Interview

"Vor dem Burn-out brennt oft nur ein Strohfeuer"

Das Thema Burn-out ist wieder in aller Munde. Für den Arzt und Burn-out-Coach Dr. Thomas Bergner steht fest: Oft liegend die Probleme sehr tief. Nur die Work-Life-Balance zu verbessern, reiche nicht aus, erklärt er im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

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Dr. Thomas Bergner

Aktuelle Position: seit dem Jahre 1994 ist Dr. Thomas Bergner als Coach für Menschen mit Burn-out sowie als Trainer für internationale Unternehmen und Berater für Medical Consultants tätig. Bergner hat mehrere Bücher über Burn-out geschrieben. Besonders am Herzen liegt ihm auch das Thema Burn-out-Syndrom bei Ärzten.

Werdegang/Ausbildung: Bergner wurde 1960 in Kassel geboren.Er hat in Erlangen und München Medizin studiert und eine Facharztausbildung an der Dermatologischen Universitätsklinik München absolviert.

Karriere: Bis 2002 arbeitete Bergner als Dermatologe und Allergologe mit eigener Praxis.

Ärzte Zeitung: Wird das Burnout-Syndrom langsam zu einer Art Modeerkrankung, oder ist es tatsächlich ein Phänomen, das immer mehr um sich greift?

Dr. Thomas Bergner: Es deutet viel darauf hin, dass die Zahl der Burn-out-Kranken zunimmt. Ob sie so stark zunimmt wie Zahl der Medienberichte darüber, darf bezweifelt werden.

Insofern hat es auch einen modischen Charakter, und man muss schauen, dass nicht jede Depression, jede Sucht- und jede Angsterkrankung in diesen Topf geworfen wird.

Der Vorteil des Burn-outs aus Sicht des Betroffenen ist, dass es als psychische Diagnose wahrgenommen wird, bei der man sich nicht schämen muss.

Burn-out haben schließlich auch Promis, dafür kann man ja angeblich nichts. Dagegen schämt sich jeder mit einer Sucht- oder Angsterkrankung. Man muss also genau schauen, ob jemand Burn-out oder etwas anderes hat.

Ärzte Zeitung: Wie kann man dies unterscheiden?

Bergner: Indem man die typische Symptomtrias bei Burn-out abfragt. Da ist zum einen die emotionale Erschöpfung. Übliche Sätze sind "Ich kann nicht mehr. Was tu ich hier eigentlich?"

Fragt man sich das nicht nur einmal im Monat, sondern ständig, und dominieren solche Gedanken und Gefühle das Leben, dann ist man emotional erschöpft. Das zweite Symptom ist der gesellschaftliche Rückzug: Man gibt Kontakte, Ehrenämter oder Vereinstätigkeiten auf, versucht sich in sein Schneckenhaus zurückzuziehen.

Schließlich kommt es als drittes zur Leistungsabnahme. Diese muss nicht offen erkennbar sein. Die Frage ist hier vielmehr, ob die Betroffenen mehr Willenseinsatz brauchen, ob sie sich mehr dazu zwingen müssen, um die übliche Leistung zu bringen.

Ärzte Zeitung: Auch bei Depressiven würde man ein solches Verhalten erwarten.

Bergner: Richtig. Das ist sehr schwer zu unterscheiden. Es gibt aber beim Grundgefühl einen Unterschied: Bei Burn-out ist dies nicht Traurigkeit, sondern Unzufriedenheit, und zwar schon dann, wenn es den Betroffenen nach außen hin noch richtig gut geht.

Diese Unzufriedenheit wird oft auf den Beruf projiziert. Tatsächlich steckt dahinter vielleicht etwas ganz anderes, ein Problem, das aus der Kindheit mitgeschleppt wird, ein Partnerschaftsproblem, finanzielle Schwierigkeiten oder eine Kombination davon.

Ärzte Zeitung: Das überrascht. Bei Burn-out denkt man oft, jemand hat es mit seinem Job übertrieben.

Bergner: Nein, das kann man so nicht sagen. Burn-out wird zwar in der Regel am Berufsleben festgemacht. Das ist eine leichte Lösung, die akzeptiert wird, denn es heiß ja, wer ausgebrannt ist, hat zumindest einmal gebrannt. Das ist aber Unsinn.

Häufig war es dann kein echtes Entflammtsein, sondern nur ein Strohfeuer. Wenn Sie zutiefst zufrieden sind mit Ihrem Beruf, dann ist es fast unmöglich, dass Sie Burn-out entwickeln. Das Berufsleben ist also oftmals nur die Projektionsfläche für ganz andere, tiefer liegende Probleme.

Ärzte Zeitung: Dann nützt es vermutlich nicht viel, wenn man den Betroffenen sagt: "Machen Sie mal ein bisschen langsamer, entspannen Sie sich, nehmen Sie sich mehr Zeit für die Familie"?

Bergner: Nein, das wäre vielleicht bei einer normalen Stressreaktion der Fall, Burn-out ist aber eine Stresserkrankung, hier sind stärkere strukturelle Veränderungen nötig. Beim wirklichen Burn-out führt kein Weg an Coaching oder Psychotherapie vorbei.

Da reicht es nicht zu sagen: "Machen Sie mal langsamer!" Oder noch schlimmer: "Schauen Sie doch mal, wie gut es Ihnen geht."

Das bringt nichts, es ist ja gerade ein Teil des Problems: Solche Leute sehen, dass sie nach außen hin erfolgreich sind, aber trotzdem sind sie hoch unzufrieden. Die Erschöpfung kommt ja trotz Erfolg und nicht wegen mangelndem Erfolg.

Ärzte Zeitung: Ab wann sollte ein Arzt professionelle Hilfe empfehlen?

Bergner: Wenn ein Patient so mutig ist, dass er eine seelische Störung beim Arzt anspricht, sollte man das nicht lange hinziehen. Spätestens ab dem Moment wo jemand sagt, "Ich kann nicht mehr", ist es Zeit für einen Therapeuten oder Coach.

Ärzte Zeitung: Wie kann dieser einem Burn-out-Kranken helfen?

Bergner: Der Betroffene muss verstehen, warum er das hat. Und das lässt sich meist in die Kindheit zurückführen. Burn-out-Kranke sind regelhaft intelligente Menschen, deren größtes Problem es ist, dass sie sich keine Schwächen eingestehen können.

Wenn ein Burn-out-Patient versteht, was in seiner Kindheit dazu geführt hat, dass er so geworden ist, dann kann er auch Gnade gegenüber sich selbst walten lassen, dann ist es viel leichter möglich, Wege zu finden, wie er da rauskommt.

Ärzte Zeitung: Was wären denn solche Wege?

Bergner: Das hängt stark vom Einzelnen ab. Hat etwa jemand ein Helfersyndrom, dann muss man ihm klarmachen, dass er damit niemandem hilft, dass er sich dadurch nur in eine Pseudo-Machtposition bringt, die alle schwächt.

Oder man muss fragen, ob jemand unbedingt einen Job braucht, in dem er 80 Stunden pro Woche arbeitet. Hier ist es wichtig, das Anspruchsniveau um ein bis zwei Stufen zurückzuschrauben.

Ärzte Zeitung: Den Vorgesetzten, der sich an die enorme Leistung gewöhnt hat, wird es vielleicht nicht freuen. Provoziert dies nicht neue Probleme?

Bergner: So extrem viel arbeiten in der Regel außer den Selbstständigen nur Führungskräfte. Die sind aber in Positionen, wo sie mit ihren Leuten reden können, dazu müssen sie nur den Mut haben.

Meine Erfahrung ist, dass Manager in Unternehmen durchaus ihr Arbeitspensum zurückfahren können, wenn das Unternehmen sie wirklich will. Und die meisten guten Manager will das Unternehmen. Das Problem ist eher beim Betroffenen, der glaubt, er sei nichts mehr wert, wenn er weniger arbeitet.

Ärzte Zeitung: Wer ist von der Persönlichkeitsstruktur her denn besonders anfällig für Burn-out?

Bergner: Praktisch alle Burn-out-Kranken sind emotional labil. Helfersyndrom, Omnipotenzanspruch, Perfektionismus, Narzissmus, das lässt sich alles unter emotionaler Instabilität subsumieren.

Ärzte Zeitung: Burn-out-Patienten stellt man sich ja oft als Perfektionisten vor, die mehr Zeit investieren, um ein besonders gutes Ergebnis zu erzielen.

Bergner: Dies ist nur vordergründig der Fall. Hinter den Kulissen heißt Perfektionismus, dass ich nicht fertig werden will. Nach innen ist es die Angst, zu einem Ende zu kommen, auf der Meta-Ebene letztlich die Angst vor dem Tod. Das wird nach außen beschrieben, als "Ich will das Bestmögliche machen".

Ärzte Zeitung: Wie lässt sich ein Burn-out am besten verhindern?

Bergner: Indem man ein selbstliebendes und ausbalanciertes Leben führt; indem man schaut, was einen zufrieden macht. Wenn ich weiß, welche Bedürfnisse ich habe und woher sie kommen, dann beginne ich, das Leben so zu gestalten, dass diese Bedürfnisse befriedigt werden.

Das ist der zentrale Punkt. Zeitmanagement, Work-Life-Balance, Ausgleichssport - das sind dann Marginalien, das ist sicher gut, aber das Phänomen kriegt man damit nicht in den Griff.

Das Gespräch führte Thomas Müller

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