kranken am 14. September kam die WHO auf 20.000 Infizierte für Anfang November.

Nach den zuletzt veröffentlichten Daten lag die Zahl der Erkrankten Ende Oktober bei knapp 14.000. Unter den Bedingungen exponentiellen Wachstums erscheint die Prognose von Mitte September damit recht genau.

Mit der herkömmlichen Ebola-Seuchenbekämpfung über Aufspüren von Kontaktpersonen und Isolierung der Erkrankten wird sich die Epidemie in den betroffenen Ländern jedoch kaum noch eindämmen lassen, stellt Hunt fest.

Gesteigertes Gefahrenbewusstsein nötig

Dafür müssten bereits jetzt über eine halbe Million Kontaktpersonen aufgespürt und überwacht werden - ein schlicht unmögliches Unterfangen. Rettung kann daher nur auf anderen Wegen kommen, etwa über ein gesteigertes Gefahrenbewusstsein in der Bevölkerung, dass zu Verhaltensänderungen führt.

Letztlich ist ein R0-Wert von 1,5 bis 1,8 verglichen mit aerogen übertragbaren Erregern recht gering. Bei Influenza liegt der Wert zwischen zwei und drei, bei Masern zwischen zwölf und 18.

Vielleicht hat die Angst vor Ebola in Westafrika bereits dazu geführt, dass sich aktuell weniger Menschen neu infizieren und der R0-Wert deutlich sinkt. Dann könnte die Epidemie in der Tat rasch zusammenbrechen. (mut)

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