Hintergrund

Grippe-Impfung schützt nur jeden zweiten Chroniker

Alte und chronisch kranke Menschen sind durch Influenza besonders gefährdet. Doch bei ihnen ist die Impfung am wenigsten wirksam. Das zeigt eine dänische Studie mit dem Schweinegrippe-Impfstoff.

Von Dr. Christine Starostzik und Wolfgang GeisselWolfgang Geissel Veröffentlicht:
Zur jährlichen Grippe-Impfung gibt es keine Alternative.

Zur jährlichen Grippe-Impfung gibt es keine Alternative.

© pix4U / fotolia.com

Gerade bei Menschen, die durch Influenza besonders gefährdet sind, ist die Impfung am wenigsten wirksam.

Das bestätigt jetzt eine dänische Kohortenstudie, in der Daten von der Schweinegrippe-Pandemie analysiert wurden (BMJ 2012; 344: d7901).

So schützte der dort verwendete Impfstoff Pandemrix® 70 Prozent der Geimpften in der Allgemeinbevölkerung, aber nur 49 Prozent der geimpften Risikopatienten.

Die Zahl der Klinikeinweisungen wegen Influenza-Komplikationen reduzierte sich nicht signifikant durch die Impfung.

Daten von 388.069 Risikopatienten wurden analysiert

In der Studie wurden Daten von Dänen im Alter unter 65 Jahren mit mindestens einer chronischen Krankheit aus der Grippesaison 2009/2010 analysiert. Bewertungsmaßstab für die Wirksamkeit der Impfung waren eine im Labor nachgewiesene H1N1-Infektion oder eine Klinikeinweisung nach bestätigter Diagnose.

Ein besonders hohes Infektionsrisiko hatten Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre (bis zu 23-mal höher als Patienten zwischen 60 und 64 Jahren) sowie chronisch kranke Patienten.

Etwa jeder fünfte der 388.069 Risikopatienten hatte mindestens eine Impfung gegen die "Schweinegrippe" erhalten. Knapp die Hälfte wurde bereits in der ersten Woche nach Eintreffen des Impfstoffs geimpft, rund 40 Prozent danach ein zweites Mal.

Der Impfstoff kam allerdings erst auf den Markt, als die Pandemie bereits ihren Höhepunkt erreicht hatte. Die Impfkampagnen zeigten nach 14 Tagen ihre Wirkung, die gemeldeten Zahlen der Influenzakranken begannen zu sinken.

Da die meisten Patienten die Impfung spät erhalten hatten, waren sie erst vollständig geschützt, nachdem die Influenzaaktivität bereits deutlich nachgelassen hatte.

Erhöhtes H1N1-Infektionsrisiko bei chronisch Kranken trotz Impfung

Ergebnisse: Von den 799 positiv auf H1N1 getesteten Risikopatienten waren 718 nicht geimpft worden, 49 erst ein bis sieben Tage und 18 acht bis vierzehn Tage vor der Erkrankung. Bei 14 Erkrankten lag die Impfung mehr als zwei Wochen zurück.

Im Vergleich zu Ungeimpften hatten Geimpfte 14 Tage nach Impfung ein erhöhtes H1N1-Infektionsrisiko. Das erhöhte Infektionsrisiko in den ersten Tagen nach Impfung lässt sich möglicherweise durch häufige Arztbesuche der chronisch Kranken erklären.

Die Patienten könnten dann in Arztpraxen einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt sein. Erst nach 14 Tagen stellte sich nämlich die 49-prozentige Schutzrate der Impfung ein.

Von den 229 in eine Klinik eingewiesenen Patienten waren 188 nicht gegen H1N1 geimpft. 25 waren bis zu sieben Tage vor der Klinikaufnahme geimpft worden, acht Patienten acht bis 14 Tage und weitere acht mehr als 14 Tage zuvor.

Auch Risiko für stationäre Behandlung bei Geimpften erhöht

Auch das Risiko für die Notwendigkeit einer stationären Behandlung wegen einer Influenza war in den ersten sieben Tagen nach der Impfung gegenüber den Ungeimpften um das Dreieinhalbfache erhöht. Die Zahl der Klinikeinweisung binnen 14 Tage nach der Impfung wurde durch die H1N1-Impfung um 44 Prozent reduziert, allerdings war dieser Wert nicht signifikant.

Dänemark eignet sich besonders, um die Zuverlässigkeit von Impfungen zu überprüfen, da dort alle positiven Influenza-Testergebnisse in einer zentralen Datenbank erfasst werden. Außerdem werden alle Entlassungsdiagnosen stationärer Patienten in einem Register festgehalten.

In Dänemark wurde gegen die "neue Grippe" im Jahr 2009 ausschließlich mit Pandemrix® geimpft. Die Kampagne startete am 2. November 2009, und alle Impfungen wurden zentral registriert.

Alte und chronisch Kranke nicht optimal geschützt

Das Fazit der dänischen Forscher: Die Impfung gegen H1N1 erfolgte spät in der Grippesaison. Sie bot dennoch einen gewissen Schutz gegen die Infektion, reduzierte aber die Zahl der Patienten, die wegen einer Influenza stationärer Behandlung bedurften, nicht signifikant.

Dass die herkömmlichen Grippe-Impfstoffe alte und chronisch kranke Menschen nicht optimal schützen, ist nicht neu. Deshalb wird in der Ständigen Impfkommission schon länger diskutiert, ob man nicht auch bei Kindern und Jugendlichen die Impfung empfehlen sollte.

Influenzaviren werden in diesem Alter besonders in Kindergärten und Schulen erworben und dann in der Bevölkerung verbreitet.

Nach einer Modellrechnung würde schon eine Impfrate von 20 Prozent bei Fünf- bis 18-Jährigen deutlich mehr Influenza-Todesfälle bei über 65-Jährigen verhindern, als wenn 90 Prozent dieser Altersgruppe direkt geimpft würde, hatte kürzlich der "Impfbrief online" berichtet.

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