HINTERGRUND

Moderne Vorsorgemaßnahmen scheitern bei Männern oft am antiquierten Rollenbild

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:
Bei einer Vorsorge-Koloskopie sieht man Männer eher selten.

Bei einer Vorsorge-Koloskopie sieht man Männer eher selten.

© Foto: Klaro

Männer, die regelmäßig zur Krebsfrüherkennung gehen, gelten unter ihren Geschlechtsgenossen nicht unbedingt als Vorbild. Vielmehr werden sie von überzeugten Nicht-Teilnehmern als Hypochonder, Weicheier oder ängstliche Typen abgestempelt. So lauteten die spontanen Äußerungen von Nicht-Teilnehmern zwischen 45 und 70 Jahren, die bei einem Forschungsprojekt zu ihrer Einschätzung befragt wurden. Ziel des Projekts war es, soziale und psychologische Faktoren zu identifizieren, welche die Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen bei Männern beeinflussen.

Auch bei hohem Bildungsniveau ist Prävention wenig attraktiv

Fazit des Projekts unter der Leitung der Heidelberger Psychologin Professor Monika Sieverding: Sozioökonomische Faktoren wie Bildung und Einkommen sind bei Männern dabei nur von untergeordneter Bedeutung. Viel wichtiger seien deren Einstellungen und sozialen Normen, sagte die Geschlechter-Forscherin beim Kongress für Gender Medicine in Heidelberg.

Nach Schätzungen des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung in Berlin (ZI) haben zum Beispiel im Jahre 2006 nur 21 Prozent der anspruchsberechtigten Männer von der gesetzlichen Krebsfrüherkennungsuntersuchung Gebrauch gemacht.

Im dem Forschungsprojekt wurden fast 11 000 Männer zwischen 45 bis 70 Jahren gefragt, ob sie überhaupt schon an einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung teilgenommen haben, und wenn ja, wie regelmäßig. Das überraschende Ergebnis: Immerhin zwei Drittel gaben an, dies wenigstens schon einmal getan zu haben. Nur jeder dritte Mann sagte, bisher noch nie ein solches Angebot in Anspruch genommen zu haben.

Präziser nach dem Test auf okkultes Blut im Stuhl gefragt, wurde deutlich, dass zwei Drittel der Frauen und nicht einmal jeder zweite Mann diesen Test regelmäßig alle ein bis zwei Jahre machen lässt.

Früherkennung ist für viele Männer schlicht unmännlich

Was sind die Gründe für das unterschiedliche Gesundheitsverhalten? Zum einen verbiete die traditionelle Männerrolle ein feminines Gesundheitsverhalten, sagte die Psychologin bei dem Kongress. In einer früheren Studie mit Klinikärzten und -ärztinnen sowie Medizinstudenten hatte sie gefunden, dass so genannte "Marlboro-Männer" Präventionsangebote als unmännlich mehrheitlich ablehnen.

In dem jüngsten Forschungsprojekt - von der Deutschen Krebshilfe gefördert - wurden vier Fokusgruppendiskussionen mit insgesamt 36 Männern im Durchschnittsalter von knapp 54 Jahren geführt. Die Mehrzahl der Teilnehmer hatte noch keine Erfahrung mit Früherkennungsuntersuchungen.

Sie wurden zum Beispiel nach möglichen Gründen für Geschlechtsunterschiede bei der Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen gefragt. Frauen wurde danach ein starkes Kontrollbedürfnis bezüglich ihrer Gesundheit attestiert und ihnen gar unterstellt, wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt gehen. Anders die männliche Selbsteinschätzung: Solange sie sich gesund fühlen, sehen Männer keinen Anlass, zum Arzt zu gehen. Vor allem die digital-rektale Untersuchung der Prostata scheint ihnen peinlich zu sein.

Ob sie jemals mit Freunden oder Kollegen über Krebs-Screening geredet hätten und wie diese auf ein solches Thema reagieren würden, fragten die Psychologen. In allen vier Gruppen kam dasselbe heraus: Männer sprechen untereinander nicht über Gesundheitsprobleme und Prävention und sehen auch keinen Grund, über die Krebsfrüherkennung zu kommunizieren, wenn sie sich gesund fühlen. Andere gaben den Gruppendruck an, der es Männern verbiete, über ein solches Thema zu sprechen: Dies sei tabu.

Die Sorge um den Körper gilt vielen als "Weiberkram"

Die Wissenschaftlerin resümierte: Die Sorge um den eigenen Körper und die eigene Gesundheit habe bei vielen Männern kein positives Image und werde als "Weiberkram" abgetan. Die traditionell männliche Rolle der Unverletzlichkeit sei mit präventivem Gesundheitsverhalten nicht kompatibel. Dabei sind sozial-psychologische Einflüsse von weit größerer Bedeutung als Herkunft, Familie und Bildungsstand.

Wo kann man den Hebel für ein vorsorgefreundlicheres Verhalten bei Männern ansetzen? Sicher nicht bei den tradierten Geschlechterrollen: "Das Ideal des Mannes, der stark zu sein hat wie eine Eiche", ist nur sehr schwer veränderbar und wenn, dann eher längerfristig, so Sieverding.

Sie sieht einen guten Ansatzpunkt bei den deskriptiven Normen. Männer (wie Frauen auch) orientierten sich in ihrem Verhalten daran, was andere tun. Werde ihnen vermittelt, dass ihre Geschlechtsgenossen nicht oder kaum an der Krebsfrüherkennung teilnehmen, könne man deren Motivation kaum erhöhen. Genau dies werde aber in vielen Kampagnen getan. Die Botschaft sollte genau umgekehrt lauten: "Schon zwei Drittel der Männer haben mindestens einmal an einer Krebsfrüherkennung teilgenommen."

Vorsorge für Männer

Das gesetzliche Früherkennungsprogramm sieht für Männer ab 45 Jahren einmal jährlich eine digital rektale Tastuntersuchung der Prostata vor. Für Männer und Frauen zahlen die Kassen im Alter von 50 und 54 Jahren einen jährlichen Test auf okkultes Blut im Stuhl sowie ab 55 Jahren zwei Koloskopien im Abstand von mindestens zehn Jahren oder einen Stuhltest alle zwei Jahre.

(bd)

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