Das kleine Einmaleins der Nachholimpfungen bei Kindern und Jugendlichen

Keine Frage: Impfungen retten Leben. Ärzte sollten deshalb jede Chance nutzen, den Impfstatus eines Patienten zu überprüfen. Ist dabei eine fehlende Grundimmunisierung nachzuholen, kann das manchmal kompliziert sein.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Für Jugendliche reicht eine Pertussis-Impfung.

Für Jugendliche reicht eine Pertussis-Impfung.

© Sanders / fotolia.com

Ist der Impfstatus eines Menschen unvollständig, nicht bekannt oder nicht dokumentiert, sind fehlende Impfungen nachzuholen, rät die Ständige Impfkommission (STIKO). Grundsätzlich sind Kombinationsimpfstoffe vorzuziehen. So lassen sich die meisten für Säuglinge und Kleinkinder empfohlenen Impfungen mit vier Dosen Sechsfachimpfstoff (Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Haemophilus influenzae b, Hepatitis B, Polio) und zwei Dosen Vierfachimpfstoff (Masern, Mumps, Röteln, Varizellen) abdecken. Im ersten Lebensjahr kommen noch vier Dosen Pneumokokken-Impfstoff und ab dem ersten Geburtstag eine Dosis Meningokokken-Impfstoff hinzu.

Eltern tolerieren meist nur zwei Injektionen pro Termin

"Wurden Impfungen versäumt, dann sollten sie so schnell wie möglich nachgeholt werden", sagt Professor Ulrich Heininger von der STIKO (Mschr Khk 8, 2009, 751). Nach Angaben des Pädiaters können dabei grundsätzlich beliebig viele Impfungen gleichzeitig appliziert werden. Zu bedenken ist aber: Bei jedem Impfstoff sind die Fachinformationen zu Koadministrationen zu beachten. Außerdem werden von den Eltern in der Regel nur zwei Injektionen pro Arztbesuch toleriert.

Für Nachholimpfungen sind daher meist individuelle Pläne aufzustellen. Dies kann allerdings schwierig sein, da der Sechsfachimpfstoff nur bis zum Alter von 36 Monaten zugelassen ist. Alternativ ist ein Fünffach-Impfstoff (ohne Hepatitis-B-Komponente) bis zum fünften Geburtstag zugelassen.

Generell werden bei Kindern bis zum fünften Geburtstag die fehlenden Impfdosen mit dem Sechsfach- oder Fünffachimpfstoff nachgeholt, wobei zwischen den ersten drei Impfungen je ein Monat Abstand und dann zur vierten Impfung sechs Monate eingehalten werden müssen. Die Hib-Impfung wird in der Regel ab dem fünften Geburtstag nicht mehr empfohlen. Auch die Pneumokokken-Impfung wird generell nur kleinen Kindern empfohlen: Bei Kindern ohne bestimmte Vorerkrankungen ist sie nach dem zweiten Lebensjahr nicht mehr nachzuholen. Bei der Pneumokokken-Impfung nimmt die Zahl der erforderlichen Impfdosen zudem mit dem Lebensalter ab: Wird im empfohlenen Alter von zwei Monaten gestartet, sind drei Dosen zur Grundimmunisierung (je ein Monat Abstand) plus eine Auffrischung frühestens sechs Monate nach der dritten Impfung nötig. Beim Start zwischen dem siebten und elften Lebensmonat sind nur noch zwei Impfungen zur Grundimmunisierung plus ein Booster nach sechs Monaten erforderlich. Wird nach dem ersten Geburtstag gestartet, sind nur noch zwei Dosen im Abstand von zwei Monaten nötig. Fehlende Meningokokken- (eine Dosis) und Masern-Mumps-Röteln-Varizellen-Impfungen (zwei Dosen) sind bei ungeschützten Kindern bis zum 18. Lebensjahr nachzuholen. Zudem sind für den altersgemäßen Schutz Auffrischimpfungen gegen Tetanus-Diphtherie-Pertussis im Alter von fünf bis sechs sowie im Alter von neun bis elf Jahren vorgesehen. Neun- bis Elfjährigen wird zudem eine Polio-Impfung empfohlen. Für die Auffrischimpfungen gibt es Dreifach- und Vierfachimpfstoffe.

Wie können jedoch völlig ungeimpfte ältere Kinder und Jugendliche nachträglich geimpft werden?

Hier wird es kompliziert, denn es gibt für dieses Alter zum Beispiel keinen Impfstoff mehr, der zur Grundimmunisierung gegen Pertussis zugelassen ist. Dr. Jan Leidel von der STIKO hat bei der Hotline Impfen der "Ärzte Zeitung" folgendes Vorgehen empfohlen: "Bei völlig ungeimpften älteren Kindern oder Erwachsenen oder auch bei solchen mit unbekannter Impfanamnese würde ich die nachzuholende Grundimmunisierung mit einer Injektion eines Kombinationsimpfstoffs gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis (Td, ap) sowie einer kontralateralen Impfung gegen Polio (IPV) beginnen. Dies ist hinsichtlich der Tetanus- und Diphtherie-Impfung zwar "off label", aber dadurch sind nachteilige Effekte nicht zu befürchten. Im Blick auf die Pertussis-Impfung steht die Fachinformation der entsprechenden Kombinationsimpfstoffe diesem Vorgehen nicht entgegen. Bei der derzeitigen Durchseuchung mit B. pertussis wird der Impfling im Allgemeinen nicht mehr naiv gegen Pertussis sein. Studien belegen auch, dass bei älteren Kindern und Erwachsenen eine einmalige Impfung mit reduziertem Antigengehalt (ap) in über 90 Prozent eine ausreichende Immunantwort induziert. Dann würde ich die Grundimmunisierung nach 4 bis 8 Wochen mit einer Td-Impfung und einer kontralateralen IPV-Impfung fortsetzen und ein halbes bis ganzes Jahr später auf die gleiche Weise abschließen."

Oft fehlt die Impfung gegen Hepatitis B

Generell sollten ältere Kinder und Jugendliche zudem eine Grundimmunisierung gegen Hepatitis B, eine zweimalige Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen (MMRV) sowie die Meningokokken-C-Impfung haben. Leidel empfiehlt, diese bei einer Komplettimpfung eines älteren Kindes zwischen den Tetanus-Diphtherie-Polio-Pertussis-Impfungen zu applizieren. Besondere Abstände zwischen den unterschiedlichen Impfungen müssten nicht eingehalten werden. Es muss allerdings beachtet werden, dass die beiden MMRV-Impfungen einen Mindestabstand von vier, besser sechs Wochen haben sollten. Bei Mädchen im Alter von 11 bis 17 Jahren ist zudem an den Schutz gegen Humane Papillomaviren (HPV) mit drei Impfdosen zu denken.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Mehr Initiative beim Masernschutz!

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