St.-Gallen-Konsensuskonferenz

Wie viel Behandlung brauchen Patientinnen mit frühem Brustkrebs?

Alle zwei Jahre tagt die St.-Gallen-Konsensuskonferenz zur Behandlung des primären Mammakarzinoms. Die 15. St. Gallen International Breast Cancer Conference fand in diesem Jahr erneut in Wien, Österreich, statt. Sie stand unter dem Motto "Escalating and De-escalating". Dahinter steht die Fragestellung: Wie viel Therapie für welche Patientin?

Von Birgit-Kristin Pohlmann Veröffentlicht:
Ein Schwerpunkt bei den operativen Fragestellungen des primären Mammakarzinoms bei der Konferenz war – wie schon vor zwei Jahren – das operative Vorgehen in der Axilla nach neoadjuvanter Chemotherapie

Ein Schwerpunkt bei den operativen Fragestellungen des primären Mammakarzinoms bei der Konferenz war – wie schon vor zwei Jahren – das operative Vorgehen in der Axilla nach neoadjuvanter Chemotherapie

© Lars Zahner / stock.adobe.com

WIEN. Die St.-Gallen-Konsensus-Empfehlungen basieren auf dem Mehrheitsvotum eines international zusammengesetzten Experten-Panels zur Behandlung des frühen Mammakarzinoms. Es setzte sich dieses Jahr aus 72 Experten zusammen; darunter waren fünf Vertreter aus Deutschland: Professor Sara Brucker von der Universitätsfrauenklinik in Tübingen, Professor Carsten Denkert vom Institut für Pathologie der Charité Berlin, Professor Nadia Harbeck vom Brustzentrum der Universitätsfrauenklinik München, Professor Sibylle Loibl von der German Breast Group (GBG), Neu-Isenburg, und Professor Jens Huober von der Universitätsfrauenklinik Ulm. Das Motto "Escalating and De-escalating" zog sich durch alle zur Abstimmung gestellten Themenbereiche. Im Sinne einer immer individualisierteren Behandlung der Patientinnen ging es darum, Über- und Untertherapie zu vermeiden.

Operatives Vorgehen nach NACT

Ein Schwerpunkt bei den operativen Fragestellungen des primären Mammakarzinoms war – wie schon vor zwei Jahren – das operative Vorgehen in der Axilla nach neoadjuvanter Chemotherapie (NACT). Die St.-Gallen-Panelisten bestätigten mit einem knappen Mehrheitsvotum, dass bei Patientinnen mit klinisch auffälliger Axilla mit 1–2 befallenen Lymphknoten nicht auf eine Axilladissektion (ALND) verzichtet werden sollte. Das gilt auch, wenn sich die klinisch auffälligen Lymphknoten unter neoadjuvanter Therapie zurückbilden. Zudem ist der Verzicht auf die ALND nicht gerechtfertigt bei bereits einem makrometastatisch befallenen Sentinellymphknoten. Jedoch ist bei Patientinnen mit klinisch unauffälliger Axilla bei Erstdiagnose ein Verzicht auf die ALND möglich. Eine Sentinellymphknoten-Biopsie (SLNB) reicht hier aus, sie sollte aber erst nach NACT durchgeführt werden.

Adjuvante Strahlentherapie

Im Rahmen der adjuvanten Strahlentherapie werden immer wieder die Teilbrust-Bestrahlung sowie die hypofraktionierte Radiotherapie als potenziell besser verträgliche Optionen nach brusterhaltender Operation (BET) diskutiert. Die St.-Gallen-Panelisten sehen nach BET in der hypofraktionierten Bestrahlung der gesamten Brust eine Standardoption. Das gilt laut Abstimmung insbesondere für die Patientinnen im Alter über 50 Jahre. Zudem bewerteten die Panelisten die Teilbrust-Bestrahlung für Patientinnen nach BET als eine definitive Bestrahlungsform für Frauen, die nach den Kriterien der ASTRO (American Society of Radiation-Oncology) und der ESTRO (European Society for Radiotherapy And Oncology) für diese Option als geeignet eingestuft werden. Das gelte jedoch nicht für jene Patientinnen, welche nach ESTRO-Kriterien als "intermediate" und nach ASTRO-Kriterien als "cautionary" bewertet werden. Ein ausgedehnteres Bestrahlungsvolumen mit Bestrahlung der Lymphabflusswege benötigen dagegen BET-Patientinnen bei vier und mehr befallenen Lymphknoten. Sind weniger Lymphknoten befallen (1–3) sieht die Mehrheit der St.-Gallen-Panelisten nur bei erhöhtem Risiko – ungünstige Tumorbiologie – eine Indikation für die Bestrahlung der Lymphabflusswege. Nach neoadjuvanter Systemtherapie sollte sich die Indikation für eine adjuvante Bestrahlung am Erkrankungsstadium orientieren. Dieses sollte laut St.-Gallen-Abstimmung vor und nach neoadjuvanter Therapie bestimmt werden.

Die adjuvante Bestrahlung nach Mastektomie umfasst die Bestrahlung der Thoraxwand sowie die der Lymphabflussgebiete. Mit knapper Mehrheit bewerteten die St.-Gallen-Panelisten die adjuvante Bestrahlung nach Ablatio als Standard für Patientinnen ohne Lymphknotenbefall (pN0) ab einer Tumorgröße von 5 cm, sowie bei allen Patientinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten. Die adjuvante Bestrahlung ist laut St.-Gallen-Votum auch Standard bei Patientinnen mit positiver SLNB, wenn keine ALND durchgeführt wurde.

Bleibt wichtig: traditionelle Pathologie

Auch in Zeiten der Multigenexpressionsanalysen behalten die traditionellen pathologischen Kriterien ihre Bedeutung; dazu zählen zum Beispiel der Hormonrezeptor(HR)-Status, das Grading oder der Proliferationsindex. Entsprechend votierten die St.-Gallen-Panelisten einstimmig dafür, dass die Unterscheidung des frühen HER2-negativen Mammakarzinoms in die Subtypen "luminal A-like" bzw. "luminal B-like" tumorbiologisch von Bedeutung ist.

Trotz der positiven Bewertung der traditionellen Pathologie betonen die St.-Gallen-Panelisten mehrheitlich, dass die Unterscheidung zwischen "luminal A-like" und "luminal B-like" mit den Multigenexpressionstests im Zweifelsfall zuverlässiger möglich sei. Bei Patientinnen mit hormonsensiblem primärem Mammakarzinom stellt sich im klinischen Alltag immer wieder die Frage, ob die Patientinnen vor der endokrinen Behandlung eine Chemotherapie benötigen.

Die Abstimmungen in der Konsensuskonferenz fokussierten auf die derzeit verfügbaren Multigen-Assays: Oncotype DX® (Recurrence-Score, RS), MammaPrint 70® (MP), Prosigna® (PAM 50) "risk of recurrence score" (ROR), EndoPredict® (EP) und den in Deutschland nicht verfügbaren Breast Cancer Index (BCI). Mit jeweils deutlicher Mehrheit sehen die St.-Gallen-Panelisten mit den zitierten Multigenexpressionstests eine Möglichkeit, bei Patientinnen mit Östrogenrezeptor(ER)-positivem/HER2-negativem frühem Mammakarzinom prognostisch relevante Informationen für die nächsten fünf Jahre zu erhalten. Ob sich daraus tatsächlich eine Indikation für bzw. gegen eine Chemotherapie ableiten lässt, wurde vom St.-Gallen-Panel nur für den Onctotype DX® (Patientinnen mit N+) bejaht.

Adjuvante endokrine Behandlung

Die St.-Gallen-Panelisten bestätigten die zusätzliche ovarielle Funktionssuppression (OFS) als Option für prämenopausale Patientinnen, die nach (neo)adjuvanter Chemotherapie prämenopausale Östrogen-Serumwerte aufweisen. Abweichend von der AGO-Empfehlung sehen sie darüber hinaus auch unabhängig von den prämenopausalen Östrogen-Serumwerten bei sehr jungen Patientinnen (< 35 Jahre) bzw. bei Patientinnen mit mindestens vier befallenen Lymphknoten eine Indikation für eine zusätzliche adjuvante OFS. Die Panelisten bestätigen erneut, dass die alleinige Behandlung mit Tamoxifen für einige postmenopausale Patientinnen nach wie vor eine adäquate Option ist. Grundsätzlich und speziell bei erhöhtem Risiko sei jedoch ein Aromatasehemmer zu bevorzugen. Die erweiterte adjuvante endokrine Behandlung über fünf Jahre hinaus ist unabhängig vom Menopausenstatus eine wichtige Option für Patientinnen mit erhöhtem Rezidivrisiko. Postmenopausale Patientinnen, die in den ersten fünf Jahren Tamoxifen gefolgt von einem Aromtasehemmer (nach 2–3 Jahren) oder bereits Upfront den Aromatasehemmer erhalten haben, sollten bei moderatem bis hohem Rezidivrisiko vorzugsweise über weitere drei bis fünf Jahre mit einem Aromatasehemmer weiterbehandelt werden

Adjuvante Chemotherapie

Die Prognose der Patientin und die Entscheidung für bzw. gegen eine adjuvante Chemotherapie sollten sich bei Patientinnen ohne Lymphknotenbefall (N0) grundsätzlich an der immunhistochemisch bestimmten Tumorbiologie orientieren, die im Zweifelsfall durch eine Multigenexpressions-Testung ergänzt werden kann. Besteht eine Chemotherapieindikation, sollte diese sowohl bei Patientinnen mit HER2-negativem Luminal-B-like-Mammakarzinom als auch beim triple-negativen Mammakarzinom (TNBC) anthrazyklin- und taxanbasiert sein. Dosisdichte Regime (mit Support durch G-CSF ["granulocyte-colony stimulating factor"]) können für Patientinnen mit frühem TNBC eingesetzt werden, sind aber keine zu bevorzugende Option.

Bei Patientinnen mit frühem HER2-positivem Mammakarzinom ohne Lymphknotenbefall (N0) besteht laut St.-Gallen-Votum ab dem Tumorstadium T1b eine Indikation für eine adjuvante anti-HER2-gerichtete Behandlung. Bei Chemotherapieindikation ist die Kombination Paclitaxel/Trastuzumab eine sinnvolle Option. Patientinnen mit Lymphknotenbefall (N+) benötigen zusätzlich zur anti-HER2-gerichteten Behandlung immer eine adjuvante Chemotherapie.

Nach neoadjuvanter Chemotherapie in Kombination mit Trastuzumab/Pertuzumab (doppelte HER2-Blockade) sollten Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom adjuvant mit Trastuzumab weiterbehandelt werden. Derzeit besteht keine Indikation für den adjuvanten Einsatz der doppelten HER2-Blockade mit den Antikörpern Trastuzumab und Pertuzumab.

nab-Paclitaxel beim TNBC

Die neoadjuvante Behandlung wird von den St.-Gallen-Panelisten sowohl für Patientinnen mit frühem HER2-positivem Mammakarzinom als auch jene mit TNBC ab dem Stadium II favorisiert. Eine deutliche Mehrheit der Panelisten sprach sich beim HER2-positiven Mammakarzinom für den neoadjuvanten Einsatz der doppelten HER2-Blockade mit Pertuzumab/ Trastuzumab plus Chemotherapie aus.

Für die neoadjuvante Behandlung des TNBC empfehlen die St.-Gallen-Panelisten sequenzielle anthrazyklin-/taxanhaltige Regime sowie den Einsatz von Alkylanzien oder Platin. Mehrheitlich sehen die Panelisten beim frühen TNBC auch eine Indikation für den neoadjuvanten Einsatz von nab-Paclitaxel gefolgt von Epirubicin/Cyclophosphamid.

Entscheidungen des St-Gallen-Konsensus-Panels – eine Auswahl

» bei klinisch auffälliger Axilla mit 1–2 befallenen Lymphknoten sollte nicht auf eine Axilladissektion (ALND) verzichtet werden.

» nach brusterhaltender Therapie ist die hypofraktionierte Bestrahlung der gesamten Brust eine Standardoption, insbesondere für die Patientinnen im Alter über 50 Jahre.

» Nach Mastektomie ist die adjuvante Bestrahlung von Thoraxwand sowie der Lymphabflussgebiete Standard für Patientinnen ohne Lymphknotenbefall (pN0) ab einer Tumorgröße von 5 cm, bei allen Patientinnen mit 1–3 befallenen Lymphknoten, aber auch bei Patientinnen mit positiver SLNB, wenn keine Axilladissektion erfolgte.

» Unabhängig von den prämenopausalen Östrogen-Serumwerten besteht bei sehr jungen Patientinnen (<  35 Jahre) bzw. bei Patientinnen mit mindestens vier befallenen Lymphknoten eine Indikation für eine zusätzliche adjuvante ovarielle Funktionssuppression.

» Beim HER2-positiven Mammakarzinom ist der neoadjuvante Einsatz der doppelten HER2-Blockade mit Pertuzumab/Trastuzumab plus Chemotherapie indiziert.

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