Licht und Schatten bei der Tuberkulosekontrolle

In den vergangenen 15 Jahren wurde weltweit bei der Tuberkulose viel erreicht. Aber es ist längst nicht genug, wie der jährliche WHO-Bericht zur Situation verdeutlicht. Das Papier wurde jetzt bei der 41. Welt-Lungen-Konferenz in Berlin vorgestellt.

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Vor allem auch Menschen in Indien sind häufig von multiresistenten Tb-Erregern betroffen.

Vor allem auch Menschen in Indien sind häufig von multiresistenten Tb-Erregern betroffen.

© DAHW

Von Philipp Grätzel von Grätz

Gute Nachrichten gab es zunächst bei der Vorstellung des WHO-Berichts "Global Tuberculosis Control 2010". Nach Berlin mitgebracht hatte sie der Direktor des "Stop Tb"-Programms der WHO, Dr. Mario Raviglione. Seit verschiedene internationale Organisationen ihre Bemühungen zur Bekämpfung der Tuberkulose Anfang der 1990er Jahre deutlich intensiviert haben, hat sich die Tuberkulosekontrolle global tatsächlich gebessert.

"Seit 1990 ist die Tuberkulosemortalität um 35 Prozent zurückgegangen, und wir sind optimistisch, dass wir bis 2015 einen 50-prozentigen Rückgang melden können", so Raviglione. Im Jahr 2009 lag die Mortalität bei 20 pro 100 000 Menschen, statt rund 30 pro 100000 im Jahr 1990. Maßgeblichen Anteil daran hatte das sogenannte DOTS-Programm ("Directly Observed Treatment, Short-course"), bei dem die Einnahme der Medikamente engmaschig überwacht wird. "Seit 1995 haben mehr als 41 Millionen Menschen dieses Programm durchlaufen und wurden geheilt. Ohne DOTS hätten wie in den vergangenen 15 Jahren sechs Millionen Tote mehr zu beklagen gehabt", betonte der Experte.

Der Erfolg von DOTS spiegelt sich wider im Anteil der erfolgreich therapierten Patienten. Im Jahr 2008, dem Jahr der derzeit aktuellsten Zahlen, wurden 86 Prozent aller wegen Tb behandelten Patienten durch die Therapie geheilt. Das ist Rekord. Doch niemand sollte sich täuschen lassen: Die Tuberkulose bleibt eines der größten Gesundheitsprobleme weltweit. Geschätzte 9,4 Millionen Menschen infizieren sich pro Jahr neu mit Tuberkulose. Die Zahl der nicht diagnostizierten und entsprechend nicht behandelten Patienten geht in die Millionen.

Die Inzidenz der Tuberkulose hat sich seit ihrem Höchststand im Jahr 2004 kaum nach unten bewegt. Derzeit gibt die WHO 137 Neuerkrankungen pro 100 000 Menschen an. 2004 waren es 142. "Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, dann brauchen wir noch Jahrtausende, bis wir die Tb eliminiert haben", so Raviglione lakonisch. Der neue Tb-Bericht der WHO spricht von 1,7 Millionen Todesfällen durch Tuberkulose im Jahr 2009, darunter 400 000 Frauen und geschätzte 50 000 bis 100 000 Kinder. Wenn man berücksichtigt, dass etwa jeder vierte, der an der HIV-Infektion stirbt, eigentlich an Tuberkulose stirbt, dann gibt es keine Infektionserkrankung, die mehr Leben fordert.

Die Koinfektion von HIV und Tuberkulose ist für Dr. Nils Billo von der Internationalen Union zur Bekämpfung von Tuberkulose und Lungenerkrankungen entsprechend eine der größten Herausforderungen, denen sich die Gesundheitssysteme vor allem der ärmeren Länder gegenübersehen. Billo wies darauf hin, dass es ohne eine effektive Kontrolle einer HIV-Infektion bei einem mit Tuberkulose koinfizierten Patienten praktisch keine Aussicht auf Heilung gebe. "Alle koinfizierten Patienten brauchen eine effektive antiretrovirale Therapie", so Billo.

Auch die Versorgung mit Arzneimitteln ist allen Fortschritten zum Trotz noch an vielen Stellen problematisch. So gingen in den letzten Monaten in mehreren Ländern die Lagerbestände an Tuberkulostatika zur Neige. "Das darf nicht passieren, denn damit züchten wir uns multiresistente Tuberkuloseerreger (MDR) heran", so Billo. Von rund 440 000 neuen Infektionen pro Jahr mit MDR-Tuberkulose geht die WHO derzeit aus. "Nur etwa 30 000 Patienten mit MDR-Tb werden leitliniengerecht behandelt." In vielen Ländern sei es derzeit noch ein Problem, überhaupt an die nötigen Zweitlinienmedikamente zu kommen. Sollte sich die MDR-Tb weiter ausbreiten, besteht die Gefahr, dass die erzielten Fortschritte zunichtegemacht werden.

Ein weiterer internationaler Kraftakt ist also nötig, um bei der Tuberkulosekontrolle am Ball zu bleiben. Gudrun Kopp, Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nutzte den Welt-Lungen-Kongress, um darauf hinzuweisen, dass die Bundesregierung den Global Fund zur Bekämpfung von AIDS, Malaria und Tuberkulose auch in den Jahren 2011 bis 2013 mit jährlich 200 Millionen Euro unterstützen wird. Im Vergleich zu dem im "Global Plan to Stop Tb" der WHO geschätzten Finanzierungsbedarf für die Tuberkulosekontrolle klafft derzeit allerdings eine Förderlücke von global einer Milliarde Euro jährlich.

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