Impfwoche

Weniger Masern braucht das Land

Anders als viele andere Länder Europas schafft es Deutschland nicht, Masern und Röteln endgültig auszurotten, obwohl es sich dazu verpflichtet hat. Zum Start der Europäischen Impfwoche gibt es jetzt Druck von der WHO.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Die Masern-Elimitation in Deutschland kommt nicht voran.

Die Masern-Elimitation in Deutschland kommt nicht voran.

© uwimages / fotolia.com

NEU-ISENBURG. Deutschland hat sich bei der WHO zur Elimination von Masern und Röteln verpflichtet. Diese ist aber erst erreicht, wenn keine endemischen Masern- oder Rötelnfälle über mindestens drei Jahre aufgetreten sind.

Als Indikator dafür gilt eine bundesweite Inzidenz von unter einem Fall pro einer Million Einwohner. Die Grenze liegt bei 80 Erkrankungen im Jahr.

Eine solche niedrige Zahl ist aber noch nie erreicht worden. Das WHO-Ziel wurde daher schon 2010 und 2015 verfehlt und soll jetzt 2020 erreicht werden.

Fortschritte gibt es in Deutschland kaum. Im Gegenteil: 2015 gab es bei uns mit 2580 Erkrankungen die meisten Masernfälle seit über zehn Jahren. Maßgeblich beteiligt war daran ein Ausbruch in Berlin mit 1243 Erkrankungen und einem Todesfall.

Misserfolge in Deutschland

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Erfreulicher ist die Situation in mehr als der Hälfte der Länder der WHO-Region Europa: Dort werden Masern und/oder Röteln nicht mehr endemisch übertragen. Dies zeigt, "dass die Eliminierung in der gesamten Region möglich ist", so das WHO-Regionalbüro Europa in einer Mitteilung zur Europäischen Impfwoche.

"Wir müssen dafür sorgen, dass die noch verbleibenden endemischen Länder bald nachziehen", betont die WHO-Regionaldirektorin, Dr. Zsuzsanna Jakab: "Jegliche Untätigkeit wird zu einem gefährlichen Wiederauftreten der verhinderbaren Krankheiten und zu unnötigem Leiden und Sterben führen."

Sie ruft die politischen Entscheidungsträger deshalb dazu auf, dafür zu sorgen, dass die Krankheiten "ein für alle Mal eliminiert werden."

Ursachen für die Misserfolge in Deutschland sind mangelhafte Impfraten und unzureichende Surveillance.

Die Nationale Verifizierungskommission Masern/ Röteln (NAVKO) sieht in einem aktuellen Artikel für die letzten zehn Jahre keinen kontinuierlichen Trend und noch nicht einmal eine Tendenz "hinsichtlich der Erreichung der Elimination von Masern" (Dtsch Ärztebl 2016; 113: A-646).

Die Kommission unter Vorsitz von Professor Oliver Razum von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld begleitet den Eliminationsprozess nach den WHO-Zielkriterien.

Lückenhafte Daten zu Masern

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Die NAVKO kritisiert mehrere Schwachstellen. So werden Kinder oft zu spät gegen Masern-Mumps-Röteln (MMR) geimpft: Bundesweit waren laut KV-Impfsurveillance nur 71 Prozent der Zweijährigen des Geburtsjahrgangs 2012 zweimal gegen Masern und Röteln geschützt, so die Kommission.

Erst bei ABC-Schützen liegt die bundesweite Impfquote bei 92 Prozent und damit immer noch unter den angestrebten 95 Prozent. Zudem gibt es große Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Für solche ungenügend geschützte Gruppen gibt es in Deutschland aber keine Impfaktionen.

Daten zu Masern sind zudem lückenhaft oder werden nicht erfasst. Je nach Altersgruppe meldeten Ärzte schätzungsweise mehr als 50 Prozent der Masernfälle nicht, kritisiert die NAVKO.

Zudem werden Masern-Ausbrüche bundesweit nicht systematisch erfasst, und es wird nicht eruiert, wie viele der zuständigen Behörden - wie gefordert - binnen 48 Stunden adäquat reagieren.

Maßnahmen bei Ausbrüchen auf regionaler und kommunaler Ebene in einigen Bundesländern hätten die Transmission weder schnell unterbrochen noch die Fallzahlen schnell gesenkt.

Auch die Labordiagnostik ist verbesserungsbedürftig. So liegt nach Angaben der Kommission der Anteil laborbestätigter Fälle bei den Röteln weit unter 80 Prozent.

Zudem fehlt das Wissen über die Einstellung von Ärzten und anderen im Gesundheitsdienst Tätigen zu den Risiken der Erkrankung, zum Eliminationsziel und zu den MMR-Impfungen bei sich selbst und bei ihren Patientinnen.

Viel Unwissenheit im Volk

Masern und Röteln in der Impfwoche

Die Europäische Impfwoche findet bis 30. April in der gesamten Europäischen Region statt. Aktionen und Informationen sollen das Bewusstsein der Bevölkerung für die Bedeutung von Impfmaßnahmen für Gesundheit und Wohlbefinden schärfen.

In diesem Jahr stehen im Mittelpunkt der Aktivitäten die Fortschritte und Herausforderungen im Hinblick auf die gemeinsamen Anstrengungen in der Europäischen Region zur Eliminierung der Masern und Röteln.

Mehr Informationen unter: www.immunize-europe.org

Erstmals gibt es in Deutschland aber einen "Nationalen Aktionsplan" zur Masern- und Rötelnimpfung mit festen Zielvorgaben, die in den nächsten Jahren erreicht werden sollen, räumt das Robert Koch-Institut auf Anfrage ein.

Auf konkrete Impfkampagnen etwa für Gruppen mit Impflücken haben sich die zuständigen Impf-Akteure in den einzelnen Bundesländern zwar nicht einigen können.

Aber zumindest sollen jetzt zum Beispiel Krankenkassen ihre Mitglieder auf die Impfungen hinweisen. So hatte noch vor wenigen Jahren eine Umfrage ergeben, dass drei Viertel der jungen Erwachsenen überhaupt nicht wussten, dass ihnen die Masernimpfung empfohlen wird.

Auch die Surveillance soll gestärkt werden, indem Gesundheitsämter den niedergelassenen Ärzten Material für die Probenentnahme bei Patienten mit Masernverdacht zur Verfügung stellen.

Allerdings: Dies alles sind erste kleine Schritte. Eine Elimination bis 2020 ist damit kaum zu erreichen.

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