"Forschung wird zu Medizin"

Hausärzte als Lotsen zur individualisierten Therapie

Die personalisierte Medizin steht heute bei vielen chronischen Erkrankungen im Fokus. Doch wie sollen die Patienten für innovative und teure Medikamente ausgewählt werden? Beim DGIM-Kongress soll es darauf Antworten geben.

Von Roland Fath Veröffentlicht:
Labortests für die personalisierte Medizin: Welche Arzneien können einem Patienten helfen?

Labortests für die personalisierte Medizin: Welche Arzneien können einem Patienten helfen?

© NiDerLander / fotolia.com

WIESBADEN. Sie zählt zweifellos zu den beliebtesten Fortbildungskongressen für Allgemeinmediziner und Internisten im deutschsprachigen Raum: die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM), die vom 26. bis 29. April in Wiesbaden zum 120. Mal stattfindet.

Rund 8500 Teilnehmer werden erwartet, die ihren Wissensstand auffrischen und sich dafür mit reichlich CME-Punkten belohnen wollen.

Das diesjährige Leitthema "Forschung wird zur Medizin" soll die rasanten Fortschritte in der Inneren Medizin in den vergangenen zehn Jahren widerspiegeln. Auf einigen Translationssymposien werden die Wege von der Grundlagenforschung zur klinischen Anwendung im Bereich der personalisierten Medizin skizziert.

"Wir wollen mit diesem Leitthema deutlich machen, wie sehr die Innere Medizin in den letzten Jahren und Jahrzehnten von der medizinischen Grundlagenforschung profitiert hat", sagt Kongresspräsident Professor Michael Manns von der MH Hannover.

"One pill fits all" gilt nicht mehr

Unübersehbar ist dieser Profit etwa im Bereich der personalisierten/individualisierten Therapie. Das Schlagwort "one pill fits all" gilt längst nicht mehr; die moderne Medizin ist komplizierter und stellt die Individualität des Patienten in den Fokus.

Vor allem in der Onkologie wird das Konzept der personalisierten Medizin intensiv vorangetrieben. Durch das immer bessere Verständnis der Krebspathogenese, insbesondere der zugrunde liegenden genetischen Störungen, die zu dauerhaft aktivierten Wachstumssignalen führen, konnten neue therapeutische Werkzeuge entwickelt werden, die genau diese Wachstumssignale hemmen (small molecules) oder deren Rezeptoren blockieren (Antikörper).

Viele Krebsarten können bereits molekular kartiert werden, um über die beste Therapie zu entscheiden.

Beispiele sind der Nachweis von Tyrosinkinase-kodierenden Onkogenen bei Patienten mit chronisch-myeloischer Leukämie oder von EGRF (Epidermal Growth Factor Receptor)-Mutationen bei Lungenkrebs-Patienten, die den gezielten Einsatz von spezifischen Tyrosinkinase-Hemmer wie Imatinib oder Gefitinib ermöglichen.

Weniger Nebenwirkungen, mehr Kosten

Hauptvorteil im Vergleich zur unspezifischen Chemotherapie ist die deutlich geringere Rate an Nebenwirkungen, Nachteil sind die deutlich höheren Kosten.

In einigen Jahrzehnten dürfte die targeted therapy bei Krebskranken so weit fortgeschritten sein, dass dadurch bei den meisten Krebsformen die Chemotherapie weitgehend ersetzt werden könne, prognostizierte der Onkologe Professor Michael Hallek bei einer DGIM-Pressekonferenz in Berlin vorab zum Kongress.

Die sich dabei aufdrängenden Fragen sind bekannt: Kann und will sich unsere Gesellschaft die Kosten dieser Therapien leisten? Wie könnte die gezielte Auswahl der Patienten für eine Therapie mit innovativen teuren Medikamenten vonstatten gehen? Wer soll diese steuern? Und welche Rolle haben hier Hausärzte und Internisten?

Die translationalen Symposien beim Internistenkongress, in denen die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung der letzten Jahre und Jahrzehnte und deren klinische Umsetzung am Patienten erläutert werden, werden den Kongressbesuchern Einblicke in eine moderne Welt der Medizin geben, in der sie nicht nur als aktiver Behandler gefragt sind, sondern immer stärker auch als Lotse oder Ratgeber für ihre Patienten, als Wegbahner zu Kollegen mit spezieller Qualifikation oder zu forschungsnahen Spezialisten.

Denn die spezifisch wirkenden Arzneimittel sind teuer und machen zwangsläufig eine gezielte Auswahl der Patienten erforderlich - dies gilt etwa für neue Medikamente in der Behandlung von Patienten mit einer Hepatitis C.

Die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt

Mit sogenannten direct acting antivirals (DAA) - wie die Protease-Hemmstoffe Boceprevir und Telaprevir und der zuletzt zugelassene NS5B-Polymerase-Hemmstoff Sofosbuvir, weitere Substanzen werden folgen - könnten künftig vermutlich alle Patienten mit einer chronischen Hepatitis C-Virus-Infektion geheilt werden, sagt Michael Manns.

Aber aufgrund der hohen Kosten der HCV-Therapie - der Kongresspräsident spricht von rund 60.000 Euro für eine zwölfwöchige Therapie mit DAA - können die Substanzen initial nicht allen Patienten zugute kommen. Sie sollten bevorzugt bei HCV-Patienten mit hohem Progressionsrisiko eingesetzt werden, bei denen die chronische Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Zirrhose führt.

"Es geht darum, für den individuellen Patienten die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt festzulegen." Nach Ansicht von Manns sollten die sehr teuren Medikamente künftig nicht von allen Ärzten, sondern nur von solchen mit Nachweis einer speziellen Qualifikation verschrieben werden dürfen.

In der Onkologie ist das Spezialwissen inzwischen schon so groß geworden, dass Michael Hallek allen Krebskranken rät, zur Beratung "einen forschungsnahen Spezialisten aufzusuchen".

Auch das Einholen einer zweiten Meinung lohne sich immer. Hallek: "Die Patienten sollten die Chance haben, das absolut neueste Wissen zu erhalten und in die Therapieentscheidung einbezogen werden."

Ist es überhaupt realistisch, dass alle Krebskranken die für sie beste Therapie erhalten, oder droht künftig eine Zwei-Klassen-Medizin? Hallek hält diese Perspektive einer modernen Gesellschaft für unwürdig. "Wir müssen Mittel und Wege finden, allen unseren Patienten die besten Therapien zur Verfügung zu stellen".

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