Wie eine Raupe bewegt sich das Endoskop im Dünndarm

Dr. Marlinde LehmannVon Dr. Marlinde Lehmann Veröffentlicht:

Von allen Darmabschnitten ist der Dünndarm der bei weitem am schwersten einsehbare. Eine wirklich einfache Lösung, ihn - wie bei einer Gastroskopie den Magen oder bei einer Koloskopie das Kolon - in seiner ganzen Länge von vier bis sechs Metern zu inspizieren und, etwa bei Polypen, gleich auch therapeutisch zu intervenieren, gab es bisher nicht.

  • So sind mit der Dünndarm-Endoskopie, der Push-Enteroskopie, nur etwa 70 Zentimeter Dünndarm nach dem Magenausgang einsehbar.
  • Die seit wenigen Jahren praktizierte Kapsel-Endoskopie, bei der eine geschluckte Kapsel mit miniaturisierter Video-Kamera Bilder aus dem Dünndarm sendet, ermöglicht zwar einen mehr oder weniger genauen Einblick in den gesamten Dünndarm, aber nicht gleichzeitig eine Therapie.
  • Der Dünndarm-Doppel-Kontrast hat eine schlechte diagnostische Ausbeute und bietet ebenfalls keine Therapiemöglichkeit.
  • Bei der Angiographie ist bei heftigen akuten Blutungen die diagnostische Ausbeute besser - und hier können zumindest über spezielle Katheter Blutgefäße embolisiert und so Blutungen gestillt werden.

Die Möglichkeit der Biopsie besteht aber bei allen bildgebenden Methoden nicht. Soll der gesamte Dünndarm inspiziert und soll gleichzeitig behandelt werden, ist noch immer eine intraoperative Enteroskopie mit Laparotomie nötig.

Einige deutsche Kliniken nutzen schon die neue Technik

Dementsprechend freudig begrüßen Gastroenterologen jetzt die neue Technik der Doppel-Ballon-Enteroskopie. Sie bietet erstmals die Möglichkeit der nicht-invasiven Diagnostik des gesamten Dünndarms mit der Option zur Therapie. Die Doppel-Ballon-Enteroskopie wird schon an wenigen deutschen Kliniken gemacht. Am meisten Erfahrung damit haben Kollegen um Professor Christian Ell von den Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken (HSK) in Wiesbaden.

Bei der Doppel-Ballon-Enteroskopie wird der Dünndarm in Abschnitten von maximal 40 Zentimetern inspiziert, wobei schon untersuchte Darmabschnitte auf einem Übertubus aus weichem Material zieharmonikaähnlich zusammengeschoben, gerafft werden, beschreibt Privatdozentin Dr. Andrea May, Oberärztin an den HSK, die Technik. Ein aufgeblasener Ballon am Übertubus verhindert, daß die dort gerafften Darmteile wieder abgleiten. Gleichzeitig ist er in Kombination mit einem zweiten Ballon an der Spitze des Enteroskopes notwendig, damit sich das Gerät durch wechselndes Aufblasen der Ballons und Ablassen der Luft - raupenartig - durch den Dünndarm bewegen kann.

Vier Meter Dünndarm können so untersucht und auf dem 1,40 Meter langen Übertubus zusammengeschoben werden. Ist der Dünndarm länger, kann an einem anderen Tag die Doppel-Ballon-Enteroskopie ein zweites Mal von rektal aus stattfinden, um die distalen, restlichen Dünndarm-Anteile zu untersuchen. "Wir haben aber viele Patienten, bei der wir schon über den oralen Zugangsweg eine Diagnose stellen können", sagt Andrea May.

Eine Doppel-Ballon-Endoskopie dauert im Mittel 70 Minuten. Allgemein wird eine Sedierung wie bei konventioneller Endoskopie gemacht.

Mittlerweile haben die Kollegen in Wiesbaden die Daten der ersten 100 dort mit der Doppel-Ballon-Enteroskopie untersuchten Patienten ausgewertet. Bei etwa der Hälfte von ihnen war die Technik aufgrund von Hinweisen auf akute oder chronische Blutungen angewandt worden. Dazu kommen Patienten mit Bauchschmerzen, chronischer Diarrhoe, familiärer Polyposis oder auch Verdacht auf Zöliakie.

Chronische Blutung beruht oft auf einer Angiodysplasie

Bei 70 bis 80 Prozent der Patienten mit chronischen Blutungen wird mit der Doppel-Ballon-Enteroskopie ein pathologischer Befund erhoben, am häufigsten der einer Angiodysplasie. "Dann ermöglicht uns die Technik, gleich auch zu behandeln, also zu koagulieren", sagt May.

Werden Ulzerationen entdeckt, helfen Anamnese, Klinik und Biopsie weiter. "Bei geschwürigen Veränderungen kommen im wesentlichen drei Diagnosen in Frage", so May, "nämlich ein Morbus Crohn, Läsionen bei NSAR-Therapie oder ein Malignom". Bei Patienten mit deutlichen Hinweisen auf einen Morbus Crohn sei dann zum Beispiel ein Therapieversuch mit Steroiden gerechtfertigt.

Bei akuter intestinaler Blutung ist Enteroskopie von Vorteil

Doppel-Ballon-Enteroskopie und Kapsel-Endoskopie gelten heute als komplementäre diagnostische Verfahren. Die Wahl sollte dabei bei jedem Patienten individuell getroffen werden, betont May. "Die Untersuchung mit der Kapsel kann man im Gegensatz zur Doppel-Ballon-Enteroskopie, die meist stationär erfolgt, im Prinzip auch in der gastroenterologischen Praxis machen. Das ist auch für die Patienten einfacher", sagt sie. "Bei akuter intestinaler Blutung zum Beispiel wäre aber die primäre Doppel-Ballon-Enteroskopie geeignet, da hier gleich endoskopisch interveniert und die Blutung gestillt werden kann".

Ebenso individuell muß bei jedem Patienten erneut mit seiner Krankenkasse verhandelt werden, inwieweit die Kosten der Doppel-Ballon-Enteroskopie übernommen werden. Bisher gibt es für diese Untersuchungstechnik noch keine spezielle Abrechnungsziffer.

Infos, wo in Deutschland schon die Doppel-Ballon-Enteroskopie angeboten wird, gibt es bei Fujinon, Hersteller der Enteroskope, www.fujinon.de, Frau Tina Heyer, E-Mail: heyer@fujinon.de

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