Anämie - häufiges Begleitsymptom bei Krebskranken

Mehr als die Hälfte der Krebspatienten entwickelt infolge der Erkrankung oder der Therapie eine Anämie. Diese kann unter anderem zu chronischen Erschöpfungszuständen (Fatigue) führen. Um den Hämoglobinwert wieder zu erhöhen, ist rekombinantes Erythropoietin in Kombination mit einer Eisensubstitution die Therapie der Wahl. Das Ziel ist ein Hämoglobinwert von 12 bis 13 g / dl.

Veröffentlicht:

Friederike Marquardt, Sibylle Loibl, Gunter von Minckwitz, Manfred Kaufmann

Anämie ist eine häufige Begleiterscheinung maligner Erkrankungen - mehr als die Hälfte der Patienten sind betroffen. Auslöser können die Krebserkrankung per se und die Therapiemaßnahmen sein.

Abhängig vom Tumor und der Art der Chemotherapie können bis zu 100 Prozent der Patienten eine milde bis moderate Anämie (Hb < 11 g / dl) und bis zu 80 Prozent eine schwere bis vital gefährdende Anämie (Hb  7,9 g / dl) entwickeln. Als Symptome können dabei Dyspnoe, kardiovaskuläre Komplikationen, Schwindel, Kopfschmerzen, Brustschmerzen, Antriebslosigkeit, Depression und Anorexie auftreten.

Zudem ist die Anämie eine der wesentlichen Ursachen für die Fatigue bei Krebspatienten - also chronische Erschöpfungszustände, die durch anhaltende Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kraft- und Antriebslosigkeit und Konzentrationsstörungen gekennzeichnet sind und die die Patienten im Alltagsleben stark beeinträchtigen. Es können also sowohl physische als auch psychische, soziale und kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt sein.

Die Fatigue tritt gehäuft bei Hämoglobinwerten unter 12 g / dl auf. Auftreten und Intensität der Fatigue sind dabei abhängig von der Art der verwendeten Therapie und der Therapiedauer. Die Anämie führt damit zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität.

Patienten mit schweren, akuten Anämien werden meistens mit Erythrozytenkonzentraten behandelt. Patienten mit milden bis mäßigen Anämien (Hb 10 - 12 g / dl) unter Chemotherapie bleiben meist unbehandelt.

Ziel bei Anämie ist, vor allem den Hämoglobinwert anzuheben. Therapie der Wahl ist hier rekombinantes Erythropoietin (rhEPO) bei gleichzeitiger Eisensubstitution. Erythrozytenkonzentrate sollten nur bei Knochenmarksinfiltration, fehlendem Ansprechen auf Erythropoese-stimulierende Faktoren (ESF) sowie bei Patienten mit einer Lebenserwartung von weniger als vier Wochen verwendet werden. Vor Beginn einer rhEPO-Therapie sollten andere Ursachen für eine Anämie wie Eisenmangel, Blutungen, Mangelernährung und Hämolyse ausgeschlossen sein.

In klinischen Studien schwanken die Ansprechraten auf rhEPO zwischen 40 und 85 Prozent - abhängig von der Krebserkrankung, dem Tumorstadium, der Art und Intensität der Chemotherapie sowie der Dosierung und Dauer der rhEPO-Therapie. Die Erfolgsquoten betragen zum Beispiel etwa

  • 60 bis 80 Prozent bei Patienten mit multiplem Myelom,
  • 50 bis 61 Prozent bei Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen,
  • 40 bis 62 Prozent bei Patienten mit soliden Tumoren und
  • 52 bis 82 Prozent bei Patienten mit Zytostatika-induzierter Anämie.

Die mediane Dauer bis zum Ansprechen auf die rhEPO-Therapie liegt im allgemeinen bei vier bis sechs Wochen, wobei der Erfolg bei Patienten unter Chemotherapie langsamer eintritt. Bei Patienten unter Radiotherapie kann eine Therapie mit rhEPO innerhalb von zwei Wochen den Hb-Wert signifikant erhöhen.

Nach den EORTC-Leitlinien (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) sollte eine Therapie mit rhEPO bei einem Hb-Wert von 9 - 11 g / dl begonnen werden. In Studien ist der Nutzen der rhEPO-Therapie besonders für Patienten, die eine Chemo- oder Radiotherapie erhalten, belegt.

Auch für Krebspatienten ohne zytostatische Therapie empfiehlt die EORTC die Therapie mit rhEPO, obwohl es noch keine ausreichenden Studiendaten gibt, die den Nutzen belegen. Eine prophylaktische Anwendung von rhEPO vor Beginn einer Chemotherapie bei Patienten mit normalem Hb-Ausgangswert sollte derzeit nicht erfolgen.

Bei Patienten, die ein Erythrozytenkonzentrat benötigen, sollte parallel eine rhEPO-Therapie gestartet werden. Ziel ist ein Hb-Wert von 12 - 13 g / dl und damit eine Verbesserung der Lebensqualität und die Vermeidung von Erythrozytenkonzentrat-Infusionen. Die Behandlung sollte fortgeführt werden, solange der Hb-Wert unter 12 - 13 g / dl liegt oder solange es zu einer Besserung der Anämie-Symptomatik kommt.

Während der Therapie mit rhEPO können Eisen- und Ferritinspiegel im Serum abfallen. Je nach Bestand des Eisenspeichers kann sich ein funktioneller Eisenmangel entwickeln. Dieser sollte durch eine gleichzeitige Eisensubstitution ausgeglichen werden, zum Beispiel mit 200 bis 300 mg Eisen-II-Sulfat pro Tag. Bei einigen Patienten kann eine orale Eisen-Therapie nicht ausreichend sein, so daß bei einer Transferrin-Sättigung von unter 20 Prozent eine intravenöse Eisensubstitution, etwa mit Eisensaccharose (Venofer®), notwendig werden kann.

In Deutschland gibt es drei rekombinante Erythropoietine: Epoetin alfa, Epoetin beta und Darbepoetin alfa. Die meiste klinische Erfahrung hat man bislang mit Epoetin alfa (Erypo®, Eprex®). Die empfohlene Dosis für Krebspatienten beträgt 150 I.E. s.c. pro kg Körpergewicht (KG) dreimal wöchentlich oder 40 000 I.E. s.c. einmal wöchentlich.

Bei nicht ausreichender Therapieantwort, das heißt bei einem Anstieg des Hb-Werts von weniger als 1 g / dl und einer Erhöhung der Retikulozytenzahl von weniger als 40 000 Zellen / µl innerhalb von vier Wochen, kann eine Dosisanpassung auf 300 I.E. / kg KG die Ansprechrate steigern. Falls binnen vier Wochen der Hb-Ausgangswert nicht um mindestens 1 g / dl gestiegen ist, sollte die Therapie mit Epoetin alfa abgebrochen werden.

Steigen die Hb-Werte auf über 14 g / dl, sollte die Therapie bis zum Erreichen einer Schwelle von 12 g / dl unterbrochen werden. Danach wird mit 75 Prozent der Ausgangsdosis weiterbehandelt.

Grundsätzlich sollte eine Epoetin-Therapie nach dem Ende der Chemotherapie drei Wochen lang fortgeführt oder bis zum Erreichen eines Hb-Wertes von mindestens 12 g / dl beibehalten werden.

In der Handhabung ähnlich ist das Epoetin beta (NeoRecormon®). Die empfohlene Dosis beträgt 30 000 I.E. pro Woche subkutan. Bei Hb-Werten von über 14 g / dl oder einem Hb-Anstieg um mehr als 2 g / dl pro Monat sollte die Dosis um 50 Prozent reduziert werden.

Eine Alternative ist Darbepoetin alfa (Aranesp®). Durch eine im Vergleich zu Epoetin alfa und Epoetin beta veränderte Aminosäuresequenz hat Darbepoetin alfa eine doppelt- bis dreifach längere Halbwertszeit im Serum. Daher ist die Substanz sowohl bei einmal wöchentlicher Injektion wirksam als auch bei der Anwendung einmal alle drei Wochen. Die empfohlene Dosis beträgt 2,25 µg / kg KG pro Woche.

Läßt sich der Hb-Wert mit dieser Dosierung nur um weniger als 1 g / dl innerhalb der ersten vier Wochen erhöhen, sollte die Dosis zunächst verdoppelt werden. Gelingt damit innerhalb von weiteren vier Wochen keine deutliche Hb-Wert-Erhöhung, so sollte die Therapie abgebrochen werden.

Bei Hb-Werten von über 14 g / dl sollte die Therapie abgesetzt werden und erst bei Werten von  13 g / dl wieder begonnen werden.

Ob durch rhEPO das Ansprechen auf die Krebstherapie verbessert und das Überleben der Patienten verlängert werden kann, wird derzeit in großen prospektiven Studien untersucht. Ein günstiger Effekt von rhEPO auf das Überleben wird angenommen.

Denn man geht davon aus, daß die Anämie-bedingte Tumorhypoxie eine beschleunigte Tumorprogression, eine erhöhte Fernmetastasierungsrate und damit letztlich eine schlechtere Prognose zur Folge hat.

Dr. Friederike Marquardt, Dr. Sibylle Loibl, PD Dr. Gunter von Minckwitz, Prof. Dr. Manfred Kaufmann, Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der Johann-Wolfgang-Goethe Universität, Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt / Main, Tel.: 069 / 6301-7024, Fax: 6301-7938, E-Mail: LOIBL@em.uni-frankfurt.de



Tumor und Therapie - beide können Anämie auslösen

Die Entwicklung der Anämie hängt im wesentlichen vom Typ und Stadium des Malignoms sowie von Art und Intensität der Therapie ab. So kann die Anämie auf Blutverlust oder auf direkten Knochenmarksinfiltraten beruhen. Als Ursache diskutiert wird auch eine Störung der Erythrozyten-Produktion durch eine Steigerung der Aktivität von pro-inflammatorischen Zytokinen wie Interferon-gamma, Tumornekrosefaktor-alpha und Interleukin-1. Folge dieser erhöhten Aktivität ist, daß weniger endogenes Erythropoietin gebildet wird, die Eisen-Utilisation gestört und die Produktion von erythroiden Progenitor-Zellen herabgesetzt ist. Außerdem kann die Erythrozyten-Überlebenszeit durch bestimmte Substanzen, die von den Tumorzellen sowie vom Immun- und inflammatorischen System produziert werden, verkürzt sein.

Zytostatika sind durch Myelosuppression die häufigste Ursache einer klinisch relevanten Anämie, vor allem bei intensiven, hochdosierten (dosisdichten und dosisintensivierten) Chemotherapie-Regimen. (Marquardt et al.)

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