Autologe Stammzellen: Vorsorge für Fukushima-Arbeiter?

Atomarbeiter sollten eigene Blutstammzellen einlagern können, fordern Ärzte.

Dr. Marlinde LehmannVon Dr. Marlinde Lehmann Veröffentlicht:
Stammzellen-Kultur - vielleicht eine Möglichkeit für die AKW-Arbeiter in Fukushima .

Stammzellen-Kultur - vielleicht eine Möglichkeit für die AKW-Arbeiter in Fukushima .

© imagebroker / imago

Die Diskussion schwelt in Japan offenbar schon seit Ende März: Japanische Ärzte sind damals mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen, wie für Menschen, die jetzt mit Aufräum- und Sicherungsarbeiten im havarierten Atomkraftwerk Fukushima beschäftigt sind, spezifische medizinische Vorsorge aussehen könnte: Alle Arbeiter sollten die Möglichkeit haben, für den Fall eines schwereren Strahlenunfalles oder einer später sich entwickelnden Leukämie jetzt eigene (autologe) periphere Blutstammzellen einlagern zu lassen. Diese Stammzellen könnten gegebenenfalls für Transplantationen genutzt werden.

Die Vorteile einer solchen Maßnahme liegen für Tetsuya Tanimoto von der Japanischen Stiftung für Krebsforschung in Tokio und seine Kollegen klar auf der Hand: Im Gegensatz zu einer allogenen Transplantation, bei der ja Stammzellen eines Spenders genutzt werden, falle das zeitaufwendige Suchen nach einem geeigneten Spender weg. Es gebe auch nicht das Risiko einer Graft-versus-Host-Reaktion, bei der ja Immunzellen des Transplantats den Empfängerorganismus angreifen. Und es sei auch keine immunsuppressive Behandlung nötig, die ja das Risiko der Patienten für schwer verlaufende Infektionen erhöhe.

Die japanischen Kollegen weisen jetzt in einem Brief im "Lancet" (online, 15. April) unter anderem auch darauf hin, dass sich bei Transplantation peripherer Blutstammzellen die Hämatopoese rascher erholen könne, als es bei Therapie mit hämatopoetischen Wachstumsfaktoren allein oder mit Knochenmarkzellen der Fall sei.

Natürlich sei eine autologe Transplantation peripherer Blutstammzellen keine perfekte Strategie zur Behandlung von Strahlenopfern, denn sie ziele nur auf in Mitleidenschaft gezogenes Knochenmark, nicht aber auf Schäden etwa im Magen-Darm-Trakt, in der Lunge oder an der Haut. Und natürlich sei bei der Gewinnung peripherer Stammzellen, also bei deren Mobilisation und bei der Apherese, bei den jetzt gesunden Arbeitern in Fukushima mit Nebenwirkungen zu rechnen. Und natürlich sei die ganze Maßnahme letztlich auch nicht billig.

Jedoch: Mehrere pharmazeutische Unternehmen haben für die Umsetzung der Idee der japanischen Kollegen ihre finanzielle Unterstützung angeboten. Und auch die Japanische Gesellschaft für Hämatopoetische Zelltransplantation habe bereits am 29. März mitgeteilt, dass 107 Transplantations-Teams bereitstünden. Hilfe hätten auch schon über 50 Kliniken in Europa zugesagt.

Gegenwind für das Projekt kommt indes offenbar aus Japan selbst, nämlich von der dortigen Kommission für Atomare Sicherheit: Es gebe keinen Bedarf, autologe periphere Blutstammzellen zu sammeln und zu lagern, zitieren Tanimoto und seine Kollegen die Einwände. Als Gründe dafür würden die physische und psychische Belastung genannt, der die Arbeiter in Fukushima rund um die Prozedur der Stammzellgewinnung ausgesetzt seien. Problematisch sei auch die Uneinigkeit maßgeblicher internationaler Gremien über den Vorschlag. Und auch in der japanischen Öffentlichkeit werde die Idee nicht ausreichend befürwortet.

Doch Tanimoto und seine Kollegen bleiben unbeeindruckt: "Die wichtigste Mission ist, das Leben der Atomarbeiter zu retten, und die örtlichen Gemeinschaften zu schützen." Es sei nicht auszuschließen, dass die Aufräum- und Sicherungsarbeiten im Atomkraftwerk Fukushima Jahre dauern werden. Damit steige das Risiko von Strahlenunfällen. Um so wichtiger seien Gewinnung und Lagerung peripherer Blutstammzellen.

Das Urteil, ob das Projekt der Lagerung autologer peripherer Stammzellen richtig oder falsch ist, müsse vom Standpunkt der Arbeiter im Atomkraftwerk und ihrer Familien entschieden werden, nicht auf Basis einer in gewöhnlichen Zeiten getroffenen Kosten-Nutzen-Analyse.

Auch die Atomindustrie sollte in dem Vorschlag eine Chance sehen, so Tanimoto und seine Kollegen: Bei tödlichen Strahlenunfällen nehme die Atompolitik nicht nur in Japan, sondern weltweit Schaden.

Zum Special "Katastrophe in Japan"

Mehr zum Thema

Möglicher Langzeiteffekt bei älteren Frauen

Supplementation von Calcium und Vitamin D könnte Krebsmortalität senken

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert