Darmkrebsvorsorge

Potenzial der Koloskopie wird nicht ausgeschöpft

Zum kolorektalen Karzinom gibt es in Deutschland ein Vorsorge-Programm mit enormem Präventionspotenzial. Das muss nur besser genutzt werden. Darauf lassen aktuelle Daten aus dem Vorsorge-Koloskopie-Register schließen.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland einer Prognose des Robert Koch-Instituts zufolge etwa 35.500 Männer und 28.400 Frauen an einem kolorektalen Karzinom erkrankt.

Dass die hier ab dem 55. Lebensjahr zur Früherkennung angebotene Koloskopie viele Darmkrebserkrankungen verhindern kann, belegt die Auswertung einer Studie von Wissenschaftlern des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg.

Die Schätzungen in dieser Studie fußen auf 4,4 Millionen Koloskopien, die zwischen 2003 und 2012 innerhalb des nationalen VorsorgeKoloskopie-Programms vorgenommen worden sind (Clin Gastroenterol Hepatol 2014; online 10. September).

Studie: Viele Karzinome verhindert

Die Zahlen sind beeindruckend: Innerhalb der Dekade wurden mithilfe der kompletten Koloskopie kumulativ 180.000 Darmkrebserkrankungen verhütet und etwa 40.000 Erkrankungen in einem frühen, meist noch heilbaren Stadium entdeckt.

Dabei kam es nur zu 4500 Überdiagnosen - nämlich bei einer von 1089 Koloskopien -, definiert als Diagnosen von Krebserkrankungen, die ohne die Vorsorgeuntersuchung zu Lebzeiten nicht klinisch manifest geworden wären.

Doch wie nah an der Realität sind diese Schätzungen? "Das sind die verlässlichsten und umfassendsten Daten, die wir zu dieser Fragestellung insgesamt haben", sagte Professor Hermann Brenner vom DKFZ, der die Berechnungen vorgenommen hat, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

"Mit dem Vorsorge-Koloskopie-Register haben wir in Deutschland eine weltweit einzigartige Datenbasis." Es gebe kein anderes Land mit einem solch umfassenden Register.

Nach Angaben von Brenner lässt sich aus früheren Untersuchungen, die zum Teil auch auf dieser Datenbasis beruhen, gut und verlässlich ableiten, wie groß die jeweiligen Raten der Übergänge von den Darmkrebsvorstufen zum Darmkrebs sind.

Von den 4,4 Millionen Untersuchungen ist bekannt, wie oft welche Art von Darmkrebsvorstufen gefunden wurden.

Diese Daten können mit den Übergangsraten kombiniert werden, um hochzurechnen, wie viele dieser Darmkrebsvorstufen sich zu Lebzeiten zu Darmkrebs entwickelt hätten, wenn sie nicht gefunden und entfernt worden wären.

Die Schätzungen in der Studie erfolgten mithilfe von Markov-Modellen. Brenner: "Die verwendeten Modelle bilden die schrittweise Entstehung der Tumoren aus den verschiedenen Vorstufen im zeitlichen Verlauf ab."

Diese mathematischen Modelle seien für diese Fragestellung am besten geeignet. Im Fokus standen die Raten der Übergänge vom nicht fortgeschrittenen zum fortgeschrittenen Adenom, vom fortgeschrittenen Adenom zur präklinischen Krebsvorstufe sowie von dieser Vorstufe zum klinisch manifesten Darmkrebs.

Komplikationen sehr selten

Aus den Berechnungen geht schließlich auch hervor, dass 28 komplette Koloskopien vorgenommen werden müssen, um eine Krebserkrankung zu verhindern.

Und mit einem Anteil von 97 Prozent wurden die meisten Krebserkrankungen durch Darmspiegelungen bis zum Alter von 75 Jahren verhindert.

Für den Heidelberger Forscher sind die Ergebnisse keine Überraschung: "Für viele, die sich nicht so mit der Materie befassen, ist das Präventionspotenzial der Koloskopie überraschend groß.

Wer sich aber damit intensiver beschäftigt, für den liegt das Ergebnis in der Größenordnung, die wir auch erwartet hatten."

Überdiagnosen sind nicht der einzige unerwünschte Effekt bei Koloskopien. Die Untersuchung kann auch mit Komplikationen verbunden sein, etwa Blutungen oder gar Perforationen.

Doch wie oft ist damit tatsächlich zu rechnen? Brenner und seine Kollegen haben das bereits 2013 in einer sehr detaillierten Studie mit mehr als 33.000 AOK-Versicherten untersucht, bei denen zwischen 2001 und 2008 eine ambulante Darmspiegelung vorgenommen worden war, entweder als Teil des gesetzlichen Früherkennungsprogramms oder medizinisch indiziert (Gastrointestinal Endoscopy 2013; 77(3): 419-429).

Nur bei fünf von 10.000 Koloskopien kam es zu einer Blutung, die eine stationäre Behandlung erforderlich machte. Und mit einer Rate von weniger als einer pro 1000 Untersuchungen waren auch Perforationen sehr selten.

Die meisten Blutungen und Perforationen traten in der Gruppe der Patienten auf, bei denen große Polypen entdeckt und entfernt worden waren.

Herzinfarkte und Schlaganfälle sowie andere nicht den Darm betreffende Nebenwirkungen der Untersuchung waren nicht häufiger als in der gleich großen Kontrollgruppe ohne Darmspiegelung. Berücksichtigt wurde jeweils ein Zeitraum von 30 Tagen nach der Koloskopie.

"Die Schlussfolgerung aus den Studien ist, dass das Vorsorgeangebot für Darmkrebs, das wir in Deutschland haben, ein enormes Präventionspotenzial bietet", so Brenner.

"Allerdings ist die Teilnahmequote an diesen Vorsorgeprogrammen sicher noch verbesserungsfähig. Derzeit nehmen hochgerechnet 20 bis 25 Prozent der Teilnahmeberechtigten (ab dem 55. Lebensjahr) innerhalb von zehn Jahren das Angebot tatsächlich wahr. Da ist noch deutlich Luft nach oben."

Nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung sind in Deutschland etwa 20 Millionen Menschen teilnahmeberechtigt.

Mit der Darmspiegelung, die nach Angaben von Brenner das zuverlässigste Verfahren ist, wird "so gut wie kein Darmkrebs übersehen".

Auch die Darmkrebsvorstufen werden zu einem Großteil entdeckt und können entfernt werden, sodass es erst gar nicht zu Darmkrebs kommt.

Stuhlbluttest unterstützt Vorsorge

Anders ist das etwa bei den weniger aufwändigen immunologischen Stuhlbluttests. Mit ihrer Hilfe wird zwar die Mehrzahl der Darmkrebserkrankungen erkannt, wenn bei positivem Testergebnis eine Darmspiegelung gemacht wird.

Aber die Entdeckungsrate liegt nicht wie mit der Darmspiegelung bei 100 Prozent, sondern nur etwa bei 70 Prozent. Nach Angaben von Brenner werden zudem mit immunologischen Tests nur weniger als 50 Prozent der Darmkrebsvorstufen entdeckt.

Dennoch sind diese Tests deutlich empfindlicher als die bisher angebotenen Guajak basierten Tests auf Blut im Stuhl. Die Kosten für das immunologische Testverfahren werden bisher in Deutschland von den Krankenkassen noch nicht übernommen.

Aber das werde sicher bald kommen, so Brenner.

Im September 2014 hatte der Unterausschuss Methodenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) beschlossen, das Beratungsverfahren zur Bewertung eines iFOBT-basierten, also immunologischen Darmkrebsscreenings im Vergleich zu einem Guajak-basierten Screening einzuleiten.

Geprüft wird nun, ob beim Darmkrebsscreening der iFOBT einen Zusatznutzen im Vergleich zum Guajak-basierten Test hat.

Um die Teilnahmequote beim Darmkrebsscreening zu erhöhen, bietet sich das organisierte Screening mit Einladungsverfahren an. Nach Angaben von Brenner waren die Quoten bei Projekten mit organisiertem Screening deutlich besser als beim üblichen Screening.

Daher wird im Rahmen des Nationalen Krebsplans die Einführung eines organisierten Screenings mit persönlicher Einladung gefordert.

Brenner geht davon aus, dass im Rahmen der Einführung eines organisierten Screenings in Deutschland außer der Koloskopie auch immunologische Tests angeboten werden.

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