Leitartikel zu den STIKO-Empfehlungen

Wenig Mut für Innovationen

Bis auf die Herabsetzung des Impfalters bei der HPV-Impfung hat die Ständige Impfkommission (STIKO) nur marginale Veränderungen im Impfkalender vorgenommen - obwohl sich viele Verbesserungen anböten. Die zögerliche Haltung liegt auch an den Altlasten der HPV-Impfung.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Jugendliche Mädchen sind für Impfungen generell schlecht zu erreichen.

Jugendliche Mädchen sind für Impfungen generell schlecht zu erreichen.

© Binagel / fotolia.com

Die neuen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) sind in diesem Jahr mit Spannung erwartet worden.

Eine ganze Reihe möglicher Verbesserungen des Impfschutzes werden in Deutschland seit längerem diskutiert: etwa die Meningokokken-B-Impfung für Säuglinge, eine jährliche Influenzaimpfung für alle Kinder sowie die konjugierte Pneumokokken-Impfung oder auch die Zoster-Impfung für Senioren.

Zu all diesen Punkten gibt es in den jetzt publizierten neuen Empfehlungen nichts Neues. Lediglich zur Meningokokken-B-Impfung will das Gremium eine ausführliche Begründung nachliefern, warum es den Schutz bisher nicht in den Impfkalender aufgenommen hat.

Wie jedes Jahr hat die STIKO einige marginale Änderungen im Impfkalender vorgenommen. So wurden etwa die Empfehlungen zur Pneumokokken-Impfung überarbeitet, die jetzt zum Beispiel auch für Träger von Cochlea-Implantaten empfohlen wird.

Eine weitreichende Empfehlung gibt es aber doch: Ab sofort sollen alle Mädchen im Alter von 9 bis 14 Jahren die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) bekommen, und nicht wie bisher empfohlen mit 12 bis 17 Jahren (Epi Bull 2014; 34: 305).

Hiermit - so hofft man - sollen die bisher schlechten Impfraten verbessert werden. Nur knapp 40 Prozent der 14- bis 17-jährigen Mädchen haben nämlich den kompletten HPV-Schutz mit drei Impfungen, wie eine Telefonumfrage im Rahmen der KiGGS-Studie des Robert Koch-Instituts ergeben hat (Bundesgesundheitsbl 2014; 57: 869).

Damit ist die HPV-Impfung das Schlusslicht beim Impfschutz für Kinder und Jugendliche.

Viel Kritik an der HPV-Impfung

Der Schutz gegen HPV fristet in Deutschland seit Langem ein Schattendasein. Schon der Start im Jahr 2007 war verhagelt. Die Impfempfehlung der STIKO wurde damals heftig kritisiert, weil das Gremium angeblich "überhastet und ohne ausreichende Prüfung der vorhandenen Evidenz" den Schutz kurz nach Markteinführung zweier Impfstoffe empfohlen haben soll.

Die negative Einschätzung wurde 2008 sogar in einem öffentlichen Manifest von 13 Forschern aus Deutschland einschließlich Professor Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft geäußert.

Inzwischen sind die Kritiker zwar verstummt; die Impfung hat sich aber von dem Image-Schaden nur langsam erholt. Darüber hinaus ist die STIKO seither sehr zögerlich, neue Impfungen zu empfehlen oder einen empfohlenen Impfschutz auszuweiten.

Die schlechten Impfraten der HPV-Impfung liegen aber auch daran, dass jugendliche Mädchen - denen der Schutz primär empfohlen wird - für Impfungen generell nur äußerst schlecht zu erreichen sind. Da Sexualkontakte der hauptsächliche Übertragungsweg für HPV-Infektionen am Gebärmutterhals sind, ist die Impfung am wirksamsten, wenn sie vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgt.

Teenager planen ein solches Ereignis aber nicht und besprechen es nicht mit Eltern oder impfenden Ärzten. Studien zufolge verpasst deshalb bisher ein Großteil der jungen Frauen in Deutschland den idealen Impfzeitpunkt, bevor sie sexuell aktiv werden, berichtet das Robert Koch-Institut (RKI) in einer Mitteilung.

Jüngere Mädchen reagieren wohl besser auf Impfung gegen HPV

Mit der Herabsetzung des Impfalters sollen jetzt mehr Kinder und Jugendliche als bisher besser vor den HPV-Infektionen geschützt werden.

Hinzu kommt: Höhere Antikörper-Antworten legen nahe, dass jüngere Mädchen besser auf eine Impfung gegen HPV ansprechen als ältere. Zudem sind in dem jüngeren Alter nur noch zwei statt bisher drei Impftermine erforderlich.

Die Herabsetzung des Impfalters hat auch den Vorteil, dass Mädchen beim Vorsorgetermin U11 im Alter von 9 bis 10 Jahren meist Kontakt zum Arzt haben.

Dabei kann - wie auch bei der "J1"-Untersuchung im Alter von 12 bis 14 Jahren - gegen HPV geimpft werden. Es gibt bislang keine Hinweise darauf, dass die Schutzwirkung nach HPV-Impfung nachlässt.

Das zeige auch eine bisher nicht publizierte neue Übersichtsarbeit zu Effektivität und Dauer des Impfschutzes gegen humane Papillomviren, berichtet das RKI in der Mitteilung weiter. Auch die WHO empfiehlt die Impfung bereits im Alter ab 9 Jahren.

Mit seiner Zurückhaltung für neue Impfempfehlungen gibt das Gremium übrigens die Verantwortung an die Praktiker zurück.

"Es liegt in der Verantwortung des Arztes, seine Patienten auf weitere Schutzmöglichkeiten hinzuweisen", heißt es in den STIKO-Empfehlungen zu neuen zugelassenen Impfstoffen, die nicht im Impfkalender berücksichtigt sind. Und: Auch eine fehlende STIKO-Empfehlung hindere den Arzt nicht an einer begründeten Impfung.

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