Reizdarm

Nerven sind wenig sensibel

Forscher haben nachgewiesen, dass die Nerven der Darmwand von Reizdarmpatienten kaum auf einen Entzündungscocktail reagieren. Dies widerlege die These, die Patienten hätten einen besonders sensiblen und leicht reizbaren Darm.

Veröffentlicht:

MÜNCHEN. Das Reizdarmsyndrom quält rund zehn bis 15 Prozent der Menschen in den Industrieländern. Unumstritten ist inzwischen, dass es sich um eine organische Erkrankung handelt. Die vielfältigen Ursachen sind allerdings mit heutigen Messmethoden im Praxisalltag noch nicht nachweisbar, erinnert die Technische Universität München (TUM) in einer Mitteilung.

Eine neue Studie belege nun, dass es zu messbaren Veränderungen an den Nerven der Darmwand von Reizdarmpatienten kommt (Front Neurosci 2015; online 16. Dezember).

An Biopsien geforscht

"Eine mögliche Ursache der Symptome bei einer Gruppe von Reizdarmpatienten ist eine erhöhte Ausschüttung von Botenstoffen, die unter anderem bei entzündlichen Prozessen eine Rolle spielen", wird Professor Michael Schemann vom TUM-Lehrstuhl für Humanbiologie in einer Mitteilung der Universität zitiert.

Basierend auf früheren, eigenen Untersuchungen postulierten die Wissenschaftler daher eine Sensibilisierung der Nerven in der Darmwand von Reizdarmpatienten. Die Forscher haben deshalb die Reaktion an Biopsien von Reizdarmpatienten sowie gesunden Probanden einerseits auf elektrische Stimulation sowie auf Nikotin überprüft.

 Erstaunlicherweise reagierten bei diesen Tests die Nerven beider Gruppen ähnlich, so dass eine generelle Nervensensibilisierung ausgeschlossen werden kann.

Verblüffende Ergebnisse

Andererseits wurde ein Entzündungscocktail mit Histamin, Proteasen, Serotonin und TNF-alpha verabreicht, um das Milieu in der Darmwand der Reizdarmpatienten zu simulieren und die Reaktion darauf zu untersuchen, heißt es weiter in der Mitteilung.

Diese Tests förderten verblüffende Ergebnisse zutage: "Genau das Gegenteil unserer anfänglichen Vermutung war der Fall: Die Nerven der Reizdarmpatienten haben signifikant schwächer auf die von uns verabreichten Cocktails reagiert als die Biopsien der gesunden Probanden", sagt Schemann.

"Die Darmwand dieser Patienten ist offenbar desensibilisiert durch eine ursprünglich zu starke Aktivierung. Das kann eine Schutzmaßnahme sein, um eine Überreizung zu vermeiden."

Noch keine Routine-Diagnostik

Um diese Schlussfolgerung zu verifizieren, wurden Darmnerven für mehrere Stunden einer Reizung ausgesetzt. Das Ergebnis: "Sind die Nerven die ganze Zeit gereizt, regeln sie die Reaktion quasi herunter", erklärt Schemann in der Mitteilung und betont, dass dies aufwändige experimentelle Untersuchungen seien, weit entfernt von Routine-Diagnosemethoden.

"Es bleibt offen, wie die beobachtete Desensibilisierung der Nerven auf ganz bestimmte Botenstoffe die eigentlichen Symptome verursacht und ob dieses Phänomen neue Therapieoptionen eröffnet".

Zwar bewiesen die Untersuchungen eine verminderte Reaktion auf einen Entzündungscocktail, schließen aber eine mögliche Sensibilisierung durch andere Stoffe nicht aus. (eb)

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Ergänzung herkömmlicher Modelle

Kalziumscore verbessert Vorhersage stenotischer Koronarien

Lesetipps
Der papierene Organspendeausweis soll bald der Vergangenheit angehören. Denn noch im März geht das Online-Organspende-Register an den Start.

© Alexander Raths / Stock.adobe.com

Online-Organspende-Register startet

Wie Kollegen die Organspende-Beratung in den Praxisalltag integrieren