INTERVIEW

"Die Chancen sind gut, einen Vogelgrippe-Ausbruch in Deutschland schnell zu erkennen und zu stoppen"

Zwar besteht in Deutschland die Gefahr, daß Zugvögel die Vogelgrippe einschleppen, berichtet Professor Thomas Mettenleiter. Aber die Chancen sind gut, daß sich eine Ausbreitung in Deutschland verhindern läßt, so der Leiter der Bundesforschungsanstalt für Tiergesundheit im Gespräch mit Thomas Müller von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: In Deutschland spazieren längst nicht mehr in jedem Dorf Hühner über die Straße - die Tiere befinden sich oft in gut kontrollierten Großbetrieben. Sind wir daher nicht besser geschützt vor Vogelgrippe-Ausbrüchen als Länder wie die Türkei oder Rumänien?

Professor Thomas Mettenleiter: Wir haben auch in Deutschland kleinere Tierhaltungen. Von daher ist die Gefahr einer Infektion schwer einzuschätzen. Wir haben aber gute Chancen, eine erstmalige Infektion schnell zu erkennen und so die Krankheit zu eliminieren. Da ist unser Veterinärsystem anders aufgestellt als in Rumänien, in der Türkei oder der Ukraine.

Ärzte Zeitung: Wie soll die Eindämmung bei einem Ausbruch in Deutschland gelingen?

Mettenleiter: Gibt es in einem Betrieb ansteckungsverdächtige Tiere, wird der Bestand so schnell wie möglich getötet. Im Radius von drei Kilometern um den Betrieb gibt es ein Sperrgebiet, in dem keine Tiertransporte erlaubt sind, aus dem keine Geflügelprodukte gebracht werden dürfen und in dem eine Personenkontrolle besteht. Betriebe im Radius von zehn Kilometer um den Infektionsherd werden streng kontrolliert. Man wird zudem schauen, welche Betriebe von dem infizierten Hof Hühner oder Eier bekommen haben, in diesen Betrieben wird das Geflügel ebenfalls getötet. Daß dieses Vorgehen funktioniert, hat ein Vogelgrippe-Ausbruch 2003 in den Niederlanden gezeigt. Damals sprang das Virus auch auf einen Hof in Viersen in Nordrhein-Westfalen über. Wir waren durch den Ausbruch in den Niederlanden aber vorgewarnt und hatten das schnell erkannt. Damals blieb es bei einem Fall in Deutschland.

Ärzte Zeitung: Zugvögel und Fleischtransporte gelten als Hauptgefahr für eine Einschleppung der Vogelgrippe nach Deutschland. Ornithologen bezweifeln aber, daß von Zugvögeln eine Gefahr ausgeht. Zum einen fliegen die meisten der Vögel von Nordafrika nicht über Osteuropa und die Türkei zu uns, zum anderen wird bezweifelt, daß infizierte Tiere weit fliegen können. Wäre eine Stallpflicht damit nicht überflüssig?

Mettenleiter: Nein, überhaupt nicht. Zugvögel sind zwar sicher nicht zu hundert Prozent durchinfiziert, und ein Zugvogel, der sich in Nordafrika oder am Bosporus infiziert hat, schafft es vielleicht nicht bis hierher, aber die Vögel fliegen nun mal nicht alleine, und durch die Übertragung von Vogel zu Vogel kann das Virus natürlich hierher kommen. Die Ausbrüche im westlichen Teil Rußlands, in Kroatien, in Rumänien, in der Ukraine und in der Türkei sind aber durch nichts anderes zu erklären als durch Zugvögel. In Rumänien begann die Vogelgrippe im Donaudelta, also dem bevorzugten Überwinterungsgebiet für Zugvögel. Sicher fliegen nicht viele Vögel infiziert durch die Gegend, es reicht aber, wenn ein infizierter Vogel in einem Geflügelhof landet. Und immerhin ein Viertel der Zugvögel kommt nach Mitteleuropa über die Ostroute am Bosporus. Gerade da hatten wir in den letzten Tagen die Ausbrüche.

Ärzte Zeitung: Eine Schutzmöglichkeit wäre, Geflügel zu impfen. Da man aber bei bisherigen Impfstoffen bei einem Antikörpertest nicht unterscheiden kann, ob die Tiere geimpft oder infiziert sind, wird eine Impfung abgelehnt. Am Friedrich-Loeffler-Institut wird ein Impfstoff entwickelt, der eine solche Unterscheidung ermöglicht. Wie soll der Impfstoff funktionieren?

Mettenleiter: Wir haben den Prototyp für einen gentechnisch veränderten Impfstoff hergestellt. Dazu haben wir aus dem Vogelgrippe-Virus das Gen für Hämagglutinin herausgenommen und in ein Geflügel-Herpesvirus eingebaut. Wenn wir mit dem rekombinanten Geflügel-Herpesvirus impfen, bekommen wir eine Immunantwort gegen das Herpesvirus und gegen das Vogelgrippe-Hämagglutinin. Aber eben nur gegen das Hämagglutinin, nicht gegen andere Influenza-Proteine. Wenn man also bei einem Tier auch Antikörper gegen andere Influenza-Proteine findet, weiß man sicher, das Tier ist nicht vakziniert sondern infiziert.

Ärzte Zeitung: Wie weit sind Sie mit der Entwicklung?

Mettenleiter: Wir haben den halben Weg geschafft und dazu bisher vier Jahre gebraucht. Bis der Impfstoff zum Einsatz kommt, wird es also noch ein paar Jahre dauern. Bisher sind wir im Experimentalstadium, haben aber noch keine Feldstudien gemacht - solche Feldstudien entsprechen etwa klinischen Studien in der Humanmedizin. Wir haben unseren Prototypen Ende 2005 an die Industrie übergeben, und die entwickelt die Vakzine weiter, wobei wir immer noch daran forschen und den Prototypen verbessern.

Ärzte Zeitung: Wann würde ein solcher Impfstoff angewandt?

Mettenleiter: Man wird damit sicher nicht flächendeckend prophylaktische impfen. Zum einen schützt der Impfstoff nicht sicher vor einer Infektion - das Virus könnte sich unter dem Impfschutz weiter ausbreiten und weiter gefährlich sein. Zum anderen induziert eine solche Impfung einen Antigendrift, das heißt, durch den unvollkommenen Impfschutz wird die Selektion neuer Virus-Varianten gefördert.

Ärzte Zeitung: Weshalb wird dann der Impfstoff entwickelt?

Mettenleiter: Mit dem Impfstoff könnte man zum Beispiel in Nachbarbetrieben von befallenen Höfen impfen, um eine Ausbreitung des Virus zu erschweren. Insgesamt würde die Schwelle sinken, den Impfstoff einzusetzen, weil man unterscheiden kann, ob die Tiere geimpft oder infiziert sind.

Ärzte Zeitung: In der Türkei wurde jetzt eine Virus-Variante bei infizierten Menschen isoliert, in der die Rezeptor-Bindestelle des H5N1-Virus so mutiert ist, daß es besser in menschliche Zellen eindringen kann. Ist das der nächste Schritt zur Anpassung an Menschen?

Mettenleiter: Influenzaviren verändern sich ständig. Es ist ganz normal, daß sich neue Varianten herausbilden. Das kennen wir auch bei H5N1 aus Südostasien. Das ist nicht unbedingt so überraschend, es ist aber schon interessant, daß sich das Virus gerade in der Rezeptor-Bindungsstelle verändert hat, was auf eine Selektion bei der Vermehrung im Menschen deutet. Ich wäre aber sehr vorsichtig, das so zu interpretieren, daß sich das Virus schon wieder einen Schritt weiter an Menschen angepaßt hat.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wissen schützt vor Vogelgrippe

VOGELGRIPPE IN KÜRZE

Der Verdacht auf Vogelgrippe bei einem Journalisten, der von einer Türkei-Reise nach Belgien zurückgekehrt ist, hat sich nicht bestätigt. "Nach den ersten Ergebnissen handelt es sich nicht um einen Fall von Vogelgrippe", sagte der belgische Gesundheitsminister Rudy Demotte am Samstag in Brüssel.

"Wir können die H5-Variante zu 100 Prozent ausschließen", so René Snackers, zuständig im Ministerium für Seuchen. Der fraglich infizierte Mann, ein russischstämmiger Journalist, war am Freitag mit Grippe-Symptomen in eine Klinik eingewiesen worden. Er war aus einem Gebiet der Türkei nach Brüssel zurückgekehrt, wo das H5N1-Influenza-Virus nachgewiesen worden sei, hat die belgische Nachrichtenagentur Belga gemeldet. Der Mann habe dort eine Reportage gemacht.

Vietnam hat die Vogelgrippe abermals als eingedämmt erklärt. Da es seit mehr als zwei Monaten keine neuen Infektionen von Menschen gegeben habe, sei die Viruskrankheit unter Kontrolle, berichtete das Gesundheitsministerium in Hanoi am Freitag. Auch seien seit drei Wochen keine neuen Ausbrüche der Seuche bei Tieren bekannt geworden. Vietnam hatte 2004 schon einmal erklärt, die Seuche unter Kontrolle gebracht zu haben. Wenige Wochen später gab es aber erneut Ausbrüche.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dementierte, daß eine bei einem türkischen Patienten beobachtete Mutation eines Vogelgrippe-Virus ein erstes Zeichen für eine bevorstehende Pandemie bei Menschen sei. Eine ähnliche Genveränderungen sei bereits 2003 bei Vogelgrippeviren in Hongkong und 2005 in Vietnam festgestellt worden. Die veränderten Viren binden offenbar leichter an an menschliche Zellen als an Vogelzellen.

Die Europäische Union unterstützt den weltweiten Kampf gegen die Vogelgrippe mit 80 Millionen Euro. Diesen Beitrag will die Europäische Union am 17. und 18. Januar bei einer internationalen Konferenz in Peking leisten, wie Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner in Brüssel sagte. Das Geld soll Entwicklungsländern vor allem in Asien helfen, sich gegen die Krankheit zu wappnen.

Nach stationärer Therapie ist in der zentraltürkischen Stadt Sivas eine positiv auf Vogelgrippe getestete Frau wieder entlassen worden. Die Frau sei in der Türkei die vierte mit dem Virus infizierte Person, die nach erfolgreicher Therapie wieder entlassen worden sei, meldet die türkische Nachrichtenagentur Anadolu.

In Indonesien ist die Zahl der bestätigten Todesfälle durch Vogelgrippe auf zwölf gestiegen. Die WHO habe die Infektion einer 29 Jahre alten Frau mit dem Virustyp H5N1 durch eigene Tests nachgewiesen, teilte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Jakarta am Samstag mit. 

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