HINTERGRUND

Hypochonder mißtrauen Ärzten - und doch kommen sie immer wieder

Von Kai Gerullis Veröffentlicht:

"Das könnte Krebs sein!" Kaum ist Martin S. aufgewacht, steht er vor dem Spiegel. Ob Knötchen, Rötungen oder auffällige Flecken - jedes Detail seines Körpers wird kritisch und mit Akribie betrachtet. "Das ist Krebs", lautet sein Fazit. Er macht sich auf den Weg zum Arzt. Doch dieser gibt Entwarnung - "harmlos". Für Martin S. kein Grund zur Beruhigung. Es wird in den nächsten Tagen wieder zum Arzt gehen, denn er ist Hypochonder.

Schätzungen zufolge sollen bis zu vier Prozent der Bundesbürger an Hypochondrie leiden. Nicht die kleinen Zipperlein treiben sie zum Arzt. "Die meisten Patienten haben Angst vor schweren, unheilbaren Krankheiten wie Krebs, Aids, Demenz oder auch Creutzfeldt-Jakob", sagt Gaby Bleichhardt, stellvertretende Leiterin der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz. "Hypochonder kommen deshalb auch schon mit einer klaren Idee der Krankheit in die Praxis."

Nicht jeder Hypochonder will sich mit Krankheit beschäftigen

Doch nicht jeder Betroffene beschäftigt sich tagtäglich und intensiv mit seinen möglichen Leiden: "Es gibt Hypochonder, für die ist allein schon der Gedanke an schlimme Krankheiten ein Graus. Diese Gruppe vermeidet jede Auseinandersetzung mit dem Thema. Wenn etwas über schlimme Krankheiten im Fernsehen läuft, schalten sie um", sagt Josef Bailer, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

"Wir vermuten, daß die Hypochondrie in allen Altersgruppen auftritt, Frauen und Männer sind gleichmäßig betroffen", sagt Gaby Bleichhardt. Viele Hypochonder leiden allerdings schon vorher unter erhöhter Angst. "Oft kommt dann noch Erfahrung mit schwerer Krankheit hinzu.

Entweder beim Patienten selbst oder im nahen Umfeld", berichtet Bailer. Auch chronischer Streß gehört zu den Grundlagen. Selbst Medien-Berichte über Epidemien wie Ebola oder die Vogel-Grippe könnten die krankhaften Vorstellungen bei einzelnen Menschen auslösen.

Die meisten Betroffenen neigen zum Doktor-Hopping

Aus Angst vor der Krankheit suchen Hypochonder die häufige Rückversicherung durch den Arzt. Doch die Diagnose "völlig gesund" wird aus dem Bewußtsein der Betroffenen schnell wieder getilgt. "Der Patient mißtraut dem Arzt, meint, er hätte vielleicht etwas völlig Unbekanntes", erläutert Bailer. Ein Hypochonder wechselt deshalb häufig den behandelnden Arzt, wird zum "Doktorhopper". Die Folge: Der einzelne Arzt kann kaum noch erkennen, ob ein Betroffener ungewöhnlich oft in der Praxis auftaucht.

Hypochondrie muß deshalb vom Umfeld und vor allem vom Betroffenen selbst erkannt und eingesehen werden. "Wenn jemand trotz ärztlicher Rückversicherungen und eventuell einer angemessenen Medikation die Diagnose nicht glauben will, besteht eine übermäßige Krankheitsangst", betont Bailer. "Hält dies länger als ein halbes Jahr an und kommt es dadurch gleichzeitig zu Leistungseinbußen im Beruf oder zu Problemen in der Partnerschaft, sollte man sich Sorgen machen", verdeutlicht der Psychologe.

Doch der Weg bis zur Einsicht ist lang. Oft vergehen Jahre bis zu diesem Schritt. "Der hypochondrische Patient denkt, er hat ein medizinisches Problem. Da fühlt er sich beim Psychologen falsch aufgehoben", so Bailer. Ist der Wunsch nach Hilfe gereift, verspricht eine Verhaltenstherapie Besserung.

"Dabei wird an der Krankheitsüberzeugung gearbeitet. Der Patient lernt zu verstehen, daß einfache Magenschmerzen noch nicht gleich ein Zeichen für Magenkrebs sind", erzählt Gaby Bleichhardt. "Man spricht über Pro und Kontra für diese Diagnose und überlegt gemeinsam, was andere Gründe für die Schmerzen sein könnten." Schließlich werde auch vermittelt, daß häufige Arztbesuche die eingebildeten Symptome nicht lindern.

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