HINTERGRUND

Das Grippevirus von 1918 hilft vielleicht, eine Pandemie abzuwenden

Von Thomas Müller Veröffentlicht:

Es war ein Vogelgrippe-Virus - daran gibt es jetzt kaum noch Zweifel. Die größte bekannte Grippe-Pandemie der Menschheitsgeschichte ist offenbar von einem Virus ausgelöst worden, das von Vögeln stammt und sich langsam Menschen angepaßt hat (wir berichteten). Mit dieser Erkenntnis, die Forscher jetzt aus der Rekonstruktion des Pandemie-Virus von 1918 gewonnen haben, wächst die Befürchtung, das derzeit kursiernde Vogelgrippe-Virus H5N1 könnte es dem Erreger von 1918 gleichtun. Doch die Analyse des Pandemievirus von 1918 hilft vielleicht auch, schneller einen Impfstoff gegen den Erreger der nächsten Pandemie zu entwickeln.

Mit einer Serie von Mutationen paßte sich das Pandemievirus an

      Es fehlen noch Mutationen, damit sich H5N1 an Menschen adaptiert.
   

Das Pandemie-Virus von 1918 habe sich offenbar durch eine Serie von Mutationen an Menschen angepaßt, so der US-Pathologe Jeffery Taubenberger in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Nature"(437, 2005, 889). Der Pathologe hat in den vergangenen Jahren die kompletten acht Gene des Virus entschlüsselt und die Sequenzen der letzten drei Gene in seinem Artikel veröffentlicht.

Bevor das Genom des Virus bekannt war, hatten Forscher spekuliert, das Pandemievirus könnte durch ein Kreuzung von Human- und Tierinfluenza-Viren entstanden sein. Das geschah bei den letzten, wesentlich schwächeren Pandemien von 1957 und 1968. Damals waren Human-Influenzaviren mit zwei bis drei Genen von Vogelgrippe-Viren aufgetaucht - und diese waren dem menschlichen Immunsystem offenbar nicht ganz so fremd wie das Vogelgrippe-Virus von 1918: So starben bei den Epidemien 1957 und 1968 jeweils eine Million Menschen, 1918 waren es 20 bis 50 Millionen.

Taubenberger geht davon aus, daß das 1918er Virus deshalb so letal war, weil es in toto auf Menschen übergesprungen ist - ein für das Immunsystem völlig neuer Erreger.

Mit Blick auf das jetzt kursierende Vogelgrippe-Virus H5N1 ergeben sich einige beunruhigende Parallelen. Noch kann sich das Virus nicht von Mensch zu Mensch verbreiten, doch wenn es Menschen infiziert, ist es äußerst pathogen: Jeder zweite Erkrankte stirbt daran. Auch auf molekularer Ebene gibt es Ähnlichkeiten zum 1918er Virus.

So fand Taubenberger in Proteinen, die für die Replikation des 1918er Virus nötig sind, an zehn Stellen eine Abweichung von Vogelgrippe-Viren. An diesen Positionen stehen dieselben Aminosäuren, wie sie auf entsprechenden Positionen bei Human-Grippeviren gefunden werden. Einige solcher Aminosäuren-Veränderungen wurden bereits auch bei H5N1 beobachtet - ein Zeichen dafür, daß sich H5N1 langsam an Menschen adaptiert.

Schnellere Impfstoffentwicklung durch Genom-Entschlüsselung?

Doch die Entschlüsselung des Virusgenoms von 1918 bekräftigt nicht nur die Gefahr einer neuen Pandemie, sie könnte auch helfen, eine solche Epidemie durch H5N1 einzudämmen. Denn kennt man die Mutationen, die H5N1 für eine Anpassung fehlen, dann kann man rechtzeitig Alarm schlagen, wenn diese Veränderungen tatsächlich auftreten, so der Virologe Professor Hans Wilhelm Doerr aus Frankfurt/Main.

Konkret heißt das: Treten entsprechende Mutationen auf, die darauf schließen lassen, daß eine Pandemie vor der Tür steht, so kann man die jeweilige Virusvariante für die Impfstoffproduktion vorbereiten. Würde sich die Variante dann tatsächlich zum Pandemievirus entwickeln, würde man statt sechs nur etwa drei Monate zur Impfstoffproduktion benötigen - ein möglicherweise entscheidender Vorsprung, um eine Pandemie abzuwenden.

Ob H5N1 die entscheidenden Mutationen gelingen, die nötig sind, um sich Menschen anzupassen, läßt sich jedoch nicht abschätzen. "Nach den jetzt veröffentlichten Daten sind nicht mehr sehr viele Mutationen nötig - man kann aber nicht vorhersagen, wann diese auftreten", so der Virologe Professor Georg Pauli vom Robert-Koch-Institut in Berlin.

Das Virus wird daher streng überwacht. Sollte irgendwo auf der Welt tatsächlich ein Ausbruch mit H5N1 beginnen, wären sofort WHO-Experten zur Stelle, um den Erreger zu isolieren, zu sequenzieren und für die Impfstoffproduktion anzuzüchten, so Doerr. Um den Ausbruchsherd würde man sofort Neuraminidase-Hemmer verteilen und versuchen, die Betroffenen in Quarantäne zu stecken. Bei Sars sei so die Eindämmung der Krankheit bilderbuchhaft gelungen.

Ob das mit einem neuen Pandemie-Virus ähnlich gut klappt, da hat aber auch Doerr Zweifel: Im Gegensatz zu Sars wird Influenza auch schon von Personen übertragen, die noch keine Symptome haben. Letztlich würde es bei einem neuen Pandemie-Virus wohl darum gehen, die Ausbreitung so lange aufzuhalten, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht.



FAZIT

Das Grippe-Pandemievirus von 1918 stammte von einem Vogelgrippe-Virus ab, das sich an Menschen angepaßt hat. Das legen Sequenzvergleiche des Virus mit anderen Influenzaviren nahe. Eine schrittweise Anpassung an Menschen wird derzeit auch beim Vogelgrippe-Virus H5N1 beobachtet. Noch fehlen aber wichtige Veränderungen, mit denen sich das Virus von Mensch zu Mensch übertragen kann. Werden diese Veränderungen früh erkannt, kann man vielleicht schon vor Beginn einer Pandemie einen Impfstoff produzieren.

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