Erkältungskrankheiten

Grippezeit ist Herzinfarktzeit

Wenn plötzlich viele Atemwegskranke in der Notaufnahme auftauchen, können sich die Ärzte sicher sein, dass ein bis drei Wochen später auch die Zahl der Herzkreislauftoten steigt. Wie stark, das lässt sich ziemlich genau berechnen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse ist in den Wintermonaten deutlich höher als im übrigen Jahr. Erklärt wird das auch mit den entzündlichen Eigenschaften von Influenza.

Die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse ist in den Wintermonaten deutlich höher als im übrigen Jahr. Erklärt wird das auch mit den entzündlichen Eigenschaften von Influenza.

© contrastwerkstatt / fotolia.com

NEW YORK. Grippezeit ist auch Herzinfarktzeit – die Zahl der kardialen Ischämien und anderer kardiovaskulärer Ereignisse ist in den Wintermonaten deutlich höher als im übrigen Jahr.

Erklärt wird dies mit den entzündlichen Eigenschaften von Influenza und anderen Atemwegserregern. So ließen sich bei einer Influenzainfektion kardiale Veränderungen einschließlich Herzinfarkt nachweisen, auch wurden die Viren schon in atherosklerotischen Plaques gefunden, und schließlich haben einige Atemwegserreger auch prothrombotische Fähigkeiten, berichten Umweltmediziner um Dr. Jennifer Nguyen von der Columbia University in New York.

Auch wenn Atemwegskeime sicher nicht die einzige Erklärung für die kardiovaskuläre Exzessmorbidität und -mortalität in den Wintermonaten sein dürften, so lässt sich anhand der Probleme mit schweren Atemwegsinfekten recht genau die Zahl der zu erwartenden herzkreislaufbedingten Todesfälle berechnen.

Jeder Siebte mit Influenza infiziert

Für ihre Analyse jonglierten die Forscher aus New York mit Daten aus einem Register, das sämtliche Notaufnahmen New Yorker Kliniken erfasst. Aus diesem ging die Zahl der Patienten hervor, die aufgrund einer Atemwegsinfektion notfallmäßig behandelt werden mussten (JAMA Cardiol. 2016;1(3):274-281).

Im Untersuchungszeitraum zwischen 2006 und 2012 waren dies in den Kalenderwochen 40 bis 20 rund 226 pro Tag. Zu diesen Patienten zählten alle, bei denen Grippe, Fieber, Husten oder Heiserkeit zu den Gründen für den Besuch der Notaufnahme gehörten. Zudem berechneten die Forscher um Nguyen, welcher Anteil der Atemwegskranken wohl auf Influenza zurückzuführen war.

Hierzu verwendeten sie Ergebnisse von Stichprobenanalysen. Im Schnitt ließen sich auf diese Weise 32 Influenza-bedingte Notaufnahmen täglich annehmen. Danach war jeder Siebte mit einer Atemwegsinfektion an Influenza erkrankt. Die Pandemie-Saison 2009/2010 wurde bei der Berechnung jedoch ausgenommen.

83 Prozent der Herzkreislauftoten über 65

Aus einem anderen New Yorker Register entnahmen die Wissenschaftler kardiovaskuläre Sterbedaten. Danach sind im Auswertungszeitraum knapp 88.400 New Yorker im Winterhalbjahr an kardiovaskulären Erkrankungen gestorben, in den übrigen Monaten waren es 69.200.

83 Prozent der Herzkreislauftoten waren über 65 Jahre alt, und nur in dieser Gruppe zeigte sich ein statistisch signifikanter zeitlicher Zusammenhang mit Atemwegs- (r = 0,75) und Influenzainfekten (r = 0,82) in der Notaufnahme.

Um die Resultate besser vergleichen zu können, berechneten die Forscher den Quartilenabstand (Interquartile Range, IQR). Er beinhaltet alle Daten zwischen dem ersten und dem dritten Quartil. Für die Atemwegsinfekte lag der Wert bei 103 Notaufnahmen pro Tag, bezogen auf Influenza bei 44.

Für jede Zunahme der Atemwegsinfekt-Notaufnahmen um einen Quartilenabstand nahm die Zahl der kardiovaskulären Todesfälle ein bis drei Wochen später um 6,3 Prozent zu, für eine IQR-Steigerung aufgrund von Influenza lag der Anstieg bei 3,1 Prozent.

Besonders deutlich ging die Zahl der Herzinfarkttoten nach einer Grippe- und Erkältungswelle nach oben: Sie stieg um 13% bei einer IQR-Zunahme aufgrund von allgemeinen Atemwegsinfekten und um 9,4 Prozent pro IQR-Zunahme aufgrund von Influenza.

Hohe prognostische Genauigkeit

Mit ihren Daten machten sich die Forscher um Nguyen nun daran, die Zahl der kardiovaskulären Todesfälle in der Schweinegrippesaison 2009/2010 zu prognostizieren. Diese hatten sie ja zuvor nicht berücksichtigt.

Tatsächlich registriert worden waren 11.595 Herzkreislauftote, aufgrund der Atemwegsnotaufnahmen ließen sich 11.632 berechnen – ein Unterschied von nur 37 Personen oder 0,3 Prozent. Wurden lediglich die Influenzafälle berücksichtigt, lagen die Schätzungen um 514 Personen oder knapp 5 Prozent darunter.

Letztlich lässt sich also je nach Modell mit rund 95-prozentiger Genauigkeit von der Zahl der Notaufnahmen aufgrund Atemwegserkrankungen auf die Zahl der zu erwartenden Herzkreislauftoten schließen.

Allerdings haben beide Populationen wenig miteinander gemeinsam: Mit Atemwegsinfekten kommen vor allem Kinder und jüngere Erwachsene in die Notaufnahme, an kardiovaskulären Ereignissen sterben größtenteils Menschen über 65 Jahren.

Aus diesen Daten ist also nicht abzuleiten, dass die Infektionen tatsächlich der Grund für die kardiovaskuläre Exzessmortalität in der älteren Bevölkerung sind. Möglicherweise lassen ein nasskaltes Wetter oder der weihnachtliche Stress sowohl die Herzinfarktrate als auch die Infektionsrate hochschnellen.

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ergänzung herkömmlicher Modelle

Kalziumscore verbessert Vorhersage stenotischer Koronarien

Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren