Interview

Krebstherapie auf den Patienten zuschneiden

Die Behandlung von Krebskranken hat sich in den vergangenen 30 Jahren zum Positiven verändert, könnte aber noch besser sein. Das findet Dr. György Irmey, Ärztlicher Direktor der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr. Welche Fortschritte die Komplementärmedizin gebracht hat und wo noch Potenzial schlummert, verrät er im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

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Dr. György Irmey

Aktuelle Position: Ärztlicher Direktor der Gesellschaft für Biologische Krebsabwehr (GfBK).

Ausbildung: Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren.

Karriere: 1988 Niederlassung in privatärztlicher Praxis. Seit 1989 leitende ärztliche Tätigkeit für die GfBK; seit 1993 ÄrztlicherDirektor der GfBK.

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Irmey, Ihre Gesellschaft hat sich von Beginn an für die Einbeziehung komplementärer Verfahren bei der Behandlung Krebskranker stark gemacht. Damals wurden sie in der Schulmedizin nicht ernst genommen.

Dr. György Irmey: Interessant ist doch, dass das, was wir schon damals propagiert haben, nämlich zusätzlich zu den drei klassischen konventionellen Säulen in der Krebstherapie die Implementierung von Sport und Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, Achtsamkeit gegenüber dem Körper und immunologische Strategien, heute als Teil onkologischer Leitlinien diskutiert werden. Damals wurde dies als esoterisches Gedankengut abgetan.

Ärzte Zeitung: Die meisten Patienten wollen komplementäre Verfahren in Anspruch nehmen. Wird diesem Wunsch heute nachgekommen?

Irmey: Wir wissen, dass heute etwa drei Viertel der Krebspatienten komplementäre Verfahren in Anspruch nehmen. Bei den niedergelassenen Ärzten ist das auch schon angekommen und wird eher praktiziert. Ich sehe allerdings noch eine große Diskrepanz zwischen niedergelassenem und klinischem Bereich. Bis auf einige Leuchtturmprojekte der Integrativen Krebstherapie haben komplementäre Verfahren im klinischen onkologischen Alltag noch keine große Relevanz.

Ärzte Zeitung: Ist es die Ignoranz gegenüber diesen Methoden?

Irmey: Ein großes Problem ist die mangelnde Zeit. Krebspatienten sind häufig nur noch kurz in der Klinik. In den Zentren wird ihr Behandlungsplan in einem Tumorboard von Spezialisten entwickelt, ohne dass sie ein Mitspracherecht hätten. Eine fundierte Arzt-Patienten-Beziehung kann durch häufige Arztwechsel nicht entstehen. Somit kommt der ganzheitliche Ansatz über der Spezialisierung auf einzelne Fachgebiete zu kurz.

So wird ja auch die Immunologie wieder als Spezialgebiet angesehen und wir befürchten, dass die Onkologie sich zu sehr auf die Bestimmung spezifischer Abwehrzellen oder Antikörper konzentriert, mit Lifestylemanagement möglicherweise dem Patienten eine weitere Zwangsjacke verordnet wird und der ganzheitliche Ansatz wieder zu kurz kommt.

Ärzte Zeitung: Was hat die Schulmedizin von Ihnen gelernt und umgekehrt?

Irmey: Abgesehen von der schwerpunktmäßig naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise sieht die Schulmedizin inzwischen prinzipiell schon verstärkt den kranken Menschen und seine Bedürfnisse und hat somit ihren Blick über die reine Organmedizin hinaus erweitert. Den Onkologen ist auch klar geworden, dass die Patienten selbst etwas für sich tun wollen und ihre Behandlung nicht allein den Professionellen überlassen wollen.

Unsere Gesellschaft hat dieses Bemühen der Patienten immer intensiv unterstützt. Wir wiederum sollten uns - soweit möglich - um harte Daten komplementärer Verfahren bemühen, was aber schwierig ist. Positiv ist, dass beide Schulen aufeinander zugehen, das zeigt sich in ersten gemeinsamen Kongressen und Klinikschwerpunkten.

Ärzte Zeitung: Welche komplementären Verfahren sind heute in der Tumormedizin schon integriert?

Irmey: Früher wurde die seelische Seite der Erkrankung gar nicht gesehen. Das ist heute anders, wenn auch die psychoonkologische Versorgung der Patienten und Ausbildung der Ärzte immer noch nicht ausreichend gut sind. Im Bereich der Phytopharmaka konnte der Stellenwert der Mistel zumindest für die Verbesserung der Lebensqualität und der besseren Verträglichkeit von Chemotherapeutika aufgezeigt werden. Äußerst bedauerlich ist, dass die Mistel in der adjuvanten Situation durch die Aufkündigung als Kassenleistung für viele Patienten keine Option mehr ist.

Die Bedeutung des Selens konnte für die Verbesserung der strahlentherapeutischen Ergebnisse wissenschaftlich belegt werden. Die Rolle bestimmter Vitamine wie das Vitamin D für die Primär- und Sekundärprophylaxe bei Krebs wird ebenfalls immer klarer. Auch einige Hyperthermieverfahren sind Teil der Behandlung geworden, wenn auch nur vereinzelt und in Kombination mit anderen Therapien.

Ärzte Zeitung: Welche Entwicklungen wünschen Sie für die Zukunft?

Irmey: Konventionelle und komplementäre Medizin praktizieren derzeit zu oft eine Übertherapie. Davon sollte man wegkommen. Immer noch orientiert sich die Behandlung zu wenig am einzelnen Menschen mit all seinen körperlichen und seelischen Interaktionen.

Das Gespräch führte Ingeborg Bördlein.

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