Hintergrund

Universelle Grippe-Impfung: Nur eine Illusion?

Ein universeller Grippeimpfstoff: Diese Vision geistert seit Jahren immer wieder durch die Schlagzeilen. Aber trotz vieler Meldungen über angebliche Fortschritte kann die Forschung bisher keinen Durchbruch vorweisen.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Universelle Grippe-Impfung: Nur eine Illusion?

© Sebastian Schreiter / Springer Verlag GmbH

Angesichts der großen Erfolge der Impfstoffforschung und der mittlerweile breiten Palette an Impfstoffen aller Art scheint es auf den ersten Blick nur schwer nachvollziehbar, warum es immer noch keine Impfung gibt, die effektiv und dauerhaft gegen alle Spielarten der Grippe schützt.

Und so gedeihen Verschwörungstheorien wie die, dass Big Pharma gar kein Interesse daran habe, eine dauerhafte Grippeimpfung zu entwickeln, weil die jährlichen Impfungen viel lukrativer seien.

Ganz so einfach ist es aber nicht. Denn seit Jahren fließen Forschungsgelder in dieses Feld. Doch der Erfolg hat sich bisher nicht eingestellt.

Immer wieder gibt es Erfolgsmeldungen aus Laborversuchen mit Mausmodellen. Aber, um mit Janosch zu reden: An einer kleinen Maus sieht alles groß aus.

Influenza: Das unbekannte Virus

Das Problem ist und bleibt die Übertragbarkeit auf den Menschen: "Mir ist kein Impfstoff bekannt, der es über die klinische Phase I hinaus geschafft hätte. Wir kennen immer noch nicht die Strukturen auf Influenzaviren, die es erlauben würden, einen universellen Impfstoff für einen Einsatz beim Menschen herzustellen", sagte Dr. Michael Pfleiderer vom Paul-Ehrlich-Institut im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Was es gibt, sind Kandidaten. Das Hämagglutinin ist der offensichtlichste Angriffspunkt nicht nur für die jährliche, sondern auch für eine mögliche universelle Grippeimpfung.

Es ist aber bekanntlich hoch variabel, sodass niemand so genau weiß, ob es nicht früher oder später allen unspezifischen Hämagglutinin-Antikörpern durch Veränderung seiner Morphologie ausweichen kann.

Problem der fehlenden Daten

Das Ionenkanalprotein M2e ist ein weiteres denkbares Zielantigen. Anders als das Hämagglutinin hat es sich seit der Spanischen Grippe nicht verändert.

Es kommt aber nur bei der Influenza A vor, ist also nicht wirklich universell. M2e-basierte Impfstoffe scheinen immunogen zu sein.

Ob sie aber wirklich vor der Grippe schützen, ist eine ganz andere Frage. Phase-II-Daten gibt es noch nicht.

"Das ist das Grundproblem bei allen Diskussionen über universelle Grippeimpfungen. Es ist ein schönes Schlagwort, aber kein Mensch weiß, ob so ein Impfstoff wirklich universell schützen würde. Der Nachweis von Immunogenität heißt noch nicht viel", so Pfleiderer.

Große und langfristige Studien wichtig

Klar ist: Wenn es jemals einen universellen Grippeimpfstoff geben sollte, dann wird dieser Impfstoff einem komplett anderen Immunisierungsschema folgen. Einmal spritzen reicht dann nicht. Es wird eine Grundimmunisierung und Auffrischimpfungen geben müssen.

Wahrscheinlich würde - anders als bei den saisonalen Impfungen - ein Adjuvans nötig. Vor allem aber brauche es große und sehr langfristige Studien, so Pfleiderer, schon deswegen, weil die Grippediagnose nicht so einfach und eindeutig ist wie etwa die Diagnose einer Hepatitis B.

Ob der aus diesem Prozess resultierende Impfstoff dann wirklich kostengünstiger wird als die saisonale Impfung, ist eine Frage, die ebenfalls unbeantwortet ist. Denn die saisonale Grippeimpfung ist vergleichsweise günstig.

Antikörper gegen Influenza?

Wer die Preise von in jüngerer Vergangenheit neu zugelassenen Impfstoffen als Maßstab nimmt, der wird feststellen, dass dort teilweise schon die Grundimmunisierung so viel kostet wie zehn bis zwanzig saisonale Grippeimpfungen.

Trotzdem wäre ein universeller Impfstoff natürlich ein Komfortgewinn. Vielleicht geht es in den nächsten Jahren ja tatsächlich voran.

Im August haben innerhalb weniger Wochen zwei US-amerikanische Forschergruppen gemeldet, dass sie beim Menschen Grippeantikörper isolieren konnten, die im einen Fall 30 der 36 bekannten Grippeviren angreifen, im anderen Fall sämtliche Influenza-A-Viren.

Ob sich zu diesen Antikörpern jetzt auch ein passendes Antigen finden lässt, das die Produktion genau dieser Antikörper im menschlichen Körper induziert, ist -wie so oft in der Geschichte der universellen Grippeimpfung - offen.

Neuerungen bei Influenza-Impfstoffen

Impfstoffe werden üblicherweise intramuskulär gegeben, sieht man von Schluckimpfungen ab. Bei Grippeimpfstoffen gibt es jetzt neue Formen der Applikation: Intanza® von Sanofi Pasteur MSD wird intradermal verabreicht. Die Vakzine ist zugelassen für Menschen ab 60 Jahre. Über die Nase, also intranasal, wird Fluenz® von AstraZeneca verimpft, und zwar an Impflinge im Alter von 24 Monaten bis 18 Jahren. Beide Impfstoffe sollen die Immunogenität erhöhen. 2011/2012 wird in Deutschland nur Intanza® verfügbar sein, 20012/2013 dann auch Fluenz®. Grippeimpfstoff lässt sich auch ohne Hühnereier herstellen. Das zeigen die beiden Unternehmen Baxter (mit PREFLUCEL) und Novartis Vaccines (mit Optaflu®). Die Produktion beider Influenza-Impfstoffe erfolgt in Zellkultursystemen und ist damit vollkommen unabhängig von Hühnereiern. Novartis Vaccines nutzt für seinen Impfstoff eine Zelllinie aus der Niere eines Cockerspaniels, während Baxter eine Zelllinie aus der Niere einer grünen Meerkatze verwendet. Eine Übersicht über in Deutschland zugelassene Grippeimpfstoffe bietet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) auf seiner Homepage. In der Liste sind allerdings nur jene Impfstoffe verzeichnet, die eine Zulassung plus eine Stammanpassung für die aktuelle Influenzasaison haben. Über die Marktverfügbarkeit der Impfstoffe oder Zahl der jeweils zugelassenen Impfdosen gibt die Tabelle des PEI jedoch keine Auskunft. (hub)

www.pei.de/Arzneimittel/ Impfstoffe

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Grippeimpfung immer mit Rendite

Mehr zum Thema

Impfempfehlungen

Neuer STIKO-Chef fordert mehr Personal

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen