Teilchentherapie auf dem Weg zur Routine

Anfang des nächsten Jahres nimmt das erste Zentrum für Partikeltherapie an einer medizinischen Universitätsklinik seine Arbeit auf. Die Erwartungen an die Therapie für Krebskranke sind hoch.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:

Anfang 2009 soll es endlich so weit sein: Voraussichtlich im Februar wird an der Universität Heidelberg die erste deutsche Anlage für die Partikeltherapie in Betrieb gehen, die nicht an einem physikalischen Forschungszentrum angesiedelt ist. Schon jetzt gibt es Vereinbarungen mit den Krankenkassen zur Erstattung. Von rund 20 000 Euro pro Einzelbestrahlung ist die Rede. Das Verfahren soll zu einem Musterbeispiel für eine kontrolliert eingeführte Innovation werden.

Doch hält es auch medizinisch, was es verspricht? Experten aus aller Welt haben das kürzlich in Berlin diskutiert. Einer der Vordenker ist Professor Norbert Liebsch von der Harvard Medical School in Boston, der sich vor allem Tumoren der Schädelbasis gewidmet hat. "Die bessere Dosisverteilung macht die Protonentherapie zu einem sehr attraktiven Verfahren für die Bestrahlung von Tumoren der Schädelbasis", so Liebsch.

Tumorkontrollraten von über 90 Prozent erreicht

Liebsch hat in dreißig Jahren über 400 Patienten mit niedriggradigen Chondrosarkomen und etwa 550 Patienten mit Chordomen der Schädelbasis behandelt. "Wir erreichen mit der Protonentherapie bei diesen Tumoren eine 40 bis 50 Prozent höhere Dosis als mit der konventionellen Radiotherapie", so Liebsch. Entsprechend gut sind die Therapieergebnisse: Bei den Chondrosarkomen liegen die US-Ärzte nach Operation bei langjährigen Tumorkontrollraten von weit über 90 Prozent. Bei den Chordomen sind es 75 Prozent, beides sehr viel mehr als konventionelle Strahlentherapeuten erreichen.

Ähnlich gute Zahlen gibt es bei Patienten mit bösartigen Tumoren des Augenhintergrunds. Privatdozentin Beate Timmermann vom Paul-Scherrer-Institut in Villigen in der Schweiz berichtete von Erfahrungen mit 5000 Patienten. "Wir können bei neun von zehn Patienten das Auge erhalten, und mittlerweile haben wir eine lokale Rezidivrate von einem halben Prozent", so Timmermann.

Die Partikeltherapie soll kein Nischenverfahren bleiben: Ihr Charme liegt darin, dass sie im Prinzip für fast alle Tumoren als schonende Alternative infrage kommt. So liegen etwa in unmittelbarer Nachbarschaft der Prostata mit dem Blasensphinkter und dem Reproduktionsorgan zwei sehr strahlensensible Strukturen. Auch beim Mamma-Ca oder beim Rektumkarzinom wird Partikeltherapie diskutiert. Nur so wird verständlich, warum die Betreiber der Partikeltherapieanlagen in Deutschland mittelfristig mit 1200 (Heidelberg) bis 2200 (Marburg) Patienten pro Jahr rechnen. Professor Volker Budach von der Charité Berlin, Mitautor einer Stellungnahme zur Partikeltherapie der Deutschen Gesellschaft für radiologische Onkologie, schätzt, dass prinzipiell 10 bis 15 Prozent aller Krebspatienten für eine Partikeltherapie infrage kommen könnten.

Die Crux ist das Wörtchen prinzipiell, denn die Datenlage ist bisher noch recht begrenzt. Professor Tadashi Kamada, der ein Partikeltherapiezentrum in der japanischen Stadt Chiba betreibt, berichtete von Erfahrungen mit 4126 Patienten in 14 Jahren. Darunter waren Patienten mit Prostata- und Kopf-Hals-Tumoren, mit Bronchialkarzinomen, Knochentumoren und vielen anderen Tumorentitäten. Die Ergebnisse sind vielfach exzellent: Bei Kopf-Hals-Tumoren im Stadium T4 oder lokalem Rezidiv erreiche er über fünf Jahre lokale Kontrollraten von 60 bis 80 Prozent, so Kamada. Beim fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom leben nach fünf Jahren noch 36 bis 50 Prozent der Patienten, beim Prostatakarzinom 98 Prozent.

Ob es Phase-III-Studien geben wird, ist noch unklar

Das Problem an all diesen Daten ist, dass es keine Kontrollgruppen gibt. Es handelt sich fast immer um Phase-I/II-Studien mit ausgewählten Patienten. Die Hoffnung ist, dass die neuen Partikeltherapiezentren die Daten liefern. Mit Verweis auf den Siegeszug der minimalinvasiven Therapie in der Chirurgie wurde die Notwendigkeit großer Phase-III-Studien implizit infrage gestellt. Viel wird davon abhängen, wie stark die Krankenkassen auf Studien insistieren.

Partikeltherapie

Unter dem Oberbegriff Partikeltherapie werden strahlentherapeutische Behandlungen zusammengefasst, bei denen Protonen- oder (Kohlenstoff-)Ionen-strahlung zum Einsatz kommt. Das gab es in der klassischen Strahlentherapie bisher nicht. Übliche Bestrahlungen werden mit Photonen gemacht ("Gammastrahlen"). Für die Lokalbehandlung gibt es außerdem Alpha- und Betastrahler, die Heliumkerne beziehungsweise Elektronen emittieren.

Das Besondere - und Teure - der Partikeltherapie mit Protonen und Ionen ist, dass ein Teilchenbeschleuniger am Ort der Behandlung nötig ist. Medizinisch unterscheidet sich die Partikelstrahlung von der Photonenstrahlung durch eine andere Dosisverteilung: Unmittelbar hinter dem Zielvolumen fällt die Röntgendosis stark ab. Das ermöglicht es, das umliegende Gewebe zu schonen beziehungsweise im Tumor eine höhere Dosisstärke zu applizieren. Ionen- und Protonenstrahlung unterscheiden sich in ihrer biologischen Wirksamkeit. Während der Effekt der Protonenstrahlung auf das Erbgut der Tumorzellen dem ähnelt, der auch bei der klassischen Strahlentherapie beobachtet wird, führt Ionenstrahlung zu einer ausgeprägteren Schädigung des Erbguts mit sehr viel mehr Doppelstrangbrüchen in der DNA. (gvg)

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