HINTERGRUND

Schonung des Gehirns trotz radikaler Operation von Tumoren - das ist mit intraoperativer MRT möglich

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:

Als Routineverfahren ist sie zu kostspielig, für Patienten mit Hirntumoren wie Astrozytomen kann die intraoperative Magnetresonanz-Tomographie (MRT) aber einen enormen Gewinn an Überlebenszeit und Lebensqualität bringen: Dank der bildgebenden Unterstützung bei der Operation können wichtige Hirnfunktionen erhalten und der Tumor kann dennoch ausreichend entfernt werden. Das ist die Bilanz nach zehn Jahren intraoperativer MRT an der Neurochirurgischen Universitätsklinik in Heidelberg.

Das Verfahren hatte vor einem Jahrzehnt in Boston Weltpremiere und wurde wenig später in Heidelberg europaweit erstmals eingesetzt. Seither sind hier mehr als 550 Patienten - vorwiegend mit Hirntumoren - auf diese Weise operiert worden. Die Crux bei Gliomen, also Tumoren, die vom Gehirngewebe ausgehen: Die Grenzen zum gesunden Gewebe sind fließend. Auch im direkt um den Tumor liegenden, scheinbar gesunden Hirngewebe können noch Tumoranteile sein.

Mit MRT kann man doppelt so häufig radikal operieren

Ohne die intraoperative MRT konnten etwa hochgradige Gliome wie Astrozytome Grad III lediglich bei 20 bis 30 Prozent der Patienten radikal entfernt werden, mit MRT war das mehr als doppelt so häufig der Fall. Darauf wies Professor Andreas Unterberg, Ärztlicher Direktor der Neurochirurgischen Klinik in Heidelberg, hin.

Bei etwa 15 Prozent der Patienten konnte der Tumor auch mit intraoperativer MRT nicht restlos entfernt werden, um nicht wichtige Gehirnfunktionen zu gefährden - die Maxime der Neurochirurgen lautet: Funktionalität geht vor Radikalität.

Die Möglichkeit, mit intraoperativer MRT häufiger radikal als bislang operieren zu können, wirkt sich auch auf die Überlebenszeiten aus: "Vor allem jüngere Patienten mit Astrozytom Grad II und III profitieren von dem Einsatz der intraoperativen MRT", so Unterberg.

Hier könnten, je nach Bösartigkeit des Tumors, Überlebenszeiten von bis zu 15 Jahren erzielt werden. Die mittlere Überlebenszeit bei unvollständiger Resektion etwa bei Glioblastomen liegt bei etwa einem Jahr, bei radikaler Operation bei im Mittel 17 Monaten.

Wie wird die intraoperative MRT eingesetzt? Vor der Operation wird aus Bilddaten von zuvor gemachten Computer- und Magnetresonanz-Tomographien ein dreidimensionaler Plan erstellt. Dieser Op-Plan wird während des mikrochirurgischen Eingriffs auf das Bild projiziert, das man im Op-Mikroskop sieht. Auf dem Plan sind wichtige funktionelle Bezirke etwa für Handbewegung oder Sprechfunktion markiert.

Nach Schädelöffnung und Abfließen von Hirnflüssigkeit verschiebt sich das Gehirn jedoch meist, und der aus präoperativ erhobenen Bilddaten erstellte Op-Plan muß nachjustiert werden. Privatdozent C. Rainer Wirtz, Leitender Oberarzt der neurochirurgischen Klinik, hat maßgeblich das Heidelberger Konzept zum Einsatz der intraoperativen MRT mitentwickelt und beschreibt, wie es funktioniert: Zunächst wird der Patient im neurochirurgischen Op-Saal mikrochirurgisch operiert.

Zur Nachjustierung des Op-Plans vom Gehirn und zur Kontrolle, ob der Tumor auch ausreichend entfernt worden ist, wird der Patient mit geöffneter Schädeldecke in den wenige Meter entfernten MRT-Raum gefahren. Dabei muß der Patient nicht umgelagert werden, weil der Op-Tisch auf speziellen Schienen in den Tomographen gefahren werden kann. Dann beginnt die MRT-Untersuchung. Dabei wird der Patient vom Anästhesisten überwacht.

Zur MRT liegt der Kopf des Patienten in einer eigens entwickelten Spule, deren oberer Teil für die Fortsetzung der Operation abnehmbar ist. Nach der 20- bis 30minütigen Untersuchung werden die Bilder von den Neuroradiologen befundet und die neuen Bilddaten computergestützt in das Op-Mikroskop eingespeist.

Bei zwei Drittel der bislang operierten Patienten wurde die Op mit Hilfe der neuen Bilddaten fortgesetzt, der dreidimensionale Op-Plan korrigiert und noch radikaler operiert. Bei mehr als der Hälfte der Patienten blieb kein Tumorrest mehr. Vor der Anwendung der intraoperativen MRT war das nur bei einem Fünftel der Fall.

Als Folge des wesentlich "mutigeren" Herangehens auch an funktionelle Strukturen durch die exakte Bildgebung kam es nach Angaben von Wirtz postoperativ kurzfristig zwar verstärkt zu Funktionsausfällen, die aber meist reversibel waren.

Spezielle Op-Instrumente sind nicht notwendig

Anders als das Bostoner Konzept - die US-Kollegen operieren im MRT-Gerät - gibt das Heidelberger Vorgehen den Operateuren mehr Bewegungsfreiheit. Und sie können mit herkömmlichen Operationsinstrumenten arbeiten, denn man muß nicht auf die Magnetkraft des Tomographen Rücksicht nehmen und Spezialwerkzeuge benutzen.

Die intraoperative MRT ist weniger geeignet etwa bei Hirnmetastasen, die man schon allein aufgrund ihrer anderen Gewebestruktur recht gut erkennen kann. Und gutartige Hirngeschwülste liegen in der Regel auf dem Gehirn und sind deshalb gut abgrenzbar und resezierbar.

In Deutschland wird die intraoperative MRT außer in Heidelberg etwa auch an den Universitätskliniken in Kiel, Frankfurt am Main und Erlangen gemacht.

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