Zusammenhang widerlegt

HPV-Impfung erhöht MS-Risiko nicht

Reihenimpfungen zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs erhöhen das Risiko für Multiple Sklerose oder ähnliche Erkrankungen nicht. Gleich zwei Studien haben dies nun kurz nacheinander bestätigt.

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Bereits seit dem Jahre 2006 werden Mädchen gegen HPV geimpft.

Bereits seit dem Jahre 2006 werden Mädchen gegen HPV geimpft.

© Getty Images/iStockphoto

BERLIN. "Wir Neurologen können Mädchen und jungen Frauen eine Impfung gegen das menschliche Papilloma-Virus HPV guten Gewissens empfehlen, denn der Schutz vor Gebärmutterhalskrebs wird nicht durch Erkrankungsrisiken des Nervensystems erkauft", wird Professor Heinz Wiendl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), in einer Mitteilung der DGN zitiert.

Bis zu 45 Prozent der Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren nehmen die von den Krankenkassen bezahlte Impfung in Anspruch.

MS ist eine chronische Autoimmunkrankheit, bei der die Hüllen der Nervenzellen angegriffen werden. Der Verlauf ist bei den Patienten sehr verschieden, ist aber immer mit großen Einschränkungen verbunden und führt in vielen Fällen über mehrere Jahre hinweg zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands bis hin zum Tod.

Mit mehr als 180.000 Patienten in Deutschland und mehr als 2 Millionen weltweit zählt die MS zu den häufigsten schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen. Gebärmutterhalskrebs macht rund zwei Prozent aller Krebsneuerkrankungen bei Frauen aus.

Schon bald, nachdem im Jahr 2006 der Impfstoff gegen HPV zugelassen worden war, gab es mehrere Fallberichte über MS-Erkrankungen in kurzem zeitlichem Abstand.

"Ob es sich dabei schlicht um Zufälle handelte, war damals unklar. Zahlreiche Medienberichte führten aber zur Verunsicherung: Neu erkrankte MS-Patienten vermuteten einen Zusammenhang mit ihrer Impfung, und viele junge Frauen oder deren Eltern fragen seitdem nach der Sicherheit der Impfung", beschreibt Wiendl, Direktor der Klinik für Allgemeine Neurologie der Universität Münster, die Erfahrungen auch aus seiner Klinik.

Um die umstrittene Auslösertheorie zu untersuchen, werteten Epidemiologen um Nikolai Madrid Scheller vom Statens Serum Institut in Kopenhagen Krankheitsdaten von fast vier Millionen Däninnen und Schwedinnen im Alter zwischen 10 und 44 Jahren für die Jahre 2006 bis 2013 aus.

800.000 dieser Frauen hatten in dem Zeitraum den HPV-Impfstoff Gardasil® bekommen, sodass die Forscher die Häufigkeit von MS vor und nach der Impfung vergleichen konnten, teilt die DGN mit.

Analyse vor und nach Impfung

Unter insgesamt 7622 Neuerkrankungen seien lediglich 163 in den ersten zwei Jahren nach einer HPV-Impfung aufgetreten.

Vor der Impfung gab es der Mitteilung zufolge durchschnittlich 22 MS-Erkrankungen pro 100.000 Personenjahre - nach der Impfung lag dieser Wert wesentlich niedriger, nämlich bei 6 MS-Erkrankungen pro 100.000 Personenjahre.

Die Wissenschaftler haben auch andere, der MS ähnliche Erkrankungen untersucht. Hier ergab sich das gleiche Bild, denn diese demyelinisierenden Krankheiten wurden vor der Impfung jeweils 16-mal pro 100.000 Personenjahre beobachtet, gegenüber 8-mal nach der Impfung.

Diese Zahlen bedeuten aber nicht, dass der Impfstoff vor MS schützen würde, so die DGN. Das Ungleichgewicht komme dadurch zustande, dass MS und ähnliche Krankheiten sich bei Frauen meist erst im zweiten Lebensjahrzehnt entwickeln, während das Impfalter in der Regel zwischen 10 und 15 Jahren liegt.

In einer Korrekturrechnung haben die Forscher ihre Zahlen deshalb entsprechend der natürlichen Altersverteilung von MS angepasst. Die Wahrscheinlichkeit, nach einer HPV-Impfung an MS zu erkranken, erwies sich dann als genau so groß wie ohne Impfung.

Entwarnung auch durch US-Studie

Die Daten sprächen wie andere zuvor für ein "günstiges Sicherheitsprofil" im Hinblick auf das MS-Risiko des Impfstoffes, schreiben Scheller und Kollegen in ihrer Veröffentlichung (JAMA 2015; 313(1): 54-61).

Durch die Größe der Studie sei das Ergebnis wahrscheinlich auch auf die Situation in ähnlichen Ländern übertragbar.

Zum im Wesentlichen gleichen Ergebnis kommt auch eine US-Studie, die in Südkalifornien mit einer anderen Methode nach einem möglichen Zusammenhang von MS mit verschiedenen Impfungen gesucht hat.

Mit ihren Kollegen hat die Epidemiologin Langer-Gould sämtliche Krankenakten des Versicherungsunternehmens Kaiser Permanente Southern California für die Jahre 2008 bis 2011 nach neurologischen Auffälligkeiten durch einen MS-Spezialisten untersuchen lassen und mit den Daten von Impfungen vor allem gegen HPV und Hepatitis B verglichen (JAMA Neurol. 2014;71(12):1506-1513).

Den 780 Fällen mit MS oder anderen demyelinisierenden Krankheiten stellten die Forscher dann eine fünffache Zahl von Kontrollen gegenüber - Versicherte also, die den Erkrankten bezüglich Alter, Geschlecht und Wohnort möglichst ähnlich waren.

"Auch dieser Vergleich fand keinen Zusammenhang zwischen einer Impfung gegen HPV oder Impfungen allgemein mit dem Risiko, binnen drei Jahren danach eine demyelinisierende Krankheit zu erleiden", stellt Professor Bernhard Hemmer, Direktor der Neurologischen Klinik der TU München, fest.

Eine genauere Betrachtung zeigte allerdings, dass das Risiko, in den ersten 30 Tagen nach der Impfung mit MS oder einer ähnlichen Krankheit diagnostiziert zu werden, für Geimpfte unter 50 Jahren mehr als doppelt so hoch war wie für Nichtgeimpfte.

"Diese Daten sprechen gegen einen ursächlichen Zusammenhang", so Hemmer. Wahrscheinlich sei es vielmehr, dass bei Menschen mit einer bereits vorhandenen, unterschwelligen Erkrankung, eine Impfung den Übergang zu sichtbaren Symptomen beschleunigen könne.

"Solch ein Übergang kann auch durch jede natürliche Infektion - etwa mit Schnupfenviren - eingeleitet werden." Eine Impfung aber verleihe im Gegensatz zu den meisten natürlichen Erkrankungen lange anhaltenden Schutz.

"In der Gesamtbilanz senken die Impfungen gegen HPV das Risiko einer Krebserkrankung, und diese Studien sprechen klar gegen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer MS und ähnlicher Leiden", betont Hemmer. (eb)

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