Anästhesie

Wie sicher sind Narkosen in Deutschland?

Eine neue Studie liefert Daten zur Patientensicherheit bei Narkosen. In der Analyse wurden 1,36 Millionen Datensätze ausgewertet. Sie kommen von weitgehend gesunden Patienten, die sich einer geplanten Op unterzogen. Einen schweren Zwischenfall gibt es nach der Analyse bei 7,3 pro einer Million Narkosen.

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Wie die Op, ist auch die Narkose immer mit Risiken behaftet.

Wie die Op, ist auch die Narkose immer mit Risiken behaftet.

© Tobilander / fotolia.com

LEIPZIG. In Deutschland ist ein hoher Sicherheitsstandard in der Anästhesiologie erreicht, auch wenn eine Narkose genauso wie eine Op mit Risiken für den Patienten behaftet ist.

Eine von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) initiierte retrospektive Analyse von prospektiv erhobenen Kohorten-Daten liefert jetzt Daten zum Narkoserisiko hierzulande (Br J Anaesth 2014; online 5. Mai).

Die Analyse von etwa 1,4 Millionen Narkosen habe ein Anästhesie-bedingtes Risiko für schwere Zwischenfälle von 7,3 pro einer Million Narkosen (95 Prozent CI, 3.9-12.3) ergeben, teilt die DGAI zur Veröffentlichung der Studie mit.

Untersucht wurden Dokumentationen von Anästhesien bei geplanten Operationen bei ansonsten weitgehend gesunden Patienten. In der retrospektiven Analyse wurden 1,36 Millionen Datensätze von in Deutschland durchgeführten Narkosen ausgewertet.

"Somit liegen uns erstmals derart umfangreiche Daten zur Patientensicherheit in Deutschland vor", betont DGAI-Präsident Professor Christian Werner in der DGAI-Mitteilung.

"Erhoben wurden die Daten in den Jahren 1999 bis 2010 auf Basis des so genannten Kerndatensatzes Anästhesie, einem freiwilligen und anonymen Qualitätssicherungssystem", wird der Erstautor der Studie, Dr. Jan-H. Schiff vom Klinikum Stuttgart zitiert.

Blick auf schwere Zwischenfälle und Komplikationen

Anästhesieberichte von geplanten Operationen bei Patienten, bei denen keine besonderen Risikofaktoren vorlagen, wurden im Hinblick auf die Häufigkeit von schweren Zwischenfällen und Komplikationen analysiert.

Bei den untersuchten 1,36 Millionen Fällen traten bei 36 Patienten Komplikationen auf, deren Resultat von den behandelnden Anästhesisten als "Tod oder bleibender Dauerschaden" angegeben wurde.

"Ein Expertenteam hat überprüft, ob es sich eher um ein Anästhesieproblem oder eventuell um eine operative oder andere Komplikation handelte", erklärt Schiff in der DGAI-Mitteilung. "In 10 Fällen konnten die schweren Zwischenfälle und Komplikationen eindeutig der Anästhesie zugeordnet werden."

Die Auswertung hat somit ergeben, dass es bei mindestens einem von 140.000 Patienten (7,3 / 1.000.000; 95 Prozent CI, 3.9-12.3) zu einem schweren Zwischenfall gekommen ist, der auf die Anästhesie zurückgeführt werden kann.

In neun Fällen waren Intubationsprobleme aufgrund eines unerwartet schwierigen Luftweges die Komplikationsursache, berichtet die DGAI in ihrer Mitteilung. In einem Fall handelte es sich um einen Bronchospasmus.

"Offen bleibt, wie sich die 10 Fälle, bei denen ein Tod oder ein bleibender Dauerschaden festgestellt wurde, aufteilen. Es kann leider keine Aussage getroffen werden, wie viele von diesen Patienten verstarben und was bei den anderen für ein Dauerschaden vorliegt", so Schiff. Denn die Datenerhebung sei nicht darauf angelegt gewesen, die Frage nach den Resultaten schwerer Komplikationen zu beantworten.

Hohe Patientensicherheit auch im internationalen Vergleich

"Die Patientensicherheit bei Narkosen in Deutschland ist, verglichen mit anderen Ländern, sehr hoch", kommentiert der DGAI-Generalsekretär Professor Hugo Van Aken, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie am Universitätsklinikum Münster, die Ergebnisse.

In einer niederländischen Studie wurde mit 14 pro 100.000 Fällen eine 20-fach höhere Rate an anästhesiebedingten Todesfällen bei Patienten aller Risikogruppen (elektive Eingriffe und Notfälle) festgestellt (Anaesthesia 2001; 56: 1141-1153).

Die deutschen Daten zeigen, dass ein narkosebedingter Todesfall oder permanenter Schaden bei uns in 0,7 pro 100.000 Fällen auftreten. Jedoch seien dabei nur gesunde Patienten ohne Notfall- und Herzoperationen in die Studienpopulation einbezogen, so die DGAI in ihrer Mitteilung.

"Allerdings ist es schwer, Studien zum Anästhesie- und Operationsrisiko unterschiedlicher Länder zu vergleichen, da sich die Untersuchungen erheblich unterscheiden", räumt Van Aken ein.

Maßnahmen zur Fehlervermeidung zeigen Erfolge

Die hohe Patientensicherheit in Deutschland basiert auf zahlreichen Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern und zur Verbesserung der Versorgungsqualität.

Hierzu zählt unter anderem das internetbasierte Berichtsystem "Critical Incident Reporting System" (CIRS) zur Meldung von kritischen Ereignissen, erinnert die DGAI. Gemäß dem Prinzip "Lernen aus Fehlern" werden freiwillig und anonym mitgeteilte, sicherheitsrelevante Ereignisse analysiert und als Lehrmaterial aufbereitet.

Hinzu komme, dass die deutsche Anästhesie seit Jahren das aufwändige Simulatortraining fördert. Zum Beispiel können Intubationsschwierigkeiten, also Situationen, die sich in der aktuellen Untersuchung von Schiff und Kollegen als risikoreich erwiesen haben, trainiert werden.

"Doch auch wenn die Patientensicherheit in Deutschland bereits ein hohes Niveau erreicht hat, setzen wir uns dafür ein, diese weiter zu verbessern", bekräftigt Werner in der DGAI-Mitteilung.

"An erster Stelle steht dabei die ständige Optimierung der Aus- und Weiterbildung der Anästhesisten. Wir prüfen gerade, ob die Teilnahme an einem speziellen Luftweg-Management-Kurs in die Weiterbildungsordnung für Anästhesisten aufgenommen werden kann", konkretisiert der DGAI-Präsident die Pläne.

Sicherheit durch Ausweitung auf andere Berufsgruppen gefährdet

Narkosen und ausgedehnte Regionalanästhesieverfahren werden in Deutschland ausschließlich von Anästhesisten durchgeführt.

Eine Ausweitung auf andere, nicht ärztliche, Berufsgruppen, wie auf speziell geschulte Pflegekräfte, sehen DGAI und BDA sehr kritisch. Entsprechende Pläne seien Teil des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD, wenn auch nicht explizit auf die Anästhesie bezogen.

"Gerade im Hinblick auf eine zunehmend älter werdende Bevölkerung verbunden mit zusätzlichen Risikofaktoren lehnen wir alle Bestrebungen der Substitution von ärztlichen Leistungen in der Anästhesie durch nicht ärztliches Personal strikt ab", kommentiert Van Aken in der DGAI-Mitteilung.

"Die aktuellen Zahlen von Schiff und Kollegen mahnen gegen ein Denken in diese Richtung." (eb)

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