HINTERGRUND

Wer verstopft ist, trinkt und bewegt sich zu wenig - das ist ein Mythos und wissenschaftlich nicht belegt

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Von Marlinde Lehmann

Wer unter chronischer Verstopfung leidet, ist selbst schuld daran! Denn der trinkt zu wenig, der bewegt sich zu wenig und der ißt falsch!

Mit solchen Mythen und Mißverständnissen, wenn es um chronische Obstipation geht, will Professor Stefan Müller-Lissner von der Park-Klinik Weißensee in Berlin ein für alle Mal Schluß machen.

Und Mythen sowie Mißverständnisse dazu gibt es mehr als genug, hat Müller-Lissner bei einer Literatur-Recherche festgestellt (Am J Gastroenterol 100, 2005, 232) "Kein Organ im menschlichen Körper wird so mißverstanden, wird so verleumdet und wird so mißhandelt wie der Dickdarm", zitiert er den britischen Gastroenterologen Sir Arthur Hurst.

Eines der größten Mißverständnisse beim Thema Obstipation ist für Müller-Lissner schon die Vorstellung mancher Patienten, was der Dickdarm zu leisten hat. Viele Patienten klagten schon unter Verstopfung, wenn sie subjektiv den Eindruck hätten, zu selten Stuhlgang zu haben, so der Berliner Gastroenterologe.

"Wenn ein Patient aber nur wegen seltenen Stuhlgangs besorgt ist, dann kann ich ihn beruhigen", so Müller-Lissner zur "Ärzte Zeitung", "es gibt keinen Grund, weshalb man eine minimale Stuhlfrequenz fordern könnte. Selbst wenn ein Patient nur alle zwei Wochen Stuhlgang hätte - wenn er sonst keine Beschwerden hat, ist das überhaupt kein Problem!"

Eine Obstipation liegt also erst dann vor, wenn die Patienten etwa darüber klagen, daß sie sich "voll und ungemütlich" fühlen; wenn der Stuhl hart ist oder der Stuhlgang durch starkes und langes Pressen als quälend beschrieben wird.

Bei solchen Patienten ist eine gezielte Diagnostik indiziert. Dazu gehören eine ausführliche Anamnese und körperliche Untersuchung, wobei auch auf Alarmsymptome wie sichtbares Blut im Stuhl oder kurzfristige Gewichtsabnahme zu achten ist.

Für eine spezielle Labordiagnostik sieht Müller-Lissner keinen Anlaß. Auch nicht für ein Screening auf Hypothyreose. "Daß man eine Hypothyreose nur dadurch entdeckt, daß jemand obstipiert ist, ist äußerst selten!" Für sinnvoll hält er jedoch eine Medikamenten-Anamnese, da manche Arzneien obstipierend wirken.

Nimmt ein Patient ein solches Mittel ein, sollte möglichst umgestellt werden: bei einer antihypertensiven Therapie mit einem Kalzium-Antagonisten oder Clonidin etwa auf ein Mittel einer anderen Klasse, zum Beispiel einen ACE-Hemmer. Hängt die Obstipation mit der Medikation zusammen, löst sich das Problem nach der Umstellung innerhalb von ein bis zwei Wochen, so die Erfahrung von Müller-Lissner.

Möchten die Patienten nach abgeschlossener Diagnostik wissen, welche Allgemeinmaßnahme denn gegen ihre Beschwerden helfen können, kommt für Müller-Lissner zwar ein Versuch mit mehr Trinken und mehr Bewegung infrage. Explizit dazu rät er aber nicht. Denn etwa mit mehr Trinken ist nach seinen Recherchen wohl nicht viel zu erreichen - außer bei bestehender Dehydrierung natürlich.

Als allgemeine Maßnahme sei es aber sinnvoll, Patienten zu sagen, sie sollten frühstücken - falls sie das nicht sowieso schon tuen. Denn die motorische Aktivität des Darmes nehme morgens mit dem Aufwachen zu und dann nochmals beim Frühstücken. Kontraproduktiv sei es, sich nach dem Frühstück gleich ins Auto zu setzen oder zur U-Bahn zu eilen, und so außer Reichweite eines WC zu sein.

Sinnvoll ist nach Erfahrungen des Gastroenterologen ein Test, ob der Stuhlgang durch mehr Ballaststoffe wieder normal wird. Bei einigen Betroffenen hilft der zusätzliche Verzehr von Ballaststoffen gut bei Verstopfung. Wenig Aufwand macht ein Test, bei dem ein Patient zwei Wochen lang eine definierte Menge etwa eines Flohsamen-Präparates zu sich nimmt.

Haben Ballaststoffe keinen Effekt, ist für Müller-Lissner eine gezielte Laxanzien-Therapie indiziert. Gute Erfahrungen hat er mit Macrogolen, "quasi synthetische Ballaststoff-Präparate", die das Stuhlvolumen steigern. Werde aber eine rasche Darmentleerung gewünscht oder komme ein Patient mit einem Macrogol nicht klar, seien Bisacodyl, Natrium-Picosulfat oder die Sennoside eine Option. Sie regen die Dickdarm-Beweglichkeit an und hemmen die Wasserresorption im Darm.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wer selten muß, ist auch gesund

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