Psychosomatische Medizin

Vertrauensperson Hausarzt

Viele Menschen in Deutschland haben psychosomatische Störungen. Erkannt werden diese aber oft zu spät. Experten sind überzeugt: Den Schlüssel zu Verbesserungen in der Versorgung tragen die Hausärzte.

Von Marco Hübner Veröffentlicht:
Hausärzten kommt bei der Versorgung von Patienten mit psychosomatischen Störungen eine zentrale Rolle zu.

Hausärzten kommt bei der Versorgung von Patienten mit psychosomatischen Störungen eine zentrale Rolle zu.

© Photographee.eu / fotolia.com

Der Bauch schmerzt, der Kreislauf fährt Achterbahn oder im Brustraum des Patienten herrschen Beklemmungsgefühle, aber auch nach angemessener Untersuchung bleibt Ärzten oft nur die frustrierende Diagnose "ohne Befund".

Keine Seltenheit, denn in Deutschlands Hausarztpraxen liegt der Anteil von Patienten mit solchen Leiden bei etwa 20 Prozent, so die S3 Leitlinie zu Funktionellen Störungen des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) und der Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM).

Sogar 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland erkranken jährlich an psychischen und psychosomatischen Störungen, heißt es in einem Gutachten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zur ambulanten psychosomatischen/psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland. Die Patienten treffen auf eine vielgliedrige Versorgungsstruktur.

Hausärzte haben zentrale Rolle

Nach Rechnung der KBV gibt es etwa 2300 kassenärztlich tätige somatische Fachärzte mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie/Psychoanalyse, die eine vertiefte psychosomatische Versorgung bei Patienten aus ihrem Fachgebiet leisten. Außerdem etwa 3000 Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, die als Spezialisten in der Versorgung tätig sind.

Hinzu kommen Nervenärzte, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie die große Gruppe der Psychologischen Psychotherapeuten. Die basale Versorgung leisten allerdings Haus- und Fachärzte, die von ihrer KV zur Erbringung von Leistungen der psychosomatischen Grundversorgung ermächtigt worden sind.

Sie sollen einen niederschwelligen Einstieg in die Versorgung gewährleisten. Dabei kommt Hausärzten eine zentrale Rolle in der Versorgung zu.

Im Gutachten der KBV gaben deutlich mehr als die Hälfte der Befragten an, sich mit Depressionen (56,7 Prozent) oder Schmerzen ohne körperliche Erkrankung (69,4 Prozent) zunächst an den Hausarzt zu wenden. Damit steht der Hausarzt als Vertrauensperson an erster Stelle.

Die Gutachter kommen dennoch zu einem kritischen Schluss: "Patienten mit funktionellen körperlichen Störungen werden durch die Versorgungsstruktur zu wenig erreicht."

Fokus auf organischen Ursachen

Professor Johannes Kruse, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin (DGPM), nennt im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" einen wichtigen Grund dafür: "Häufig gelangen Patienten erst nach vier bis fünf Jahren in spezielle psychosomatische Behandlung."

Das liege daran, dass die Diagnose oft zu spät gestellt werde, da der Fokus primär auf möglichen organischen Ursachen der Symptome liege. Und daran, dass Patienten große Vorbehalte gegenüber psychosomatischen Krankheitsbegründungen hätten. "Der Hausarzt muss gemeinsam mit dem Patienten ein Verständnis herstellen", sagt Kruse dazu.

In der Praxis braucht es dafür vor allem Nüchternheit und Feingefühl. Schlüssel für eine erfolgreiche Behandlung ist das Gespräch zwischen Arzt und Patient: "Ein gutes Gespräch dauert im Mittel sieben Minuten, wovon drei Minuten aus Schilderungen des Patienten bestehen", berichtet Kruse.

Dabei sollte der Hausarzt allem voran offene Fragen im Sinne von "Was führt Sie zu mir" nutzen. An den Antworten lasse sich dann häufig erkennen, ob vor Auftreten der Magenschmerzen beispielsweise eine Beziehung zu Bruch gegangen ist.

Organische Ursachen der Beschwerden sollten dann mit angemessener Diagnostik ausgeschlossen werden. Redundante Untersuchungen gilt es zu vermeiden, da die ständige Sorge um den Körper die Situation verschlechtern kann, weiß Kruse zu berichten. Sind organische Ursachen ausgeschlossen, kommt es darauf an, "die körperlichen Symptome nicht weniger, sondern die seelischen mehr zu beachten", resümiert er.

Es dürfe nicht zu schnell psychologisiert werden, der Patient müsse sich jederzeit auch mit den körperlichen Symptomen ernst genommen fühlen. Wer das außer Acht lasse, könne den Patienten leicht verlieren - zum Beispiel durch Arztwechsel.

Ohne den Hausarzt als Lotsen verlören sich Patienten aber leicht im Versorgungssystem. Das geschehe etwa durch Konsultation verschiedener Fachärzte auf eigene Faust - der typische Fall eines kostenintensiven Ärztehoppings. Der Hausarzt müsse daher jederzeit darauf achten, den Patienten im Boot zu behalten.

Die Ängste des Patienten dürfen den Arzt nicht daran hindern, rational zu entscheiden. "Therapie-Entscheidungen funktionieren in solchen Fällen selten nach dem Entweder-oder-Prinzip," sagt Kruse.

Körper und Seele sollten stattdessen gleichermaßen behandelt werden. So könne der Arzt beispielsweise autogenes Training anbieten und gleichzeitig etwa zum Herzspezialisten schicken, um einen Verdacht abklären zu lassen.

Ärzte brauchen KV-Genehmigung

Damit Hausärzte selbst Maßnahmen durchführen und abrechnen können, ist eine KV-Genehmigung für die "Psychosomatische Grundversorgung" notwendig.

Die erhält, wer mindestens drei Jahre in selbstverantwortlicher Tätigkeit nachweisen und belegen kann, dass er 80 Stunden Weiterbildung über Kenntnisse und Erfahrungen in der psychosomatischen Versorgung gemacht hat.

Jüngere Hausärzte erfüllen die Voraussetzungen meist bereits bei Abschluss der Weiterbildung. Deren Inhalte sind in der Psychotherapie-Vereinbarung gemäß § 5 Abs. 6 geregelt.

Im Wesentlichen müssen für die Qualifikation 20 Stunden Theorieseminare zur Arzt-Patient-Beziehung und psychosomatischer Medizin nachgewiesen werden. Hinzu kommen 30 Stunden Reflexion der Arzt-Patient-Beziehung in Balint- oder patientenbezogenen Selbsterfahrungsgruppen und mindestens 30 Stunden Expertise in verbalen Interventionstechniken.

Die Weiterbildungsangebote sowie Balint-Gruppenleiter oder Supervisoren müssen von der zuständigen KV anerkannt worden sein, damit der Nachweis gilt.Die Leistungen der psychosomatischen Grundversorgung finden sich im Abschnitt 35.1 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) - nicht antragspflichtige Leistungen.

Mit der KV-Berechtigung lassen sich die EBM-Ziffern 35100 (15,40 Euro) zur differenzialdiagnostischen Klärung psychosomatischer Krankheitszustände und weiterführend 35110 (15,40 Euro) zur verbalen Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen ansetzen.

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